Zahnärzteverband DAZ kritisiert schwere Mängel beim geplanten Präventionsgesetz
Der Deutsche Arbeitskreis für Zahnheilkunde (DAZ) lehnt den gestern vom
Bundeskabinett verabschiedeten Entwurf eines Präventionsgesetzes wegen
Überbürokratisierung, Ineffektivität und ungerechter Lastenverteilung
ab.
Seit seiner Gründung hat sich der DAZ der Förderung der Vorbeugung
verschrieben und bundesgesetzliche Regelungen, wie sie bspw. im Bereich
der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe etabliert wurden, gefordert und
unterstützt. Umso größer ist seine Enttäuschung über den jetzt
vorgelegten Entwurf. Der in einem schwer überschaubaren Paragrafenwerk
beschriebene gesetzliche Rahmen droht vieles in Bürokratie und
Verregelung zu ersticken und bereits funktionierende
Präventionsmaßnahmen sowie die Gesundheitsförderung nach dem wirksamen
Prinzip der Selbstbestimmtheit zu erschweren. Weitere grundsätzliche
Mängel des Gesetzes sind die Finanzierung einer
gesamtgesellschaftlichen Aufgabe aus den Töpfen der Sozialversicherung
und die unzureichende Konkretisierung dessen, wie durch Prävention
benachteiligte Bevölkerungsgruppen verstärkt gefördert werden sollen.
Das Präventionsgesetz beschreibt zum Teil Aufgaben, die sich auf
die Bevölkerung im allgemeinen beziehen und die Menschen unabhängig von
ihrem Versicherungsstatus zu Gute kommen. Jedoch soll als Träger und
Finanzierer dieser Maßnahmen lediglich die gesetzliche
Sozialversicherung in die Pflicht genommen werden. Eine solche
einseitige Verteilung gibt es bereits im Bereich der zahnmedizinischen
Gruppenprophylaxe, wo seit Jahren privatversicherte Kinder und
Jugendliche in Programmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
kostenlos mitbetreut werden. Die Private Krankenversicherung (PKV)
wehrt sich mit juristischen Argumenten erfolgreich gegen eine
Beteiligung und kann beim Präventionsgesetz die gleichen Argumente
geltend machen. Der DAZ lehnt es eindeutig ab, Lasten für die
Sozialversicherungsträger festzuschreiben, solange die Beteiligung der
privaten Seite ungeklärt ist. Entweder muss (nicht-personenbezogene)
Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe von allen
Versicherungsträgern gemeinsam oder aber ausschließlich über Steuern
finanziert werden.
Die Umleitung von Finanzmitteln der Gesetzlichen Sozialversicherung,
deren verschiedene Zweige immer wieder selbst mit Defiziten zu kämpfen
haben, wird neue Lücken aufreißen. Problematisch ist es, wenn
Therapie/Rehabilitation/Pflege und Prävention gegeneinander ausgespielt
werden und die Hilfe für Kranke zu Gunsten von Leistungen für Gesunde
beschnitten wird.
Im übrigen droht nach Ansicht des DAZ aufgrund der vorgeschriebenen
Umschichtungen das Ende mancher gut funktionierenden
Präventionsaktivität. Zwar sollen bereits bestehende Initiativen durch
eine Übergangsregelung integriert werden. Aber es ist zu fürchten, dass
vieles, was nicht in die neuen Schemata passt oder was sich seines
Initiativcharakters wegen nicht integrieren will, unter dem neuen
Gesetz zu Grunde gehen wird. Gesundheit hat immer auch etwas mit
Selbstbestimmtheit und Kreativität zu tun.
Insgesamt läßt ein Blick auf die Höhe der vorgesehenen Mittel (250
Millionen Euro) Zweifel entstehen, ob damit überhaupt nennenswerte
Präventionsaktivitäten entfaltet werden können. Noch fraglicher
erscheint dies, wenn man die neu zu etablierenden Strukturen
betrachtet. Mit der geplanten Stiftung und ihren verschiedenen Organen
(Stiftungsrat, Kuratorium, Vorstand, Beirat) wird ein neuer
Bürokratiekomplex geschaffen, der allein für den eigenen Unterhalt
einen beachtlichen Teil der Ressourcen verbrauchen wird. Der
Abstimmungsbedarf zwischen den weiteren Beteiligten auf verschiedenen
Ebenen und in verschiedenen Institutionen dürfte gigantisch werden und
ebenfalls beträchtliche Mittel verschlingen. Die zahlreichen Seiten des
Gesetzentwurfs, die den neuen Gremien und Details bis hin zu
Reisekostenregelungen gewidmet sind, sprechen für sich.
Schließlich gilt es zu hinterfragen, ob das Gesetz dem von ihm selbst
formulierten Anspruch, in besonderer Weise die Förderung
benachteiligter Bevölkerungskreise zu bewirken, auch gerecht wird.
Bisherige Programme und Maßnahmen der Gesundheitsförderung erzielen
Verbesserungen eher bei dem Teil der Bevölkerung, der ohnehin schon
eine günstigere Ausgangslage hat. Somit verschärft Prävention die
gesellschaftliche Ungleichheit, anstatt sie zu mindern. Um sozial,
gesundheitlich und bildungsmäßig benachteiligte Menschen zu erreichen,
müssen ganz besondere Strategien angewandt werden. Im Bereich der
zahnmedizinischen Prophylaxe (z.B. in Bezug auf Migranten) gibt es
hierzu bereits erprobte Programme. Das Präventionsgesetz jedoch läßt
hinsichtlich seiner sozialkompensatorischen Zielsetzung die nötigen
Konkretisierungen vermissen.
Der Ansatz, in die "Lebenswelten" der Menschen hineinwirken zu wollen,
dürfte hier am ehesten in die richtige Richtung weisen. Er fusst auf
Erkenntnissen der Sozialmedizin und der Public Health Forschung, die
besagen, dass man nicht nur beim Verhalten ansetzen kann, sondern auch
Verhältnisse günstig gestalten muss, damit Menschen
Gesundheitsbewusstsein entwickeln und gesund leben können. Jedoch
dürfte sich der Gesetzgeber hier völlig übernommen haben. 250 Millionen
Euro und einige neue Gremien werden nicht in der Lage sein,
Veränderungen gerade in sozial benachteiligte Kreise und in weitgehend
oder völlig private Lebensbereiche hineinzutragen. Es wäre
wahrscheinlich realistischer, wenn der Staat seine
Einwirkungsmöglichkeiten auf Bildungswesen und Medien, die einen großen
Einfluss auf das Gesundheitsverhalten haben, nutzen würde, um hier die
gesundheitserzieherischen Elemente zu stärken.
Wiederholt wird im Gesetz die Forderung nach Evidenz-Basierung erhoben.
Sie ist im Kern zu unterstützen, wird aber angesichts der in der
Medizin allgemein geringen Evidenzbasis zum Verhinderungsmittel, wenn
Evidenz zur zwingenden Voraussetzung für Präventionsmaßnahmen gemacht
wird.
Begrüßen würde der DAZ die Einrichtung eines beim BMGS angesiedelten
Koordinierungsreferates für Präventionsprogramme. Wünschenswert wäre
ferner, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),
die den Status einer selbständigen Bundesoberbehörde erhalten soll,
sich nicht überwiegend nur in der Sucht- und Infektionsprophylaxe
sondern ebenso in den übrigen Feldern der Prävention betätigt und
Aufgaben der Szenebeobachtung und Öffentlichkeitsarbeit für Prävention
allgemein übernimmt.
Quelle: Quintessenz