Verfasst am 29. 10. 2019, 17:45
Mitglied seit 25. 10. 2008
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hallo Chrissi,
Deine Argumentation ist gut nachvollziehbar, aber einfach ist es dennoch nicht. Eine gute Lektüre um dich vorzubereiten ist „Ärztepfusch – und jetzt?“ von Britta Konradt (Medizinerin und Rechtsanwältin). Auf jeden Fall eine Chronologie der Behandlungen anfertigen, als Aufzählung, mit Datum, Behandler (auch Untersuchungen bei einem anderen ZA, beim Neurologen, etc.), Art der Behandlung, Aufnahmen, Schmerzen und Maßnahmen dazu. Alles durchnummeriert. Dies zum einen für den Anwalt, zum anderen für das Gericht. Je besser die Beschreibung der Sachlage, desto besser wird sie verstanden.
Ich antworte der Reihe nach. Dazu habe ich die Zitate selbst eingefügt, da satzweise Zitieren leider nicht funktioniert.
[Zitat]: Wie du schon schreibst, habe ich gute Chancen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Ich muss es wohl oder übel darauf ankommen lassen. [Ende]
Als erstes musst du dir überlegen ob du dir den Prozess leisten kannst. Wenn du ihn verlierst, bleibst du auch noch auf die Gerichts- und Anwaltskosten sitzen – eventuell auch noch auf die Kosten eines Privatgutachtens.
[Zitat]: Es darf doch nicht sein dass, Ärzte aus Selbstüberzeugung sich an Patienten austoben können und nicht dafür gerade stehen wenn sie was falsch gemacht haben [Ende]
Das ist vom logischen Denken richtig. Doch die allererste Frage, die beantwortet werden muss, ist, ob es - juristisch gesehen - denn ein Behandlungsfehler IST. Da kommt der Gerichtsgutachter ins Spiel. Und wie gesagt, diese sind häufig sehr „erfinderisch“.
[Zitat]: Der gröbste Fehler denn ich sehe ist folgender: es wurde bei mir vor der Implantat OP im Unterkiefer kein DVT oder CT gemacht, obwohl ich schon mal an der Stelle zwei Implantate hatte die bereits entfernt wurden. [Ende]
Das gilt es zu klären! Als erstes muss dein Anwalt diesen Verdacht auf Behandlungsfehler in der Klage präzise vortragen (Zahnentfernung, erste Implantatsetzung, Grund der Entfernung, Beschwerden, Verdacht auf Behandlungsfehler; zweite Implantation, zeitliche Distanz zur ersten Implantation, Planung, eventuell Rö-Aufnahme, Beschwerden, Grund der zweiten Entfernung und Hinweis auf fehlendes DVT oder CT als Behandlungsfehler) ). Daraufhin wird der Richter dem Gutachter folgende Frage stellen (schriftlich): „Hätte vor der zweiten Implantation zwingend ein DVT oder CT angefertigt werden müssen? Welche Befunde hätten sich wahrscheinlich ergeben? Hätte die zweite Implantation demnach unterbleiben müssen?“ Wenn der Gutachter darauf antwortet, „diese Aufnahmen wären durchaus empfehlenswert gewesen, aber da ein zweites mal implantiert wurde, haben die Voraussetzungen offensichtlich vorgelegen. Die Nachimplantation hätte demnach nicht unterbleiben müssen“ (ich weiß, es klingt total unlogisch, aber ich berichte aus einem realen Fall, der deinem sehr ähnlich ist). Dann wird der Richter zu der Feststellung gelangen, dass es - im juristischen Sinne - eben kein grober Behandlungsfehler gewesen ist! Der Gegenbeweis ist nur mit einem Privatgutachten zu erbringen. Die richtigen Fragen dazu muss der Betroffene selbst stellen. Hier möchte ich darauf hinweisen, dass die erste Implantation mit 9 mm Implantatlänge schon ein grober Behandlungsfehler gewesen sein kann, weil dieser vermutlich noch tiefer in den Kanal hineingeragt hat (Aufnahmen?). Verdacht auf fehlerhafte Messung. Jeder einzelner Verdacht muss vorgetragen werden - also nicht nur auf die zweite Implantation schauen.
[Zitat]: Nachdem ich mich ein bisschen umgeschaut habe, habe ich einige Urteile gefunden die zu einem Schmerzensgeld aufgrund einer Nerv Verletzung in Höhe von 6.000 und mehr Euro geführt haben.[Ende]
Es müssen die erste Implantation (OP), Schmerzen, Explantation (OP), Wartezeit, zweite Implantation plus Knochentransplantation (OP), Schmerzen, zweite Explantation (OP) sowie die noch anstehende Behandlung für die Feststellung des Schmerzengeldes berücksichtigt werden. Da hilft der Anwalt.
[Zitat]: Sicherlich ist jeder Urteil individuell und jeweils von den Folgen der Behandlung abhängig. Da ich jetzt noch überhaupt nicht einschätzen kann ob die Nervverletzung lebenslang bestehen bleibt oder auch nicht, wird ein Urteil bestimmt langwierig und teuer. [Ende]
Dass noch keine Einschätzung abgegeben werden kann, spielt keine Rolle. Der Rechtsanwalt wird vortragen, dass die Taubheit in Lippe und Kinn sowie Schmerzen an den Nachbarzähnen zum Zeitpunkt der Klage vorliegen und noch nicht absehbar ist, ob sie dauerhaft bestehen bleiben. Dafür gibt es genaue juristische Formulierungen. Dem wird, wenn in der Folge ein grober Behandlungsfehler festgestellt wird, Rechnung getragen. Die Dauer des Prozesses wird dadurch nicht beeinflusst.
[Zitat]: Und wer auch immer diese Rechnung bezahlen wird, wird sehr tief in die Tasche greifen müssen.[Ende]
Recht haben und Recht bekommen sind zwei Paar Schuhe. Ich wünsche dir, dass du es schaffst.