Nächtliche Knirscher: Wenn Stress die Zähne ruiniert


Der Wecker klingelt, und mühsam schält sich der müde Körper aus dem Bett. Die Augen sind noch gar nicht richtig offen, da schmerzt bereits der Kiefer. Verspannt, wie bei einem starken Muskelkater, lässt er sich kaum bewegen, und der Druck zieht bis in die Schläfen. "Das sind Hinweise auf nächtliches Zähneknirschen, die man dem Zahnarzt unbedingt mitteilen sollte", sagt Prof. Stephan Doering, Leiter des Bereichs für Psychosomatik in der Zahnheilkunde der Universitätsklinik Münster.



Sowohl das Zähneknirschen als auch das Zähnepressen fallen in der Medizin unter den Begriff "Bruxismus". Pressen und Knirschen am Tage wird dabei vom nächtlichen Zähneknirschen unterschieden. Gerade nächtliche Knirscher sind sich ihres Leidens oft nicht bewusst. "Da ist es dann der Bettpartner, der das hört und sich beschwert", erklärt Prof. Doering. Tagsüber hingegen werde meist in stressigen Situationen gepresst: "Im Straßenverkehr, bei Prüfungen oder bei der Konzentration auf eine Aufgabe."


Dem Stress die Zähne zeigen

Die Ursachen sind unterschiedlich. Oft ist das Knirschen psychosomatisch und eine falsche Art der Stressbewältigung. "Das ist das abgeguckte Zähnefletschen der Tiere", sagt Privatdozentin Ingrid Peroz, Leiterin der Kiefergelenksprechstunde der Berliner Charité. "Leider dürfen Menschen bei Stress und Aggressivität nicht einfach losbrüllen. Stattdessen knirschen wir gegen uns selber." Die meisten Betroffenen seien zwischen 20 und 40 Jahre alt und in ihrer stressigsten Lebensphase.



Ebenso können Fehlstellungen des Gebisses oder nicht perfekte Füllungen, Brücken oder Kronen der Auslöser des Knirschens sein. Diese Unebenheiten werden unbewusst weggeknirscht. "Die Betroffenen versuchen, ihr "Kauwerkzeug" zu reinigen", erklärt Oliver Ahlers, Leiter des CMD-Centrum Hamburg-Eppendorf und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT). Nur sei eben ein schiefstehender Zahn kein vermeintlicher Speiserest, das Hindernis lasse sich daher nicht einfach wegkauen.


Alarmzeichen Kieferschmerzen

Nicht zuletzt können auch orthopädische Gründe, wie eine falsche Körperhaltung oder Störungen in der Wirbelsäulenfunktion, indirekten Einfluss auf die Kaumuskulatur haben. "Wenn es nicht nur einen Grund für das Knirschen gibt, sondern mehrere, kommt es zu Beschwerden", so Privatdozent Ahlers. Wenn die morgendlichen Kiefer- und Kopfschmerzen häufig auftreten, gilt es aufmerksam zu werden. "Auch Formveränderungen der Zähne oder glatt abgeriebene Schlifffacetten weisen auf nächtliches Knirschen hin", sagt Peroz. "Wenn der Betroffene den Verdacht hat, ein Knirscher oder Presser zu sein, sollte er seinen Zahnarzt unbedingt darauf hinweisen", sagt Prof. Stephan Doering. Denn für den Zahnarzt seien die Symptome nicht immer leicht zu erkennen. 


Ist der nächtliche Knirscher entlarvt, kommt meist eine Aufbissschiene zum Einsatz. "Diese ist aus transparentem Kunststoff und unterbindet zwar nicht das Knirschen, schützt aber die Zähne vor Abreibung", erläutert Ingrid Peroz. Die Schienen müssen über einen individuellen Kieferabdruck angefertigt werden. "Es gibt zwar auch vorgefertigte Aufbissbehelfe, die sind aber nur eine vorübergehende Lösung", fügt Oliver Ahlers hinzu.

Die innere Unruhe abbauen

Gegen die häufig vorkommenden psychosomatischen Ursachen hilft nur, die innere Unruhe und den Stress anderweitig abzubauen. "Man kommt schon zu mehr innerer Ruhe, wenn man sich im Leben und im Job realistische Ziele setzt und genug schläft", meint Oliver Ahlers. Sonst könne Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training oder Yoga helfen. "So kann man am Tage ein wenig gegensteuern, um die nächtliche Anspannung wieder aufzufangen", erklärt Peroz.


Es gilt, sich auch tagsüber immer wieder selbst zu kontrollieren, und zu überprüfen, wie sich die eigene Kaumuskulatur anfühlt: "Außer beim Schlucken haben die Zähne nichts aufeinander verloren", sagt Peroz. Sie sollten entspannt in den Muskelschlingen liegen und sich nicht berühren. "Das kann man erreichen, wenn man tief Luft holt, diese langsam wieder auspustet und dann in dieser Haltung die Lippen schließt", erläutert Peroz. Diese Kontroll-Übung lasse sich immer und überall leicht machen.


Kleine optische Erinnerungsreize können die Selbstbeobachtung erleichtern. "Das können rote Markierungspunkte im Auto, am Kühlschrank oder am Computerbildschirm sein", sagt die Privatdozentin Ingrid Peroz, Leiterin der Kiefergelenksprechstunde der Berliner Charité. "Immer wenn man diese sieht, sollte man in sich hinein denken und die Haltung des Kiefers kontrollieren." So könne man auf unbewusste Spannungen aufmerksam werden und diese im nächsten Schritt vermeiden.

Quelle: dpa

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999