Verfasst am 02. 03. 2019, 19:13
Hallo Sabine,
grundsätzlich sind alle Diagnosemethoden zur Entdeckung von chronischen Knochenentzündungen leider nur im positiven Falle verwendbar. Nach Entfernung der Implantate wurden bei mir zur Auffindung von Rezidiven mehrmals Knochenszintigramme durchgeführt. Laut einem Uni-Prof. der Kieferchirurgie ist ein Szintigramm zur Entdeckung von Entzündungen dringend erforderlich. Trotzdem wurde bei mir in einem Fall bei einer OP eine Osteomyelitis gefunden, und zwar relativ kurz NACH einem negativen Knochenszintigramm-Befund. Ein Nuklearmediziner erklärte mir damals, das Knochenszintigramm könne schon nach einer Woche anders ausfallen, aber man könne es ja wegen der Strahlenbelastung nicht ständig durchführen.
Das Sekret kann durchaus real und trotzdem „unsichtbar“ sein. Bei mir lag ein Escherichia Coli vor, ein Bakterium, das keinen gelben Eiter produziert, sondern ein farbloses Sekret. Dieses Bakterium macht auch keine „dicke Backe“. E-Coli ist laut Literatur nur zu ca. 20 % bei Entzündungen im Kieferknochen beteiligt. Vielleicht wissen es dadurch manche nicht oder denken nicht daran. Der E-Coli ist bei mir mehrfach massenhaft festgestellt worden, ohne dass zunächst ein Fistelgang gefunden wurde – er zeigte sich oftmals sehr viel später. Ein Arzt sagte mir, es könne unter Umständen auch über normale Sekretausführungsgänge nach außen gelangen. Dieser Keim kann als Anaerobier ohne Sauerstoff lange Zeit im Knochen verweilen und Beschwerden verursachen. Ein Bakteriologe erklärte mir, er sei sehr schwer zu finden und sehr schwer zu behandeln.
Sind denn bei dir Keimbefunde durchgeführt worden? Sie sind das A und O bei Knochenentzündungen, weil nur so gezielt therapiert werden kann. So hilft das häufig verschriebene, weil „knochengängige“ Clindamycin offenbar wenig bei einem Kolikeim. Da das Sekret in der Regel nicht ständig ausfließt, muss man ggf. mehrere Keimabstriche durchführen, bevor sich irgendetwas ergibt. Die Zunge ist ein feines Organ und merkt je nach Lage sehr schnell einen anormalen Sekretauslauf – längst bevor die Untersuchungsmethoden anschlagen. Einzelne negative Untersuchungsbefunde sagen nichts aus, lediglich ein massiv positiver. Leider muss man feststellen, dass die Angaben des Patienten immer wieder missachtet werden. Der Patient hat 24 Stunden Zeit, den Sekretauslauf festzustellen, der Arzt meistens nur ein paar Minuten wenn man auf dem Zahnarztstuhl sitzt – er ist also auf die Angaben des Patienten angewiesen. Das Gefühl des Sekretauslaufs haben im Übrigen viele Patienten mit einer schweren Knochenentzündung. Ich kenne mittlerweile eine ganze Reihe davon. Die meisten erklärten, es schmecke immer wieder nach Blut oder Eiter, genau wie bei mir.
Die Ärzte stehen der Krankheit oft hilflos gegenüber. Ständige Antibiosen sind auch nicht hilfreich, man muss das genau abwägen (Nebenwirkungen, Bildung multiresistenter Keime). Vielleicht warst du auch schon in einer Kieferklinik/Uniklinik - bei dieser komplexen Krankheit kann man das nur empfehlen, auch wenn man bei mir in einer solchen Klinik der Sache nicht auf den Grund ging. Übrigens würde ich an deiner Stelle einen HNO-Arzt/Ärztin hinzuziehen, falls nicht schon geschehen. Der kann mit dem Endoskop von der Kiefernhöhle aus auf die Stellen im Oberkiefer schauen, gerade wenn die Kiefernhöhle (wie auch bei mir) schon eröffnet werden musste. Mir erklärte man, dass das Öffnen der Kiefernhöhle ein schwerer Eingriff sei und auch Folgeschmerzen verursachen könne. Man weiß also über die wahre Schmerzursache wenig bescheid, es kann alles sein. Das heißt aber nicht, dass man Entzündungen, Infektionen nicht mehr suchen muss!
Ganz wichtig für die Diagnostik und Therapie: Unter welchen Bedingungen wurde das BioOss eingebracht? Darüber hast du nichts geschrieben, sodass man keine fundierte Vermutung anstellen kann. Wurde in der Vorgeschichte vor mehr als drei Jahren schon einmal KEM eingebracht und gab es in der Folgezeit eventuell Beschwerden? Eigentlich sollten die Fragebögen der Ärzte so etwas enthalten (war bei mir nicht der Fall). Was war unmittelbar vor dem aktuellen Knochenaufbau vor drei Jahren: lag eine Entzündung oder Infektion vor, mussten Zähne deswegen gezogen werden oder ging es darum, längere Zeit bestehende Zahnlücken zu schließen? Wenn eine Entzündung /Infektion irgendeiner Art vorlag: wurde gewartet, bis sie vollständig abgeklungen war und noch einige Zeit darüber hinaus oder wurde nach dem Entfernen des Defekts sofort das Bio-Oss eingebracht? Hattest du Schmerzen, als das KEM eingebracht wurde? Dann würde mich der Befund nicht wundern. Bei Entzündungen oder Infektionen jeglicher Art darf das Knochenersatzmaterial laut Gebrauchsanweisung nicht eingebracht werden.
Das gleiche gilt für die Implantate: Wann wurden die Implantate eingebracht: mit dem Knochenersatzmaterial gleichzeitig oder später, nach einer längeren Einheilzeit für das KEM? War der Kiefer zum Zeitpunkt der Einbringung der Implantate längere Zeit entzündungsfrei und schmerzfrei? Wenn nicht, war es auf jeden Fall zu früh.
Prüfe, ob wirklich alles gemacht wurde. Versuche zu klären/klären zu lassen, ob das Knochenersatzmaterial wirklich vollständig entfernt wurde. Selbst kleine Reste können den Bakterien ein Versteck bieten und sie überleben lassen, trotz Antibiosen. Wurde vielleicht sogar nach dem Entfernen des alten KEM gleich neues eingebracht, um die Lücken zu schließen? Das wäre möglicherweise fatal.
Es wäre wichtig, das alles erst einmal zu klären. Lasse dir alle Unterlagen, die Patientenkartei, Rechnungen usw. geben und lasse das Ganze dann von einem unabhängigen Kieferchirurgen abklären. Scheue dich nicht, die Ärzte gründlich zu befragen! Du könntest dich in diesem Zusammenhang vielleicht auch an den Hersteller von Bio-Oss wenden, die Firma Geistlich Biomaterials und deinen Fall schildern (Schneidweg 5, 76534 Baden-Baden, Tel.: 072 23 96 24 0, Mail info@geistlich.de, Internet https://www.geistlich.de).
Zu den bildgebenden Verfahren: Ein DVT hat bei mir in der Rezidivphase (also nach dem Ausräumen von KEM und Implantaten) nichts gezeigt. Die OP sofort danach brachte einen Osteomyelitisbefund. Ich werde mich auf DVTs nicht mehr verlassen. Was die CTs und MRTs betrifft, so gibt es übrigens auch die Varianten SCEPT-CT oder PET-CT, sowie das PET-MRT-Fusionsgerät (gibt es z. B. in der Tübinger Uni-Klinik), speziell zur Detektion der Kieferosteomyelitis. Bitte „googeln“! Ob das in deinem Fall sinnvoll ist, kann ich nicht sagen, lass dich hierzu ärztlich beraten, vielleicht in einer Klinik, vielleicht kann auch der Hersteller des Bio-Oss etwas dazu sagen.
Die Osteomyelitis wird auch als „Chamäleon der Kieferchirurgie“ bezeichnet, weil die Diagnose sehr schwierig ist. Deshalb sind auch die richtige Einbringung des KEM und der Implantate besonders wichtig. Seitdem vermehrt mit Knochenersatzmaterial und Implantaten gearbeitet wird, ist nach meiner Recherche die Zahl der Knochenentzündungen gestiegen. Leider wird das offenbar im Land immer noch zu wenig ernst genommen. Da man bei dir das KEM und die Implantate entfernen musste, lag ja wohl ein Schaden vor. Wie mir immer wieder bestätigt wurde und ich auch selbst erleben musste kann es bei solchen Schäden zu vielen Rezidiven kommen. Schmerzen und Sekretauslauf wären dann verständlich. In dieser Situation von Psychosomatik zu sprechen scheint mir irgendwie unseriös. Ich selbst habe das auch erlebt. Anscheinend wird das besonders bei Frauen gern versucht. Ich würde den Arzt wechseln.
Zum Thema Blutdruck: Der erhöhte Blutdruck kann durchaus auch stressbedingt sein – für den Körper sind Schmerzen ein großer Stress. Versuche genug zu schlafen und deine Immunabwehr zu stärken. Gehe auch regelmäßig zu einem Internisten, um alle Werte kontrollieren zu lassen.
Ich wünsche dir, dass du bald Hilfe findest, vor allem auch Aufklärung und Wahrheit. Ich kenne dieses Leid genau.
Liebe Grüße
Walburga