Zahnverlust, Herzinfarkt und Frühgeburten


Neben Karies ist Parodontitis – die Entzündung des Zahnhalteapparates –
die zweite große Mundkrankheit, die weltweit Millionen von Menschen
betrifft. Unbehandelt führt die Erkrankung fast immer zu Zahnverlust.
Aber dies ist bei weitem nicht die einzige Auswirkung. „Die Bakterien
aus der Mundhöhle können über die Blutbahn an andere Stellen des
Körpers gespült werden und dort Entzündungen auslösen“, erklärt Dr.
Jürgen Oberbeckmann, Leiter der Zahnklinik am Elisabeth-Krankenhaus in
Essen. „Wissenschaftliche Studien zeigen einen signifikanten
Zusammenhang zwischen Parodontitis und dem Risiko gefäßbedingter
Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Auch das Risiko von
Fehl- und Frühgeburten steigt erheblich an. Bei Menschen mit
herabgesetztem Immunsystem kann Parodontitis zudem Lungenentzündungen
oder andere Atemwegserkrankungen begünstigen.“ Aus diesen Gründen wird
in den letzten Jahren der Diagnose, Behandlung und Vorbeugung der
Erkrankung eine sehr große Bedeutung zugesprochen.

Bakterien und Enzyme greifen an

Parodontitis ist eine Infektionskrankheit. Die Hauptursache sind
Bakterien, die sich in Biofilmen – dem so genannten Plaque – auf den
Zahnoberflächen und dem Zahnfleisch festsetzen und dort stark vermehren
können. Je länger der Biofilm wachsen kann, desto aggressiver und
schädlicher werden die darin enthaltenen Keime. Durch die Bakterien
wird zunächst eine Zahnfleischentzündung hervorgerufen, die auf den
gesamten Zahnhalteapparat – also Zahnhals, Wurzelzement, Wurzelhaut und
Kieferknochen – übergreift und das Gewebe zerstören kann. „Die genauen
Mechanismen dieser Zerstörung sind noch nicht vollständig geklärt. Eine
entscheidende Rolle spielt dabei das menschliche Immunsystem. Um die
Keime zu bekämpfen werden entsprechende Enzyme gebildet. Diese greifen
jedoch nicht nur die Bakterien, sondern auch das Eigengewebe an.
Ergebnis sind Zahnfleischrückgang, tiefe Zahnfleischtaschen und
Knochenabbau. Am Ende lockern sich die Zähne und fallen aus.“

Gefahr erkennen

„In den meisten Fällen schreitet die Parodontitis relativ langsam
voran. Blutendes Zahnfleisch ist der erste und oft auch der einzige für
den Betroffenen wahrnehmbare Hinweis auf die Erkrankung,“ so
Oberbeckmann. „Da die Entzündung in den Tiefen der Taschen
fortschreitet, ist eine Eigendiagnose schwierig. Folgende Symptome
sollten daher vom Zahnarzt abgeklärt werden: Entzündungen, Rötungen,
Schwellungen und Berührungsempfindlichkeit des Zahnfleisches. Außerdem
können Mundgeruch, Eiterbildung am Zahnfleisch sowie
Zahnfleischrückgang Hinweise sein. Wenn Zähne bereits gelockert sind,
ist der Zahnhalteapparat leider meistens schon sehr stark geschädigt.
Etwa 15 Prozent der Bevölkerung leiden an der schweren Form der
Parodontitis, bei der große Schäden innerhalb relativ kurzer Zeit
entstehen.“

Auch wenn das Immunsystem und Bakterien für die Entstehung einer
Parodontitis verantwortlich sind, gibt es weitere begünstigende
Faktoren. Dazu gehört natürlich die schlechte Mundhygiene.
Oberbeckmann: „Bakterienherde können auch offene Zahnkaries oder
ungünstig lokalisierte Piercings in Lippe oder Zunge sein. Auch falsche
Putztechniken, bei denen das Zahnfleisch gereizt und verletzt wird,
fördern eine Entzündung. Da Parodontitis eine Infektionskrankheit ist,
sind auch Lebensgefährten mit bestehender Erkrankung ein Risiko. Wird
eine Parodontitis diagnostiziert, sollte sich daher auch immer der
Partner untersuchen und – wenn nötig – behandeln lassen. Raucher haben
ein bis zu sechsfach erhöhtes Risiko, eine Parodontitis zu entwickeln,
da Nikotin den Zahnhalteapparat angreift. Ist die Körperabwehr
herabgesetzt, können die schädlichen Bakterien leichter in die Tiefe
vordringen. Das ist beispielsweise bei einem schlecht eingestellten
Diabetes oder Erkrankungen des Immunsystems der Fall. Während der
Schwangerschaft lockert sich durch die Hormonumstellung das Bindegewebe
auf und das Zahnfleisch schwillt an – auch das macht den Bakterien das
Eindringen leichter.“

Für gesundes Zahnfleisch und feste Kieferknochen

Rechtzeitig und richtig behandelt kann einer Parodontitis fast immer
Einhalt geboten werden. Der Entzündungszustand sowie
entzündungsfördernde Faktoren müssen dafür beseitigt werden. Am Anfang
der Therapie steht eine umfassende Diagnostik. Art, Schwere und Verlauf
der Erkrankung werden bestimmt. Der Gesamtzustand des Gebisses, die
Zahnlockerung, die Tiefe der Taschen, der Zahnfleischrückgang und die
Mundhygiene des Patienten werden klinisch beurteilt. Außerdem wird
durch Röntgenaufnahmen diagnostiziert, ob es bereits zu Knochenabbau
gekommen ist. Durch einen DNA-Test – ein mikrobiologisches Verfahren –
lässt sich bestimmen, um welche Bakterien es sich handelt und in
welcher Menge sie auftreten. Je nach Ausbreitungsgrad der Erkrankung
werden nun entsprechende Maßnahmen ergriffen.

Zahnfleischentzündungen im Anfangsstadium lassen sich noch durch
konsequente Mundhygienemaßnahmen behandeln. Dazu gehört auch die
professionelle Zahnreinigung. Alle oberhalb des Zahnfleischrandes
gelegenen harten und weichen Beläge werden dabei entfernt. Dem
Patienten wird gezeigt, wie er zu Hause eine optimale Zahnpflege
betreiben kann. Durch verschiedene Spülflüssigkeiten kann das
Bakterienwachstum kontrolliert und verringert werden. So wird bei
vielen Betroffenen schon eine merkliche Besserung erreicht.

Bei fortgeschrittener Parodontitis muss die Bakterieninfektion in den
Zahnfleischtaschen beseitigt werden. „Dies geschieht durch die
konventionelle Kürettage, bei der die unterhalb des Zahnfleischrandes
liegenden Beläge entfernt werden“, so der Zahnarzt aus Essen. „Dieses
Säubern und Glätten der Zahnwurzel geschieht mit speziell geformten
Instrumenten und ultraschallbetriebenen Geräten. Stark entzündetes
Zahnfleischgewebe wird schmerzfrei unter Betäubung entfernt. In immer
mehr Fällen ergänzt der Laser dabei die chirurgische Behandlung. Die
Bakterien in den Zahnfleischtaschen werden so stark reduziert, die
Entzündung kann sich nicht weiter ausbreiten und der Heilungsprozess
wird in Gang gesetzt. Unter bestimmten Voraussetzungen – beispielsweise
bei der schnell verlaufenden Form der Parodontitis – ist es sinnvoll,
die Behandlung durch die Anwendung von Antibiotika zu ergänzen. Diese
können in Tablettenform verabreicht werden oder direkt in die
Zahnfleischtaschen eingebracht werden.“

Fortgeschrittene Entzündungen können heute aber nicht nur gestoppt
werden – in vielen Fällen kann man den angegriffenen Kieferknochen und
das Gewebe wieder aufbauen. „Ein Gel, das spezielle Proteine enthält,
wird dafür mikro-chirurgisch in den Knochen eingebracht“, erläutert
Oberbeckmann. „Nach einer Regenerationszeit von sechs bis neun Monaten
sind Knochen und Zahnfleisch wieder aufgebaut.“ So kann drohender
Zahnverlust vermieden werden.

Rückfallgefahr

„Jeder Betroffene muss sich darüber im klaren sein, dass selbst nach
erfolgreicher Beseitigung der Parodontitis die Gefahr des Rückfalls
besteht“, warnt Oberbeckmann. “Darum ist auch nach Beendigung der
eigentlichen Therapie eine regelmäßige Nachsorge nötig, um einem
erneuten Aufflammen der Entzündung entgegenzuwirken. Die wichtigste
Voraussetzung für den dauerhaften Behandlungserfolg ist die umfassende
und konsequente häusliche Mundhygiene.

Neben dem Zähneputzen sollte auf eine gute Zahnzwischenraumpflege und
eine Entfernung von Belägen auf dem Zungenrücken geachtet werden.
Daneben ist es wichtig, die bekannten Risikofaktoren zu minimieren. Die
professionelle Zahnreinigung sollte man drei- bis viermal im Jahr
durchführen lassen. Außerdem sind halbjährliche Kontrollen beim
Zahnarzt empfehlenswert. Bei erhöhtem Risiko, zum Beispiel durch eine
Schwangerschaft, können die Prophylaxeintervalle auch verkürzt werden,
um frühzeitig auf Veränderungen des Zahnhalteapparates reagieren zu
können.“

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999