Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und Mundschleimhaut
Schmerzhafte Wunden und Blasen im Mund
Das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) gehört zu den seltenen, aber hochgradig gefährlichen Reaktionen des Körpers auf Arzneimittel oder Infektionen. Im Vordergrund stehen Blasenbildung, Ablösung der Haut und schwere Schleimhautbeteiligung. Für Betroffene bedeutet die Erkrankung massive Einschränkungen von Lebensqualität, Körperfunktion und unmittelbare Lebensgefahr. Besonders bedeutsam für Zahnmedizin und Implantologie ist der Befall der Mundschleimhaut: Hier entstehen großflächige, extrem schmerzhafte Läsionen, die Essen, Trinken und Mundhygiene nahezu unmöglich machen.
Die Differenzierung zum Krankheitsbild der toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) ist klinisch wichtig, da beide Entitäten ineinander übergehen können, sich aber in Schweregrad, Prognose und teilweise auch im therapeutischen Vorgehen unterscheiden.
Grossflächige Schleimhauterosionen
Wie häufig ist das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und welche Ursachen hat es?
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Häufigkeit: Selten (1–6 Fälle pro 1 Million Einwohner/Jahr).
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Auslöser: In bis zu 80% der Fälle Medikamente (z. B. Antiepileptika, Allopurinol, Sulfonamide, bestimmte Antibiotika und NSAR).
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Infektionen: Vor allem Mycoplasma pneumoniae, seltener virale Infekte.
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Risikofaktoren: Genetische Prädisposition (HLA-Assoziationen), Alter über 60 Jahre, Komorbiditäten.
Klinischer Verlauf
Das SJS beginnt oft mit unspezifischen Prodromen: Fieber, Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen. Wenige Tage später treten die charakteristischen Haut- und Schleimhautveränderungen auf:
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Haut: zunächst makulopapulöses Exanthem, dann Blasen, schließlich Ablösung großflächiger Areale (epidermale Nekrolyse).
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Augen: Konjunktivitis, Keratitis → Gefahr bleibender Sehbeeinträchtigungen.
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Mundhöhle: Früh betroffen, mit zentraler Bedeutung für Ernährung und Lebensqualität.
Manifestationen in der Mundhöhle
Die orale Beteiligung ist charakteristisch und klinisch hochrelevant:
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Schmerzhafte Wunden: Ulzerationen und Erosionen im Mund → Essen, Trinken und Schlucken oft unmöglich.
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Beteiligung der Lippen → Ablösung von Haut, massive Krustenbildung, Blutungen.
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Zahn- und Implantatpflege: Mundhygiene praktisch nicht möglich → Gefahr akuter Gingivitis, Plaqueakkumulation, sekundärer Infektionen.
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Langzeitfolgen: Vernarbungen der oralen Mukosa, Reduktion der Mundöffnung (Mikrostomie), optisch-ästhetische Beeinträchtigungen.
Für Patienten mit Zahnimplantaten kann dies bedeutend sein: die schmerzbedingte Unterbrechung der normaler Mundhygiene kann das Risiko von Periimplantitis oder Zahnverlust steigern!
Vergleich: Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) vs. Toxische Epidermale Nekrolyse (TEN)
Merkmal | Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) | Toxische Epidermale Nekrolyse (TEN) |
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Hautbefall (Körperoberfläche) | < 10% | > 30% |
Übergangsform | 10–30% | 10–30% |
Häufigkeit | sehr selten | extrem selten |
Mortalität | ca. 5% | 30–50% |
Auslöser | v. a. Medikamente, Infektionen | meist Medikamente |
Schleimhautbefall | fast immer | fast immer |
Typische Station | Intensivstation / Brandverletztenzentrum | Brandverletztenzentrum |
Behandlung des Stevens-Johnson-Syndrom
Akutmaßnahmen
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Sofortiges Absetzen des auslösenden Medikamentes.
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Stationäre Aufnahme (Intensivstation oder Brandverletztenzentrum).
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Supportivtherapie:
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Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich
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Schmerztherapie
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Wundversorgung wie bei großflächigen Verbrennungen
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Infektionskontrolle (Infektionen = Haupttodesursache).
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Augen- und Mundschleimhautpflege durch Spezialisten.
Medikamentöse Ansätze
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Kortikosteroide: umstritten, unter Studienbedingungen eingesetzt.
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Immunsuppressiva (z. B. Cyclosporin, TNF-α-Hemmer): in Einzelfällen.
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IVIG (intravenöse Immunglobuline): kein gesicherter Nutzen, aber teils angewendet.
Kostenabschätzung der Behandlung (Deutschland, Stand 2025)
Maßnahme | Kostenrahmen (ca.) |
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Stationäre Intensivtherapie | 3.000–4.500 € pro Tag |
Schwere Verläufe (>14 Tage) | 40.000–70.000 € |
Medikamentöse Zusatztherapie (z. B. IVIG) | 5.000–10.000 € |
Folgebehandlungen (zahnärztlich, implantologisch) | stark variabel (mehrere hundert bis tausend € abhängig von Rekonstruktion) |
👉 Im Vergleich: eine frühzeitige Diagnosestellung und konsequente supportive Therapie kann Kosten und Morbidität erheblich reduzieren.
Prognose des Stevens-Johnson-Syndroms
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Sterblichkeit: ca. 5% beim SJS, bis zu 50% bei TEN.
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Prognosefaktoren: Alter, Begleiterkrankungen, Ausmaß des Hautbefalls (SCORTEN-Score).
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Langzeitfolgen: Vernarbungen, Sehschäden, chronische Schleimhautprobleme, psychische Belastung.
Das Stevens-Johnson-Syndrom ist für Implantologie und Zahnmedizin nicht nur ein seltenes, sondern auch ein hochrelevantes Krankheitsbild. Die orale Beteiligung ist in der Praxis oft der limitierende Faktor für Ernährung, Flüssigkeitshaushalt und Mundhygiene. Für dentalmedizinisch tätige Ärztinnen und Ärzte gilt:
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Früherkennung (Blasen, Ulzerationen in der Mundhöhle nach Medikationseinleitung → sofortige Abklärung).
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Mundhygiene-Management: Während der akuten Erkrankung praktische Unmöglichkeit, danach intensive Nachsorge.
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Implantologische Relevanz: Periimplantitis-Risiko durch mangelnde Mundpflege, langfristige Narbenbildungen können orale Rehabilitation erschweren.
implantate.com-Fazit:
Das Stevens-Johnson-Syndrom ist eine schwerwiegende Arzneimittelreaktion mit lebensbedrohlichem Potenzial. Die orale Schleimhaut ist fast immer betroffen – für Zahnärzte und Implantologen bedeutet das: Ernährung, Mundhygiene und Langzeitprognose von Implantaten sind unter Umständen stark eingeschränkt. Früherkennung, interdisziplinäre Therapie und strukturierte Nachsorge sind entscheidend
IMPLANTAT-SPEZIALISTEN IN IHRER NÄHE
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