Neue Biomaterialien für Knochen- und Knorpelersatz


Für Arthrose, bei der Defekte an Knorpel und Knochen der Gelenke
auftreten, gibt es bislang noch immer keine optimale Behandlung. Das
könnte sich in Zukunft ändern. Forscher des Fraunhofer-Instituts für
Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB (Stuttgart), der
Max-Planck-Institute für Intelligente Systeme (Stuttgart) und
Polymerforschung (Mainz) sowie der Universität Stuttgart untersuchen,
wie Materialien für eine neue Generation von Implantaten beschaffen sein
müssen, damit Zellen auf ihnen zu neuem funktionierenden Knochen- oder
Knorpelgewebe zusammenwachsen. Diese Zusammenarbeit ist eines von 19
Kooperationsprojekten, die von Max-Plank- und Fraunhofer-Gesellschaft
initiiert wurden, um Erkenntnisse der Grundlagenforschung in die
Anwendung zu bringen.

»Wir wollen eine Gerüststruktur entwickeln, die adulten Stammzellen –
das sind noch nicht spezialisierte Vorläuferzellen – die optimale
Umgebung bietet, um sich anzusiedeln, zu wachsen und zu knochen- und
knorpelbildenden Zellen zu reifen«, erläutert Prof. Dr. Thomas Hirth,
Leiter des Fraunhofer IGB. Im Gewebe befinden sich Zellen in einem
dreidimensionalen Gefüge, der extrazellulären Matrix, mit der sie über
feine Kontakte kommunizieren und aus der sie unterschiedliche Reize
empfangen. »Mit unseren synthetischen, biomimetischen Matrices ahmen wir
diese Gegebenheiten nach«, so Hirth.

Die Wissenschaftler machen sich dabei zunutze, dass Zellen im Körper
sehr empfindlich auf mechanische Kräfte aus ihrer unmittelbaren Umgebung
ansprechen. »Wir haben zunächst systematisch analysiert, mit welchen
biochemischen Signalen Zellen auf mechanische Reize verschiedener
Oberflächenstrukturen reagieren«, sagt Prof. Dr. Joachim Spatz, Direktor
am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und Projektleiter auf
Max-Planck-Seite. Die Forscher haben einen Zellbiochip entwickelt, der
in zahlreiche Areale mit jeweils unterschiedlichen Matrices und
verschiedenen Nanostrukturen unterteilt ist. Die Nanostrukturen, etwa
Nanoinseln aus Gold, werden nach einem jeweils definierten Muster
aufgetragen.

»Von der Umgebung hängt auch ab, zu welchen Zellen Stammzellen
differenzieren«, erklärt Spatz. Eine Rolle spielen dabei die Elastizität
und die chemische Zusammensetzung der Matrix, aber auch die Dichte der
metallischen Nanoinseln auf ihrer Oberfläche. Nur wenn den Stammzellen
das künstlich geschaffene Milieu passt, verhalten sie sich darauf wie in
ihrer natürlichen Umwelt und entwickeln sich in die gewünschte
Richtung. »Aufgrund der vielen verschiedenen Strukturen auf einem sehr
kleinen Areal erlaubt uns der Biochip, die Reaktion der Stammzellen auf
unterschiedliche Oberflächenstrukturen mit hohem Durchsatz zu testen«,
erklärt Spatz.

Um eine dreidimensionale Matrix für das Grundgerüst eines Implantats
herzustellen, haben die Kollegen am Fraunhofer IGB die Erkenntnisse der
Max-Planck-Forscher aufgegriffen und zwei ganz unterschiedliche
Werkstoffe zu einem Kompositmaterial vereint: Polymilchsäure, ein
bioabbaubares und körperverträgliches Polymer, und Hydroxylapatit, ein
Mineral, aus dem die Knochensubstanz besteht. Aus dem Kompositmaterial
haben die Fraunhofer-Forscher die Strukturen geschaffen, auf denen sich
die Stammzellen in den Untersuchungen ihrer Max-Planck-Kollegen zu
Knochen- und Knorpelzellen entwickelten. »Stammzellen heften sich
tatsächlich auf dieser Matrix an«, sagt Hirth. »Es ist uns gelungen,
sowohl die Zusammensetzung der Matrix als auch deren Porosität so
einzustellen, dass wir das Zellwachstum beeinflussen.«

Doch es geht noch einen Schritt weiter, schließlich sollen sich die
Stammzellen auch zu den gewünschten Knochen- oder Knorpelzellen
ausbilden. Hierzu benötigen sie auch Wachstumsfaktoren und Hormone. Im
Körper wird die Zelldifferenzierung präzise gesteuert, indem
Signalproteine nach Art einer Kaskade die Ausprägung gewebetypischer
Funktionen in Gang setzen. »Damit dieser komplexe Vorgang auch außerhalb
des Körpers funktioniert, integrieren wir die Signalproteine in die
Matrix. Dann kann sie auch tatsächlich mit den Stammzellen
kommunizieren«, erklärt Hirth. Zu diesem Zweck verpacken sie die
Signalproteine in NANOCYTES® – kleinen Nanokügelchen mit einem festen
Kern und einer flexiblen Schale, die in die Oberfläche der Matrices
integriert werden.

Das Signalprotein TWEAK, das Forscher der Universität Stuttgart
untersuchen, haben die Fraunhofer-Forscher bereits in solchen Kügelchen
auf den biomimetischen Matrices untergebracht. Die Universität Stuttgart
ist mit immunologischen und systembiologischen Arbeiten an dem
Forschungsvorhaben beteiligt und wird dabei durch das Landesministerium
Baden-Württemberg für Wissenschaft und Kunst finanziert. Damit die
Signalmoleküle zum richtigen Zeitpunkt aus den Nanopartikeln freigesetzt
werden, haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung
Schutzgruppen entwickelt, die sich durch Licht zum gewünschten Zeitpunkt
aktivieren lassen.

»Die Kooperation läuft noch bis 2012 und wird sicherlich danach
weitergeführt«, sagt Joachim Spatz. Für diese Zeit haben die
Wissenschaftler sich einiges vorgenommen: »Mit den biomimetischen
Matrices haben wir die Basis für körpereigene Implantate geschaffen«,
sagt Thomas Hirth. »Nun möchten wir den Differenzierungsprozess
außerhalb des Körpers standardisieren und evaluieren.« Wenn dies
gelingt, könnten selbstheilende Implantate für Knochen und Knorpel bald
in die medizinische Praxis gelangen.

NANOCYTES® ist eine Wortmarke der Fraunhofer-Gesellschaft.

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 28 Oktober 2011