Pionierarbeit: DGI bringt mit weiteren Fachgesellschaften die ersten Leitlinien in der Implantologie auf den Weg
Intensive und konstruktive Diskussionen prägten die erste wissenschaftliche Konsensuskonferenz der DGI am 29. und 30. September 2010 in Aerzen bei Hameln. 50 Vertreter von 15 Fachgesellschaften und Verbänden begannen mit der Erarbeitung von Leitlinien zu vier wichtigen implantologischen Fragestellungen. Präsentiert werden die Konsensusstatements den DGI Mitgliedern erstmalig auf dem 24. Kongress der DGI in Hamburg. Die internationale Publikation folgt.
„Die Teilnehmer dieser Leitlinienkonferenz haben sehr konstruktiv und effizient gearbeitet“, bescheinigt Prof. Dr. med. Ina B. Kopp, Marburg, den 50 Repräsentanten von 15 Fachgesellschaften am Ende der ersten wissenschaftlichen Konsensuskonferenz der DGI, die am 29. und 30. September in der Nähe von Hameln stattfand. Das Ziel: Unter Federführung von DGI und DGZMK sollten die ersten Leitlinien nach AWMF Kriterien in der deutschen Implantologie auf den Weg gebracht werden.
Die Entscheidungsfreiheit in der Therapie zurückholen. DGI-Präsident Prof.. Dr. Dr. Hendrik Terheyden, Kassel, der Initiator des ehrgeizigen Vorhabens, äußerte sich am Ende der Tagung ebenfalls beeindruckt von der geleisteten Arbeit der vier Arbeitgruppen. Sein Ziel hatte er zu Beginn der Konferenz in einem Satz formuliert: „Wir holen uns durch diese Leitlinien die Entscheidungsfreiheit in der Therapie zurück.“ Denn es komme zunehmend vor, „dass Kostenträger die Kostenübernahme für sinnvolle Maßnahmen ablehnen und der Einsatz von Verfahren in Indikationen propagiert wird, wo diese vielleicht weniger sinnvoll sind.“ Leitlinien können helfen, diese Fremdbestimmung zurück zu weisen. „Entgegen mancher Befürchtungen sind sie keine Richtlinien oder Vorschriften, die ein bestimmtes therapeutisches Vorgehen starr vorgeben“, betonte der DGI-Präsident. „Vielmehr definieren sie einen Behandlungs-Korridor, in dem sich Kolleginnen und Kollegen bei ihrer Therapieentscheidung auf solider Grundlage sicher bewegen können. Leitlinien erzeugen daher therapeutische Freiheit und keine Einengung.“
Die Bedeutung von Leitlinien in der modernen (Zahn-)medizin erläuterte Ina Kopp zu Beginn der Tagung: „Die Qualitätssicherung ist Bestandteil des Sozialgesetzbuches V und damit Aufgabe der Fachgesellschaften. Institutionen, die wie das kurz IQWiG genannte Institut zur Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Therapieverfahren bewerten, orientieren sich beispielsweise an Leitlinien, wenn diese, wie jene der AWMF, die internationalen Anforderungen erfüllen. “ Dieses anspruchsvolle Regelwerk sorgt für einen strukturierten und transparenten Prozess.
Vier Arbeitsgruppen waren in Hameln angetreten, nachdem zuvor von allen Gruppen nach systematischer Auswertung der relevanten Literatur ein Entwurfstext der Leitlinie formuliert und unter den Teilnehmern zirkuliert hatte. Am weitesten kam der Leitlinienprozess in der Arbeitsgruppe „Indikation für die radiologische 3D Diagnostik und navigierte Implantatinsertion“, moderiert von Professor Dr. Dr. Jörg Wiltfang, Kiel.. Die Vorarbeiten dieser Gruppe wurden unter neutraler Moderation im nominalen Gruppenprozess und später in der Plenarsitzung konsentiert. Die S2k Leitlinie wird nun in der nächsten Stufe von den Vorständen der Fachgesellschaften geprüft und danach extern begutachtet. Das konsensbasierte Verfahren war bei dieser Leitlinie notwendig, weil in diesem neuen Gebiet aufgrund (noch) fehlender randomisierter und kontrollierter Studien keine systematische Aufbereitung der wissenschaftlichen Evidenz möglich ist. „Das Gebiet ist einfach noch zu jung“, betonte Professor Wiltfang, „als dass solche Studien schon vorliegen könnten.“
Moderiert von Prof. Dr. Bilal Al-Nawas, Mainz, beleuchtete eine andere Gruppe, in welchen implantologischen Indikationen die Anwendung von Knochenersatzmaterialien experimentell und klinisch wissenschaftlich belegt ist. Hier liegt derzeit der S1 Status als Konsensustatement vor, allerdings ist eine Weiterentwicklung auf S2 Niveau geplant.
Die Arbeitsgruppe zum Thema „Klinische Wertigkeit und Differentialindikationen für die festsitzende bzw. herausnehmbare Versorgung auf Zahnimplantaten im zahnlosen Oberkiefer“, moderiert von Prof. Dr. Stefan Wolfart, Aachen, strebt eine S2e-Leitlinie an. Bei dieser gehört eine systematische und vollständige Recherche durch Dritte und die Zusammenstellung und Bewertung wissenschaftlicher Belege ('Evidenz') zu den relevanten klinischen Fragestellungen zum Anforderungsprofil.
Prof. Dr. Henning Schliephake, Göttingen, moderierte die Arbeitsgruppe zum Thema „Indikationen von Maßnahmen zum Strukturerhalt der Alveolarkammgewebe bei Zahnextraktionen vor geplanter Implantattherapie“. Es wurde eine größere Zahl randomisierter, kontrollierter Studien identifiziert, die zeigen, dass die Auffüllung der Alveole nach Zahnextraktion geeignet ist, die Resorption des Kieferkamms post extractionem zu vermindern“, resümierte Schliephake im abschließenden Plenum. Allerdings können hieraus noch keine klinischen Schlussfolgerungen gezogen werden. Aufgrund des Konzeptes der vorliegenden Studien ist noch nicht klar, ob diese Resorptionsminderung sich auf implantatbezogene Parameter positiv auswirkt. Zur Alveolenfüllung in der Implantologie konnte von der Konferenz der aufgrund der derzeitigen Datenlage noch kein Statement pro oder kontra ausgesprochen werden.
Präsentiert werden die bis dahin vorliegenden Konsensusstatements auf dem 24. Kongress der DGI am 27. November 2010 in Hamburg. Die Publikation erfolgt danach.
Stufenklassifikation der AWMF-Leitlinien S1: Eine repräsentativ zusammengesetzte Expertengruppe der Fachgesellschaft(en) erarbeitet im informellen Konsens eine Empfehlung, die vom Vorstand der Fachge-sellschaft(en) verabschiedet wird.
S2k: Eine repräsentativ zusammengesetzte Expertengruppe der Fachgesellschaft(en) erarbeitet nach vorgegebenen Methoden Empfehlungen, die im Rahmen einer strukturierten Konsensfindung unter neutraler Moderation diskutiert und abgestimmt werden. Diese Empfehlungen enthalten keine Angabe von 'Evidenz'- und Empfehlungsgraden, da keine systematische Aufbereitung der 'Evidenz' zugrunde liegt, bzw. nicht möglich war. Eine Beschreibung zum methodischen Vorgehen (Leitlinien-Report) wird hinterlegt.
S2e: Um Leitlinien dieses Levels zu etablieren, ist eine systematische Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege ('Evidenz') zu den relevanten klinischen Fragestellungen erforderlich. Die Ergebnisse werden in einer 'Evidenz'-Tabelle zusammengefasst und das Ergebnis der Bewertung führt zur Feststellung der Stärke der 'Evidenz' ("Evidenzgrad").. Eine Beschreibung zum methodischen Vorgehen (Leitlinien-Report) wird hinterlegt.
S3: Bei einer S3-Leitlinie handelt es sich um eine evidenz- und konsensbasierte Leit-linie. Eine repräsentativ zusammengesetzte Expertengruppe der Fachgesellschaft(en) erarbeitet auf der Grundlage einer systematischen Recherche, Auswahl und Bewertung wissenschaftlicher Belege nach vorgegebenen Methoden Empfehlungen. Diese werden im Rahmen einer strukturierten Konsensfindung unter neutraler Moderation diskutiert und abgestimmt. Das Ergebnis führt zur Festlegung der Empfehlungsgrade A (starke Empfehlung), B (Empfehlung) oder 0 (offene Empfeh-lung). Eine Beschreibung zum methodischen Vorgehen (Leitlinien-Report) wird hinterlegt.