Zentrale Fragestellungen der vorliegenden Literaturauswahl sind, inwieweit Implantate bei Patienten mit funktionellen Störungen verwendet werden können und ob Implantate erfolgreich zu einer Beseitigung von Funktionsstörungen beitragen können.
Zu den funktionellen Parametern, die einen Einfluss auf die Implantatbehandlung haben bzw. die mittels einer Implantatversorgung potenziell beeinflusst werden könnten, zählen die Okklusion, Störungen des craniomandibulären Systems (CMD) sowie der Tag- bzw. Nachtbruxismus. In Bezug auf Okklusion und Funktion beschäftigt sich ein großer Teil der Untersuchungen mit den Effekten, die infolge einer okklusalen Überbelastung auf Implantate zu beobachten sind.
Im Rahmen eines Review zu tierexperimentellen Studien konnten erhöhte Risiken für periimplantäre Knochenverluste bei okklusaler Überbelastung nur bei gleichzeitigem Vorhandensein von Plaque beobachtet werden [Chambrone, et al., 2010]. Der Einfluss eines Plaque-induzierten erhöhten krestalen Knochenverlustrisikos im Rahmen von Tierstudien wird von einer weiteren Übersichtsarbeit bestätigt [Naert, et al., 2012].
In Bezug auf den Einfluss einer okklusalen Überlastung auf den krestalen Knochen und biomechanischen Komplikationen bei Implantaten liegen bei Humanstudien widersprüchliche Erkenntnisse vor. Einerseits werden erhöhte Risiken für periimplantäre Knochenverluste und biomechanische Komplikationen identifiziert [Fu, et al., 2012, Hsu, et al., 2012]. Andererseits konnten in einer weiteren systematischen Übersichtsarbeit keine erhöhten Risiken ermittelt werden, was auf die eingeschränkte Studienlage zurückgeführt wurde [Naert, et al., 2012].
Bei implantatgetragenen Freiendversorgungen konnte kein negativer Einfluss auf die implantatprothetischen Überlebens- und Erfolgsraten sowie auf krestale Knochenverluste bei Implantaten beobachtet werden. Allerdings traten weniger technische Probleme bei Vermeidung von Freiendversorgungen bzw. bei kurzen Freiendsätteln auf [Freitas da Silva, et al., 2018].
Unterschiede in der taktilen Perzeption bei funktioneller Belastung zwischen Implantaten – die so genannte „Osseoperzeption“ – und natürlichen Zähnen sowie der Einfluss einer implantatprothetischen Versorgung auf Aktivitätsänderungen im Bereich der Kaumuskulatur sind ebenfalls Gegenstand mehrerer Untersuchungen.
Die aktive taktile Sensibilität ist bei Implantaten nicht nur über die desmodontalen Fasern der natürlichen Zähne im Gegenkiefer, sondern durch die Osseoperzeption der Implantate selbst bedingt, wie eine Reihe randomisierter klinischer Studien zeigen konnte [Enkling, et al., 2012, Enkling, et al., 2010, Kazemi, et al., 2014].
Dabei ist die Schwelle zur taktilen Wahrnehmung sowie der Unterscheidung verschieden dicker Okklusionsfolien bei Implantaten gegenüber natürlichen Zähnen signifikant erhöht, wie eine Metaanalyse aus dem Jahr 2014 zeigen konnte [Higaki, et al., 2014].
Die Fähigkeit zur Osseoperzeption scheint dabei bei Patienten, die mit einer implantatprothetischen Rekonstruktion versorgt worden waren, zu einer Verbesserung der Muskelfunktion im Vergleich zu Patienten mit konventionellen Totalprothesen zu führen [Mishra, et al., 2016]. Zum Einfluss von implantatprothetischen Rekonstruktionen auf eine CMD ist die Studienlage äußerst eingeschränkt. In einer der vorliegenden klinischen Untersuchungen konnte drei Jahre nach einer implantatprothetischen Versorgung von Patienten mit moderaten bis starken CMD-Befunden beim überwiegenden Teil dieser Patienten ein Rückgang der CMD-Symptomatik sowie eine Besserung des Kauvermögens beobachtet werden [Bergendal und Magnusson, 2000].
In einer weiteren Untersuchung konnten bei Patienten mit einer Kiefergelenkarthrose nach einer zweieinhalb- bis zehnjährigen Tragezeit implantatgestützter prothetischer Restaurationen keine negativen Effekte auf die craniomandibuläre Erkrankung beobachtet werden [Engel, et al., 2001].
Eine weitere Studie aus Mitte der 1990er-Jahre ergab bei Patienten mit CMD-Problemen kondylären Ursprungs nach Versorgung mit implantatgetragenem Zahnersatz eine Reduktion der Schmerzsymptomatik und der Kiefergelenkgeräusche sowie eine Erhöhung der Unterkieferbeweglichkeit [Engel und Weber, 1995].
Bei Bruxismus-Patienten, deren Beschwerden muskulären Ursprungs waren, konnte während der Nachbeobachtungsphase keine Besserung der CMD-Problematik beobachtet werden. Ein gesicherter Zusammenhang zwischen Bruxismus und einem erhöhten CMD-Risiko ist anhand der derzeitigen Studien- lage schwierig zu erbringen [Manfredini und Lobbezoo, 2010], er kann aber angenommen werden [Jimenez-Silva, et al., 2017].
Bruxismus, und insbesondere dessen Einfluss auf die Implantatüberlebensraten, ist Bestandteil einer größeren Anzahl klinischer Studien und systematischer Übersichtsarbeiten.
Aussagen zu Zusammenhängen zwischen Bruxismus und einer erhöhten Implantatverlustrate sind dabei in der Literatur uneinheitlich. Ein Teil der zu Bruxismus und Implantaten veröffentlichten Publikationen geht lediglich von erhöhten technischen Komplikationen aus. In diesen Veröffentlichungen war weder ein Einfluss auf die Implantatüberlebensraten erkennbar [Johansson, et al., 2011, Salvi und Bragger, 2009] noch gingen die Autoren von erhöhten biologischen Komplikationen aus [Bragger, et al., 2001, Manfredini, et al., 2014].
In einer systematischen Übersichtsarbeit konnten aufgrund der limitierten Studienlage und der Studiendesigns keine Zusammenhänge zwischen Bruxismus und einer verminderten Osseointegration sowie einer reduzierten Implantatüberlebensrate ermittelt werden [Chrcanovic, et al., 2015].
Eine Kohortenstudie [Chitumalla, et al., 2018] und eine Metaanalyse [Zhou, et al., 2016] ergaben im Gegensatz dazu sowohl erhöhte technische als auch biologische Komplikationsraten implantatgetragener Versorgungen bei Patienten mit Bruxismus im Vergleich zu Non-Bruxern. Erhöhte Implantatverlustraten wurden in einer Reihe von Kohortenstudien ermittelt [Chrcanovic, et al., 2017a, Chrcanovic, et al., 2017b, Chrcanovic, et al., 2018, De Angelis, et al., 2017, Mohanty, et al., 2018].
In einer Querschnittsuntersuchung wurde Bruxismus zwar nicht ausdrücklich als Risikofaktor für die Entstehung einer Periimplantitis genannt. Eine okklusale Abnutzung als Anzeichen parafunktioneller Habits wurde jedoch als eine von fünf hauptsächlichen Risikofaktoren identifiziert [Dalago, et al., 2017].
Bruxismus ist sehr gut und effektiv mittels einer Polysomnografie im Schlaflabor diagnostizierbar [Tosun, et al., 2003]. Zusammenhänge zwischen Bruxismus und einer Obstruktiven Schlafapnoe (OSA) konnten in einer Kohortenstudie ermittelt werden, die bei Patienten mit implantatgetragenen Versorgungen in einem Schlaflabor durchgeführt wurde [Anitua, et al., 2017].
Bei Probanden mit einer diagnostizierten schwerwiegenden OSA waren die technischen Komplikationen dabei deutlich erhöht. Der Einsatz von Okklusionsschienen gilt als effektive präventive Maßnahme zum Schutz vor technischen Komplikationen [Kinsel und Lin, 2009, Koenig, et al., 2013].