Zahnimplantate und Zähneknirschen: Schwachstelle Prothetik


Rund 95 Prozent aller Implantate sind nach 5 bis 10 Jahren noch
unversehrt an ihrem Platz – die Erfolgsraten der Implantologen können
sich sehen lassen, die Verlustraten liegen unter fünf Prozent. Deutlich
schlechter ist die Bilanz bei den Kronen, Brücken und Prothesen auf den
Implantaten, die im Fachjargon als Suprakonstruktion bezeichnet werden:
Bei 20 bis 25 Prozent der Fälle sind in den ersten fünf Jahren
Reparaturen oder sogar Neuanfertigungen erforderlich, erklärt Professor
Manfred Wichmann, Erlangen, auf dem 20. Jahreskongress der Deutschen
Gesellschaft für Implantologie in München. Ein zu kraftvoller Biss der
Patienten, insbesondere beim Zähneknirschen, überfordert die
Materialien.
Endlich wieder kraftvoll zubeißen – das wünschen sich Patientinnen und
Patienten nach Zahnverlust, die mit herkömmlichem Zahnersatz Probleme
haben. Implantatgetragener Zahnersatz macht dieses kraftvolle Zubeißen
wieder möglich.

DIE SCHATTENSEITE DER KAUKRAFT. Doch die wiedergewonnene Kaufähigkeit
hat auch Schattenseiten – zumindest für die prothetischen Materialien:
„Da die Kaufähigkeit mit Implantaten sehr viel besser ist als bei einer
herkömmlichen Prothese, beißen die Menschen auch wieder deutlich fester
zu. Dies belastet die Materialien der Kronen, Brücken und Prothesen auf
Implantaten mehr als bei einer herkömmlichen prothetischen Versorgung“,
erklärt Professor Manfred Wichmann von der Poliklinik für zahnärztliche
Prothetik der Universität Erlangen-Nürnberg.

Bei einer Brücke, die auf natürlichen Zähnen verankert ist, merken die
Patienten sehr schnell, wenn eine Nuss für das Gebiss zu hart ist und
die Kaukräfte überfordert: Der eigene Error! Post not found for word:zahn registriert die Kaukräfte
über spezifische Rezeptoren im Zahnhalteapparat wesentlich sensibler
als ein Implantat. Schutzreflexe begrenzen dann die Kräfte der
Kaumuskulatur. Dieser Informationsfluss ist bei Implantaten gekappt.
Entsprechend setzt der kraftvolle Biss des Implantatträgers die
Materialien der Suprakonstruktionen unter Stress.

MATERIALIEN UNTER STRESS. Untersuchungen belegen, dass Komplikationen –
beispielsweise Brüche der zahnfarbenen keramischen Verblendschicht bei
Brücken – auf eigenen Zähnen nur bei etwa drei Prozent der Patienten
auftreten. Bei implantatgetragenen Kontruktionen ist diese Komplikation
hingegen mit 15 Prozent fünf Mal häufiger zu beobachten.

Besonders stark wirken die Kaukräfte bei Menschen, die in der Nacht mit
den Zähnen pressen oder knirschen. Dieses Phänomen wird von Zahnärzten
„Bruxismus“ genannt und tritt bei etwa 10 Prozent der Bevölkerung auf.
„Dabei wirken Kräfte auf den Zahnersatz ein, welche die willkürliche
maximale Kaukraft deutlich überschreiten können“, sagt Wichmann. So
wurden bei Zähneknirschern Kaukräfte von bis zu 800 Newton gemessen
(Ein Gewicht von 1 kg entwickelt einen Druck oder Zug von 9,8 Newton.)
Diese Kräfte sind bis zu sieben mal höher als die Kräfte beim Kauen von
Speisen. Zum Vergleich: Abhängig von der Speisekonsistenz liegt die
Kaukraft, die Menschen beim Essen aufwenden müssen, normalerweise
zwischen 50 und 100 Newton. Ein im Knochen eingewachsenes Implantat
hält dies üblicherweise aus: Es bricht erst aus dem Knochen wenn Kräfte
über 1500 Newton einwirken. Doch die maximale Kaukraft kann die
Materialien und Komponenten der prothetischen Suprakonstruktion sehr
wohl überfordern.

ZÄHNEKNIRSCHEN BERÜCKSICHTIGEN. Wenn Patienten mit den Zähnen
knirschen, muss dies bei der prothetischen Versorgung mit
implantat-getragenem Zahnersatz daher berücksichtigt werden: „Im Rahmen
der Planung kann durch die Positionierung der Implantate, ihre Zahl,
Länge und Form die Belastbarkeit der späteren Suprakonstruktion
gesteigert werden“, sagt Wichmann. „Bei der prothetischen Versorgung
können durch die Materialauswahl, die Art der Befestigung
(Zementiert/Verschraubt), die Gestaltung der Gerüste und Kauflächen
sowie die Verbindung der Implantat untereinander Spitzenbelastungen
vermieden und die Widerstandsfähigkeit der Konstruktion positiv
beeinflusst werden.

Auch bei der Materialentwicklung sieht Wichmann noch Forschungs- und
Entwicklungsbedarf: „Hilfreich wären Keramiken mit besserer
Frakturresistenz.“ Auch weiterentwickelte Kompositmaterialien könnten,
prophezeit der Erlanger Prothetiker, „zu einer Renaissance der
Kunststoffe im Bereich der Verblendmaterialien führen, wenn sie sich
weniger abnutzen und weniger altern als die bislang verfügbaren
Werkstoffe.“

VORTEIL: REPARIERBARER ZAHNERSATZ. Aber auch beim Einsetzen der
Suprakonstruktion können Fehler passieren, welche die Haltbarkeit
beeinträchtigen. Wichmann: „Beim Festziehen der Schrauben muss das vom
Hersteller vorgegebene Drehmoment unbedingt eingehalten werden, sonst
kann sich die Verschraubung lockern.“ Sinnvoll sei es auch,
insbesondere umfangreichere Suprakonstruktionen so zu planen, dass sie
bei Bedarf abgeschraubt werden können und nicht aus einem Stück
hergestellt sind. Im Falle von Problemen können sie somit einfacher
repariert werden. Wichmann: „Eine Zementierung ist bei großen
Rekonstruktionen, also Komplettrestaurationen des ganzen Kiefers nicht
sinnvoll.“

Für Rückfragen:
Prof. Dr. Manfred Wichmann, Erlangen
Pressesprecher DGI e.V.
Poliklinik für zahnärztliche Prothetik
Universität Erlangen-Nürnberg
Glückstraße 11 · 91054 Erlangen
Tel.: 09131 853-3604
Fax: 09131 853-6781

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999