Toxische epidermale Nekrolyse (TEN) und Schleimhäute (Mundraum)
siehe auch Stevens-Johnson-Syndrom
Die toxische epidermale Nekrolyse (TEN) ist eine seltene, aber lebensbedrohliche Erkrankung, die hauptsächlich durch Medikamente ausgelöst wird. Sie betrifft großflächig Haut und Schleimhäute – insbesondere auch den Mundraum – und führt dort zu erheblichen Beschwerden.
Definition und Beschreibung
TEN ist die schwerste Form eines Haut-Schleimhaut-Syndroms, das mit einer großflächigen Zerstörung und Ablösung des Epithels einhergeht. Charakteristisch ist das plötzliche Auftreten von Blasen, die rasch aufreißen; betroffen sind meist mehr als 30 % der Körperoberfläche sowie die Schleimhäute, insbesondere im Mund, an den Augen und im Genitalbereich.
Ursachen der TEN
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Medikamentenreaktionen: Über 80 % der TEN-Fälle werden durch Medikamente ausgelöst, z.B. Allopurinol, Sulfonamide, Antikonvulsiva (wie Phenytoin, Carbamazepin), bestimmte Antibiotika sowie andere Schmerz- und Rheumamittel.
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Die restlichen etwa 20 % der Fälle der toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) sind auf folgende Ursachen zurückzuführen:
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Infektionen (vor allem bei Kindern): Hierzu zählen virale Infekte (z. B. Herpes simplex, Mycoplasma pneumoniae) und seltener bakterielle Infektionen. Besonders Mycoplasma pneumoniae kann bei Kindern eine Rolle spielen – hierbei überschneidet sich das Krankheitsbild mit dem Stevens-Johnson-Syndrom („Mycoplasma-induced rash and mucositis“, MIRM)
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Idiopathische Fälle: In 5–10 % lässt sich trotz umfangreicher Diagnostik kein Auslöser identifizieren. Die Ursache bleibt hier unklar.
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Seltener: Manche Fälle scheinen im Zusammenhang mit Impfungen, malignen Erkrankungen oder Bestrahlungen zu stehen, aber diese sind extrem selten dokumentiert.
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Genetische Risikofaktoren: Ein erhöhtes Risiko besteht bei bestimmten HLA-Typen, etwa HLA-B*1502 bei asiatischen Patienten.
Wie häufig kommt es zu einer toxischen epidermalen Nekrolyse?
TEN ist sehr selten: Die Inzidenz liegt in Europa bei etwa 1 pro 319.000 Personen pro Jahr. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Das Risiko steigt deutlich mit dem Alter an. Die toxische epidermale Nekrolyse ist nicht an einen Lebensabschnitt gebunden und kann in jedem Alter auftreten.
Verlauf und spezifische Bedeutung für den Mundraum
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Erstsymptome: Grippeähnliche Beschwerden (Fieber, Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen) werden rasch von schmerzhaften Hautrötungen und Blasen gefolgt.
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Schleimhautbeteiligung: Beim Großteil der Betroffenen (85–95 %) sind die Schleimhäute in Mund, Rachen, Augen und Genitalbereich stark betroffen. Im Mundraum treten schmerzhafte Läsionen, Erosionen und Blasen auf.
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Diese können zu schweren Problemen bei der Nahrungsaufnahme, beim Sprechen und bei der Zahnpflege führen. In schweren Fällen ist eine enterale Ernährung nicht möglich, bis die Wunden abheilen. Die hohe Schmerzhaftigkeit und Entzündungsneigung machen intensive pflegerische Maßnahmen und eine regelmäßige professionelle Mundhygiene erforderlich.
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Durch ausgedehnte Schleimhautschäden steigt das Risiko für Sekundärinfektionen, was eine sorgfältige Überwachung und Infektionsprophylaxe nötig macht.
Tipp für Patienten: Kühlung des Mundraums, weiche und nicht reizende Speisen sowie spezielle Mundspüllösungen können die Beschwerden lindern und das Infektionsrisiko senken. Temporäre Zahnpflege mit Chlorhexidin- oder Kamillenpräparaten kann helfen, falls Zähneputzen zu schmerzhaft ist.
Diagnostik der TEN
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Die Diagnose basiert auf dem klinischen Erscheinungsbild (rasche Ausbreitung von Blasen, positive Nikolski-Zeichen, Mukosabeteiligung).
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Eine Biopsie (Hautprobe) bestätigt die Diagnose: Histologisch zeigen sich eine vollschichtige Nekrose der Epidermis und die Trennung von Dermis und Epidermis.
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Die Identifikation und das rasche Absetzen des auslösenden Medikaments sind entscheidend.
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Das prognostische Risiko wird mit dem SCORTEN-Score ermittelt, der Faktoren wie Alter, Hautbefall, Laborwerte usw. einbezieht.
Therapie der toxischen epidermalen Nekrolyse
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Sofortiges Absetzen des auslösenden Medikaments!
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Intensivmedizinische Betreuung: In spezialisierten Zentren (z.B. Verbrennungsstationen) werden Flüssigkeits- und Elektrolytverluste ausgeglichen, Wunden steril behandelt und Infektionen bekämpft.
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Immunmodulierende Therapien: Die Gabe von Immunsuppressiva, Kortikosteroiden, intravenösen Immunglobulinen oder TNF-α-Hemmern ist umstritten, kann aber in Einzelfällen erwogen werden.
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Neue Therapieansätze wie JAK-Inhibitoren werden erforscht.
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Supportiv: Schmerztherapie, ggf. künstliche Ernährung, antiseptische Mundspülungen.
Prognose
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Die Mortalitätsrate liegt in europäischen Studien bei Erwachsenen bei 25–35 % (bei Kindern niedriger, im hohen Alter und bei Komorbiditäten höher).
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Haupttodesursachen sind Infektionen (Sepsis) und Organversagen.
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Bei rascher Diagnose und optimaler Behandlung sind die Überlebenschancen deutlich besser; schwere Langzeitfolgen wie Vernarbungen, Augen- und Mundtrockenheit oder Schluckbeschwerden können zurückbleiben.
IMPLANTAT-SPEZIALISTEN IN IHRER NÄHE
S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der epidermalen Nekrolyse (Stevens-Johnson-Syndrom und toxisch epidermale Nekrolyse – SJS/TEN)“ (AWMF-Registernummer 013-103), Deutsche Gesellschaft für Dermatologie, Stand 11/2024. https://register.awmf.org/assets/guidelines/013-103l_S3_Diagnostik-Therapie-epidermale-Nekrolyse-Stevens-Johnson-Syndrom-toxisch-epidermale-Nekrolyse-SJS-TEN_2024-11.pdf
Mockenhaupt, M., et al. (2012). ‚Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis: Assessment of medication risks with emphasis on recently marketed drugs.‘ The British Journal of Dermatology, 166(6), 1197–1207. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1365-2133.2012.10863.x
Orphanet – Toxische epidermale Nekrolyse (TEN), Stand 2021. https://www.orpha.net/de/disease/detail/537