Zwischen Natur und Ethik: Ästhetik stand beim Deutschen Zahnärztetag im Blickpunkt


Mit einem Round-Table-Gespräch setzte die DGÄZ an jedem der beiden Fachtage im wissenschaftlichen Programm des Deutschen Zahnärztetages einen „Denk-Moment“: Während es in den Lektionen des Tagesprogramms um Sehen-Planen-Handeln ging und Vorgehensweisen zu vielfältigen Fragestellungen von Ästhetik-Experten vermittelt wurden, setzte die abendliche Round-Table-Runde um Moderator Prof. Dr. Jean-François Roulet, zugleich wiss. Leiter des Tagungsprogramms, einen Moment des Nachdenkens in das Konzept. Zusammen mit Medizin-Ethiker Prof. Dr. Giovanni Maio diskutierte das Podium aus Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer/Greifswald, Dr. Wolfgang Bücking/DGÄZ, Prof. Dr. Bernd Klaiber/Würzburg, Prof. Dr. Hannes Wachtel/München, Prof. Dr. Norbert Gutknecht/Aachen und Dr. Hans-Otto Bermann/DGÄZ am 1. Kongresstag die Frage: „Wieviel Ästhetik braucht der Mensch?“ Dabei wurde deutlich, dass es gerade zur Abgrenzung von Ästhetik gegenüber der Kosmetik seitens der Experten auf dem Podium – hier nicht zuletzt seitens Prof. Dr. Maio – deutliche Einigkeit mit der Zielrichtung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Zahnheilkunde gibt.

Ärztliches Handeln – und die Ethik-Fallen

Prof. Roulet gab den Weg vor mit dem Aspekt, Ästhetik sei nicht Kosmetik, sondern natürliche Rekonstruktion und ein Teilaspekt von Gesundheit ganz allgemein, die sich nicht nur auf physisches Wohlbefinden gründe. Sehr schnell wurde deutlich, dass hier eine zweite Fragestellung nach vorn drängte: Ist ethische Ästhetik das, was der Patient für sich einfordert – oder das, von dem der Behandler meint, das sein Patient benötige? „Wenn beim Zahnaufbau die Ästhetik beachtet wird, ist dies Teil meines ärztlichen Handelns“, sagte Prof. Maio, machte aber auch sehr deutlich: „Wenn die ästhetische Maßnahme nicht mehr Teil eines Heileingriffs ist, wird sie zum Konsumprodukt. Die Grenzen sind hier durchaus fließend.“ Es sei das Ende der Ethik in der Zahnheilkunde, wenn es um den „Verkauf von Leistungen an den Kunden“ geht. Und er trennte genau: Unmoralisch sei so etwas nicht – aber mit Ethik nicht vereinbar. Die Frage der Ethik in Verbindung mit ästhetischen Leistungen zog sich dann auch wie ein roter Faden durch die Diskussion: „Badezimmerkachelweiße Zähne empfinde ich als unethisch“, meinte Prof. Roulet.

Das Kriterium „Wohlbefinden“

Wie schwierig die Grenzziehung ist, machte DGÄZ-Vizepräsident Dr. Bermann deutlich: „Ein Mensch braucht exakt die Ästhetik, die er dazu braucht, sich in seinem Umfeld wohlzufühlen“ – das könne von Patient zu Patient erheblich variieren. Nicht zu unterschätzen seien Medien, die über mehr Erfolg bei ansprechendem Äußeren berichteten und damit Bedarf auslösten: „Das führt uns schon manchmal an die Grenze!“ Problematisch sei auch die Rechtslage, die die Aufklärung der Patienten über alle denkbaren Therapien verlange: „Das kann leicht in ein Verkaufsgespräch abgleiten.“ Zu etwas mehr Zurückhaltung in diesen Situationen forderte Prof. Meyer auf: „Bei den Frontzähnen sieht man Fehler sofort wie bei einer Frisur – da müssen wir alle Register ziehen, eher mehr als bisher. Aber wer von Ihnen kennt die Fissurenfarbe am Siebener von Günther Jauch? Wir müssen auch mal die Kirche im Dorf lassen.“

Ist Ästhetik „schön“?

Vor einem häufigen Missverständnis warnte Prof. Klaiber: Ästhetik werde oft in einem Zusammenhang mit Schönheit genannt – dabei bedeute sie eher Gesetzesmäßigkeit der Natur. Schönheit dagegen läge im Auge des Betrachters: „Wenn ein Patient mit seinen Zähnen zufrieden ist, sollten wir uns eher auf die Zunge beißen als ihn darauf hinzuweisen!“ Aber schon mit kleinen Veränderungen könne man Patienten, die sich an ihren Zähnen stören, selbstsicherer machen – allerdings sei auch hier die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten: „Wenn wegen eines kleinen Ästhetik-Problems wunderschöner Schmelz abgeschliffen wird, um 6 Veneers draufzusetzen, dann entsetzt mich so was. Das lässt sich meist auch anders lösen.“ Dass das „Auge des Betrachters“ weltweit eine gemeinsame Grundlage für „Schönheit“ hat und darunter Symmetrie versteht, gibt, so Dr. Bücking, die dentale Aufgabe vor: „Jahrtausendealte Programme im Gehirn präferieren den Goldenen Schnitt – wir müssen rekonstruieren, wie die Natur es gemacht hätte.“ Nicht nur am Zahn, auch bei der Roten Ästhetik sei oft mehr Zurückhaltung angebracht, wie Prof. Wachtel es formulierte: „Maximale Eingriffe für 2 – 3 mm Gingiva-Bewegung ist in vielen Fällen nicht gerechtfertigt.“

Schleifen für Wohlbefinden – oder nicht?

An dieser Stelle erinnerte Prof. Maio noch einmal an die medizinische Ethik: „Die Diskussion verharmlost die Realität. Das Zentrale der Heilkunde ist nicht die Technik, sondern das verantwortungsvolle Umgehen mit den Wünschen der Patienten.“ Aufdringliche Werbung schüre Behandlungsbedarf, den Patienten allein nicht verspürt hätten: „Vorsicht, dass mit der Ästhetik die Zahnmedizin sich nicht selbst verkauft!“ Das Dilemma der Behandler machte Prof. Gutknecht deutlich: „Was wiegt denn mehr? Dass der gesunde Eckzahn unseres Patienten gut in Funktion steht – oder dass unser Patient darunter leidet, dass die Form des Eckzahns den Patienten beim Blick in den Spiegel jedes Mal aufs Neue stört und er an seinem Erscheinungsbild leidet?“ Das Podium schwankte in seiner Entscheidung: „Wenn der Patient nicht mag was er sieht, ist das für ihn kein Wohlbefinden, meinte Dr. Bücking, und Prof. Roulet folgte der Linie: Wenn es für den Patienten wirklich nachdrücklich wichtig sei, müsse man wohl notfalls auch mal am Eckzahn schleifen.

Missbrauch der Ästhetik für Übertherapie?

Auch der zweite Kongresstag schloss mit einer Round-Table-Diskussion – Prof. Roulet debattierte mit Dr. Diether Reusch/DGÄZ, Prof. Klaiber/Würzburg und Prof. Dr. Matthias Frentzen/Bonn den Aspekt möglicher Übertherapie. An sich wäre doch Amalgam im Seitenzahngebiet ausreichend, meinte er in seiner Anmoderation – sei Keramikversorgung hier schon Überversorgung, weil es den Praxen wirtschaftlich schlechter gehe und das Verfahren verlocke? Dem widersprach Dr. Reusch kurz und bündig: „Amalgam ist kein Thema. Die Natur ist zahnfarben – und nicht silbrig.“ Die neuen Technologien seien, weil zumeist minimalinvasiv, durchaus ein Gewinn für die Zahnmedizin und die Ästhetik zugleich, meinte Prof. Frentzen, aber man dürfe nicht vergessen: „Im Vergleich zu lebenserhaltenden Chirurgie beschäftigen wir uns doch eher mit keinen Problemen.“ Das Thema Ethik stand auch bei dieser Expertenrunde im Zentrum: „Wir sind aber schon sehr zahnfixiert“, ermahnte Prof. Klaiber, es sei aber der Patient, der sein dentales Problem als solches sehen müsse und nicht der Zahnarzt.

Publikums-Kritik

Aus dem Publikum gab es Kritik an den Botschaften der Experten: Die Positionen seien unfair gegenüber den Praktikern, warf der Teilnehmer ein – er müsse mal ein Wort für die Kollegen einlegen, die Ästhetik für die Gesundheit machten. Dem stimmten die Referenten zu: Wenn der Bedarf vorhanden sei, sei Ästhetik ohne Zweifel Gesundheitstherapie. Dazu gehöre auch, so Prof. Frentzen, in ärztlicher Weise herauszufinden, woher die Probleme des Patienten mit seiner Ästhetik rühren. Ohnehin müsse immer der Patient im Mittelpunkt stehen, so Prof. Roulet, denn „sonst tappen wir in die Regulierungsfalle!“ Nicht, was man nach den Regeln der Kunst in der Situation X oder Y tun müsse, dürfe Grundlage des Handelns sein, sondern das, was der Patient wirklich braucht. Ein Patient, der sich mit seiner dentalen Ästhetik nicht wohl fühle, so Dr. Reusch abschließend, gehöre nicht – da widerspreche er Prof. Maio – zum Psychologen, sondern zum Zahnarzt: „Wenn er sich mit seinen Zähnen schlecht fühlt – dann ist das ganz klar unsere Aufgabe, dies zu lösen.“ Prof. Roulet fasste die Diskussion zusammen und meinte, es sei Aufgabe der Zahnärzte, Patienten gesund zu machen und ihnen im weitesten Sinne zu helfen – auch mit Ästhetik. Um dies leisten zu können, sei ständige Fortbildung unumgänglich.

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 Oktober 2008