Dentale Implantologie - ist die Party vorbei?

Pro & Contra aus der PIP Ausgabe 2/2015

Der bisher ungebremste Wachstumsmarkt Zahnimplantate ist ins Stocken geraten. Wie geht es nun weiter?

Argumente Pro


Allein mit der Formulierung, eine zahnmedizinische Therapieoption als „Party“ zu bezeichnen steht zu hoffen, dass diese vorbei ist. Tatsächlich hatten sich mit der heute oft als „Implantologie-Hype“ bezeichneten dynamischen Entwicklung der dentalen Implantologie in den 80er und 90er Jahren teilweise Auswüchse entwickelt, die sogar dazu führten, dass das neue Fachgebiet als „Rotlichtbezirk der Zahnmedizin“ bezeichnet wurde. Vollmundige, unhaltbare Versprechungen wie „Zähne in einer Stunde“ zählten ebenso dazu wie die Forderung, dass in jede der ca. 13 Millionen Extraktionsalveolen in Deutschland zwangsläufig und sofort eine Schraube müsse. Absolut unzureichend ausgebildete Kollegen, die sich an hochkomplexe chirurgische Fälle wagten und konsequent scheiterten ebenso wie eine Flut phantasievoller Zertifizierungen von Industrieunternehmen oder privaten Fortbildungsinstituten und Universitäten täuschten fast darüber hinweg, dass schon damals eine große Zahl von Kollegen sehr besonnen und seriös an diese neue, für viele Patienten vielversprechende und segensreiche Therapieoption herangingen.

Dass sich nicht mehr so viele unbekümmerte „Partygänger“ finden, sehe ich ausschließlich als Vorteil. Auch sehe ich keine Katastrophe darin, dass sich die Zahl der in Deutschland gesetzten Implantate von um eine Million im Jahr seit Jahren nicht explosionsartig weiterentwickelt. Auch wenn ich vermute, dass die Zahl sich mit den nachwachsenden Best-Agern und ihrem ausgeprägten Fitness- und Anti-Aging-Bewusstsein bald um die 2,5 Millionen im Jahr einpendeln wird, sind andere zahnmedizinische Disziplinen wie die Parodontologie, die Endodontie, und nicht zuletzt die konservierende ZHK und Prophylaxe in den letzten 20 Jahren auch nicht stehengeblieben, sodass heute mancher Zahn erhalten werden kann, der einst verloren gegeben werden musste. Und wie pflegt Prof. Jan Lindhe immer so schön zu sagen: „Wenn wir uns so sehr freuen, dass ein Zahnimplantat funktioniert, sollten wir darüber nicht vergessen, dass der natürlich Zahn auch funktioniert.“

In den 80er und 90er Jahren hätte es kaum jemand gewagt, in einer Diskussion eine Therapie-Alternative zur Implantologie aufzuzeigen, um nicht als hoffnungslos rückständig zu gelten. Heute sind es die sorgfältig abwägenden und die gesamte diagnostische und therapeutische Klaviatur beherrschenden Kollegen, die tonangebend sind. Damit ist auch die unübersehbare Flut der Fortbildungsangebote zurückgegangen – einst hätte man meinen können, kein implantologisch tätiger Zahnarzt verbrächte gern auch mal ein Wochenende bei seiner Familie. Ebenso erholsam ist es, in den allgemeinen zahnmedizinischen Fachzeitschriften auch wieder vermehrt andere spannende Themen zu lesen als die 1000ste Sofortimplantation.

Die dentale Implantation ist eine großartige, für viele Patienten hervorragende und oft für die Lebensführung entscheidende therapeutische Option. Für ihren Einsatz ist aber die Berücksichtigung einer Vielzahl komplexer biologischer, materialtechnischer und patientenindividueller Voraussetzungen ebenso wichtig wie die realistische Selbsteinschätzung des Behandlers und seiner diagnostischen, chirurgischen und implantatprothetischen Fähigkeiten. Dann gibt s nach der „Party“ auch keinen Kater.

Argumente Contra

Praxen, die bereits früh die Implantologie in ihr Behandlungsspektrum aufnahmen oder sogar einen implantologischen Tätigkeitsschwerpunkt entwickelten, gehören erklärtermaßen nicht zu den wirtschaftlich am schlechtesten laufenden in Deutschland. Begriffe wie „Party“ oder „Rotlichtbezirk der Zahnmedizin“ entspringen meines Erachtens daher vor allem dem für Deutschland so typischen Futter- und Sozialneid. In fast allen anderen Ländern zählen die implantologisch tätigen Chirurgen, Parodontologen und Allgemeinzahnärzte unbestritten zur zahnmedizinischen Elite und genießen auch in der breiten Öffentlichkeit den Ruf exzellenter Spezialisten, denen viele Patienten dramatische Verbesserungen ihrer Zahngesundheit und Lebensqualität verdanken.

„Kein Mensch sollte sterben mit seinen Zähnen in einem Glas Wasser neben sich“, war die Forderung des kürzlich verstorbenen, hoch geschätzten Implantologie-Pioniers Prof. Per-Ingvar Brånemark. Gelungene implantologische Rehabilitationen führen dabei meist zu dramatischen positiven Veränderungen für die Patienten: Die Wiedererlangung von Kaukraft und Genussfähigkeit in einem Alter, in dem Essen und gute Ernährung eine ganz große Bedeutung für Lebensqualität und Gesundheit haben. Ein enormer Zugewinn an Selbstsicherheit. Dank festsitzender Zähne wieder eine unbeschwerte Teilnahme an einem erfüllten gesellschaftlichen Leben. Dank eines gewinnenden, ästhetischen Lächelns auch Vorteile bei der Berufs- oder sogar Partnerwahl.

Dass wir seit Jahren in Deutschland an die gläserne Decke von ca. einer Million gesetzten Implantate im Jahr stoßen, liegt auch daran, dass die Zahnärzte selbst, aber auch ihre Kammern und Fachgesellschaften es nicht geschafft haben, diese geldwerten Vorteile der Implantologie in der breiten Öffentlichkeit zu verankern. Wie das geht, können wir uns gern bei der kosmetischen Industrie, der Hormonlobby und der plastischen Chirurgie anschauen, die seit Jahren problemlos ungeheure Gelder freimachen können – für, im Gegensatz zur dentalen Implantologie, teilweise völlig absurde Behandlungen. Kollegen, die die eigene mangelnde Kompetenz zu verschleiern suchen, indem sie Patienten eine Implantatlösung als „noch nicht ausgereifte Therapie“ darstellen – die gibt es wirklich noch! – tragen weiter dazu bei.

Kein Mensch käme auf die Idee, einem Freund oder Patienten pauschal von einem künstlichen Hüftgelenk abzuraten, wenn dieser sich nur noch eingeschränkt oder unter Schmerzen bewegen kann. Wenn aber ein Zahnimplantat Beschwerdefreiheit und Unversehrtheit wiederherstellen könnte, wird oft ellenlang über den Nutzen oder die scheinbare „Luxustherapie“ diskutiert.
Auch unvorsichtige Wortschöpfungen wie die eines drohenden „Periimplantitis-Tsunami“, die dann auf Fortbildungsveranstaltungen mangels spannenderer Themen kritiklos immer wieder neu zitiert werden, machen die Sache nicht besser. Bei realistischen 10% Periimplantitiden haben wir eine Risikoquote, die durchaus beachtet werden muss, nach der sich andere medizinische Disziplinen aber die Finger lecken würden.

Ein gut gesetztes Implantat ist und bleibt eine der modernsten und besten Versorgungen bei fortgeschrittenem Zahnverfall und -verlust, und die Implantologie damit keine kurzlebige Party, sondern ein lang anhaltendes Freudenfest der oralen und allgemeinen Gesundheit für Patienten und die entsprechend ausgebildeten Zahnärzte.

 

implantate.com-Fazit.

Kein wirkliches Problem für die Zahnheilkunde und Patienten.

 

 

Letzte Aktualisierung am Mittwoch, 11. April 2018