Im Fokus der zentralen Pressekonferenz zum Tag der
Zahngesundheit 2011, dieam 16. September in Berlin stattfand, standen
insbesondere die Kinder und der frühzeitige Schutz ihrer Mundgesundheit.
Dass dies leichter gefordert als eingelöst ist, machte Prof. Dr.
Dietmar Oesterreich, Vizepäsident der Bundeszahnärztekammer, deutlich:
„Die Entwicklungen sind durchaus heterogen.“ Einerseits könnten sehr
beeindruckende Erfolge bei einem großen Anteil der Kinder festgestellt
werden. So habe sich beispielsweise die Karieslast bei 12-Jährigen in
den vergangenen 25 Jahren um immerhin 80 % verringert: „Diese
Entwicklung hat sicher eine Vorbildfunktion für das gesamte deutsche
Gesundheitswesen.“ Andererseits gebe es eine vergleichsweise kleine
Gruppe, die nach wie vor mit deutlichen Mundgesundheitsproblemen zu
kämpfen habe. Besonders betroffen seien Kinder aus bildungsfernen und
sozial schwachen Schichten sowie viele Kinder aus Familien mit
Migrationshintergrund, auch wenn sie schon in der zweiten oder dritten
Generation in Deutschland leben.
Auch nehme die frühkindliche Karies
bei Kindern bis zu drei Jahren zu: „Annähernd die Hälfte der kariösen
Defekte, die zum Zeitpunkt der Einschulung vorhanden sind, entstehen
bereits in den ersten drei Lebensjahren“, sagte Professor
Oesterreich.Dabei spiele nach wie vor die sog. Nuckelflaschenkaries eine
negativ herausragende Rolle: Kinder erhielten regelmäßig und zu lange
eine Nuckelflasche mit gesüßten oder fruchtsäurehaltigen Getränken:
„Folgen sind bereits in dieser Altersphase tiefgreifende Zerstörungen,
insbesondere der oberen Frontzähne, verbunden zumeist mit massiven
Beschwerden und nicht selten aufwendiger Zahnentfernungen unter
Vollnarkose.“ Eine große Herausforderung sei zudem die derzeit noch zu
hohe Anzahl nicht behandelter Milchzahndefekte – es müsse erreicht
werden, dass die Kinder früher in den Zahnarztpraxen vorgestellt würden,
um Eltern über die Bedeutung der Mundgesundheit für die
Kindesentwicklung informieren zu können: „Eine gute Mundgesundheit bei
Kindern ist die Basis für die gesamte gesunde körperliche Entwicklung
und Voraussetzung für gesunde Zähne im Erwachsenenalter.“ Professor
Oesterreich empfahl eine Vernetzung von Gynäkologen und Zahnärzten für
die frühzeitige Aufklärung werdender Mütter sowie eine engere
Zusammenarbeit mit den Kinderärzten. Hier gebe es gute Beispiele auf
Landesebene, die institutionalisiert werden müssten. Professor
Oesterreich: „Es gilt, gegenseitige Kompetenzen anzuerkennen, Synergien
zu suchen und einheitliche Botschaften zu vermitteln.“Notwendig seien
zudem eine bundesweite Verbreitung der zahnärztlichen Kinderpässe und
die Schaffungentsprechender gesetzlicher Rahmenbedingungen durch die
Gesundheitspolitik. Auchseien Maßnahmen der Gruppenprophylaxe verstärkt
für die jüngsten Kinder zu entwickeln.
Dass sich auch die Kinder- und Jugendärzte für
Mundgesundheit engagieren, verdeutlichte Dr. med. Ulrich Fegeler,
Bundespressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.
V.: „Kinder- und Jugendärzte haben im Rahmen der gesetzlichen
Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten den Zugang zu fast
allen Säuglingen und Kleinkindern. Im Rahmen dieser Untersuchungen
können sie die notwendige Information und Anleitung der Eltern leisten
und so einen wichtigen primärpräventiven Beitrag zur Vermeidung von
Karies beisteuern.“ Verschiedene Früherkennungsuntersuchungen auf Error! Post not found for word:zahn-,
Mund- und Kieferkrankheiten gehörten laut Sozialgesetzbuch auch in den
Leistungskatalog der Ärzte– allerdings ließe die Umsetzung in
Beratungsleistungen für Eltern unverständlicherweise bis heute auf sich
warten: „Die intensive Beratung der Eltern in den ersten Lebensjahren
ist ganz entscheidend für die dringend notwendige Senkung der Häufigkeit
von Zahnkaries und auch von Zahnfehlstellungen.“
Wie wichtig die ersten Lebenswochen bereits im
Mutterleib für eine gesunde Error! Post not found for word:zahn- und Kieferentwicklung sind, zeigte
Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski/Charité mit eindrucksvollen Beispielen
aus dem Bereich der Biologie: „Schon die Entwicklung eines einzelnen
Zahnes stellt höchste Ansprüche an die Leistungsfähigkeit und
Koordination jeder einzelnen der mehr als 100.000 beteiligten
Zellen.“Damit die Körperzellen diese Leistung auch störungsfrei
erbringen können, seidie Gesundheit des ungeborenen Kindes und seiner
Mutter notwendig. Nach der Geburt gelte es, mit altersgerechter
Mundpflege, Ernährung und Infektionsvermeidung die Zähne gesund zu
erhalten und auch die Entwicklung eines dauerhaft funktionsfähigen
Gebisses im Auge zu behalten: „Dafür sind die korrekte Zuordnung der
Zähne zueinander und ihre langfristige, stabile Stellung wichtig.“
Professor Radlanski rief Eltern und Betreuer von Kindern bis zu drei
Jahren dazu auf, mehr auf einen korrekten Mundschluss und die richtige
Ruhelage der Zunge am Gaumen statt im Mundboden zu achten: „Je früher
man sich darum kümmert, dass das physiologisch korrekte Gleichgewicht
zwischen Zunge und Mund-Muskulatur eingestellt, geübt und beibehalten
wird, desto besser.“Es gehe dabei, das müsse den Eltern bewusst werden,
nicht „nur“ um gesunde Zähne, sondern um eine gesunde Entwicklung
insgesamt und nicht zuletzt die des Gesichts, „mit dem man in die Welt
schaut.“
Dass der diesjährige Tag der Zahngesundheit seinen
Blick „auf die jüngsten unserer Versicherten richtet“, wie Dr. Michael
Kleinebrinker, Referent für die vertragszahnärztliche Versorgung beim
GKV-Spitzenverband, sagte, werde von den Krankenkassen ausdrücklich
begrüßt: Trotz aller Erfolge auf dem Gebiet der Mundgesundheit in den
letzten Jahren gebe es ganz besonders bei den Jüngsten immer noch
Einiges zu tun. Die Kassen hätten in den vergangenen zehn Jahren
kontinuierlich das finanzielle Engagement auf dem Gebiet der
zahnmedizinischen Prophylaxe gesteigert – von rd. 373 Mio. Euro im Jahr
2000 auf mehr als 500 Mio. Euro im Jahr 2010; im selben Zeitraum sei
der Anteil der Prophylaxe-Leistungen an den Gesamtausgaben für die
zahnärztliche Behandlung von 3,4 Prozent auf fast 4,5 Prozent gestiegen.
Mit Blick auf die hohe Karieserfahrung von Schulanfängern meinte Dr.
Kleinebrinker: „Wir müssen nach neuen Wegen suchen, um die Karies, die
im Alter zwischen sechs Monaten und sechs Jahren entsteht, zu stoppen
oder zumindest zu reduzieren.“ Aus Sicht der Krankenkassen sei es
erforderlich, so früh wie möglich die Aufmerksamkeit der Eltern für die
Mundgesundheit ihrer Kinder zu wecken, mit der systematischen Betreuung
der Kinder früher als bisher und zielgruppengerichtet zu beginnen und
die beteiligten Akteure stärker zu vernetzen. Notwendig wäre zudem eine
wissenschaftliche Evaluierung von Maßnahmen zur Senkung der
frühkindlichen Karies sowie die Vermeidung „rivalisierender Konzepte“.
Dr. Kleinebrinker wünschte sich ebenso wie Professor
Oesterreich, Professor Radlanski und Dr. Fegeler, dass der diesjährige
Tag der Zahngesundheit dazu beitragen möge, die Bevölkerung und auch die
eigenen Berufsgruppen für das Thema frühkindliche Karies zu
sensibilisieren.