Sofortbelastung von Implantaten Pro und Contra

Pro & Contra aus der PIP Ausgabe 1/2010

Argumente für und wider der sofortigen Belastung von Zahnimplantaten, jeweils vorgetragen aus unterschiedlicher zahnärztlicher Sicht.

Argumente Pro

Seit 2001 zeigt sich eine rasant ansteigende Zunahme der wissenschaftlichen Literatur, bis hin zur derzeitigen Verzehnfachung der Publikationen zum Thema Sofortbelastung in der Implantologie.
Leitlinien zur Sofortversorgung und Sofortbelastung auf Implantaten wurden in dieser Zeit beim Implants World Congress Consensus Meeting in Barcelona (2002), bei der 3. ITI-Konsensuskonferenz in Gstaad (2003), bei der Immediate Function Consensus Conference in Hollywood (2003), seitens der DGI (2004) und bei der EuCC des BDIZ EDI in Köln (2006) veröffentlicht. In allen Fällen war das Ergebnis, dass bei Patienten mit einer guten periimplantären Knochenqualität und bei einer s

icheren Primärstabilität des Implantates eine Sofortbelastung und auch langfristige Prognose der Versorgung den verzögerten Implantationen vergleichbar ist. Der Grund für dieses Interesse liegt auf der Hand: Sowohl für unseren Patienten als auch für uns ist diese Vorgehensweise besonders attraktiv und auch lukrativ. Viele Patienten schrecken vor Implantatversorgungen mit langen Heilintervallen und multiplen Eingriffen zurück, sowohl hinsichtlich ihrer in diesem Zeitraum eingeschränkten Lebensqualität als auch aufgrund der Kosten. Nach meinen Beobachtungen ergeben sich bei einer Sofortbelastung unter sorgfältiger Auswahl der Indi

kation und ausreichender Aufklärung des Patienten und entsprechend guter Compliance keine Nachteile zu einer konventionellen Implantation mit Spätversorgung. Eine Sofortimplantation reduziert in diesen Fällen vielmehr den befürchteten Knochenabbau und bietet damit auch eine wesentliche Voraussetzung für einen speziell bei vestibulären Versorgungen wichtigen Weichgewebserhalt.

Keiner sagt dabei, dass die Sofortbelastung eine Standardlösung sein kann und darf. Sie bedarf einer besonders umfassenden Diagnostik und prothetischen Planung und des sorgfältigen Ausschlusses einer ganzen Reihe von bislang zu schlecht dokumentierten prothetischen Versorgungen wie implantatgetragenen Deckprothesen oder festsitzende Prothetik im teilbezahnten Kiefer. Klar abgrenzen sollte man daneben Risikofaktoren wie funktionale Überbelastungen, schädliches Verhalten wie z.B. Rauchen oder Alkoholabusus, Infektionen u.a.m.

Argumente Contra

Zunächst einmal herrscht immer noch große Unsicherheit bei der genauen Definition: Viele sprechen von „Sofortbelastung“, meinen aber eine Sofortversorgung, bei der der Zahnersatz zwar eingegliedert, aber aus der Okklusion genommen wird. Die Sofortbelastung bedeutet dagegen direkten Okklusionskontakt am Tag der Implantation oder innerhalb von 72 Stunden nach Implantation. Wieso ist eigentlich noch

keiner mit dem Vorschlag gekommen, eine Schwangerschaft auf 6 Monate zu reduzieren? Ich kenne eine Reihe Mütter, die von dieser Idee begeistert wären – und sicherlich fänden sich auch Volkswirte, die uns den Nutzen einer solchen Verkürzung vorrechnen könnten. Der Grund ist ganz ein- fach: Die Natur braucht ihre Zeit, ihr sehr komplexes und wunderbares Werk zu vollenden.

Wie kann es sein, dass wir einerseits auch in aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen einräumen müssen, dass uns Biologie und Biochemie der Osteogenese, der Osteoneogenese und der implantologischen Osseointegration ungebrochen Rätsel aufgeben und auf der anderen Seite versuchen, auf der Grundlage heutigen Wissens Standardprotokolle für eine mit multiplen Risiken behaftete Sofortversorgung zu etablieren? Dabei drängt sich mir bisweilen der Eindruck auf, dass, egal, womit wir versuchen sie zu übertölpeln, die Natur sich ihr Recht holt: Mit verzögertem und unerklärlichem Einsetzen verstärkter Osteoklastenaktivität und unvorhersehbarem Knochenabbau in scheinbar gut versorgten Bereichen, mit trotz sorgfältiger Diagnostik des Gingivatyps negativen Weichgewebsreaktionen usw..

Mich irritiert zudem, dass trotz der Mengen an Publikationen mit dokumentierten Erfolgen in den letzten Jahren in der Praxis die Sofortbelastung noch verhältnismäßig wenig angewendet wird – mag es am Ende daran liegen, dass viele chirurgisch versierte Implantologen den prothetischen Herausforderungen dieser besonderen Behandlung nicht gewachsen sind?

Zunehmend gewinne ich daher den Eindruck, nach einer Phase des Hypes geht es auch auf Fortbildungen und Kongressen inzwischen wieder weg von der „sexy“ Sofortbelastung, hin zu langfristig angelegten Strategien mit vorhersagbaren (Erfolgs-) Ergebnissen.
Wenn wir inzwischen in so vielen Bereichen vorhersagbar sicher und mit langfristig guten Ergebnissen implantieren können - wieso wollen wir uns dann mutwillig etwas einbrocken, was unsere Patienten und wir später mühsamst auslöffeln müssen?

implantate.com-Fazit.

Man soll sich gut überlegen, wann man ins höherer Risiko geht.

 

 

Letzte Aktualisierung am Montag, 02. April 2018