Krankes Zahnfleisch ruiniert das Gebiß und begünstigt Gefäßkrankheiten


Zahnfleischkranken fehlt der feste Biß. Je älter der Mensch, desto eher
verliert er einen Error! Post not found for word:zahn durch Parodontitis als durch Karies. Die
chronische Entzündung zerstört das Zahnbett und greift den
Kieferknochen an. Vom Beginn bis zum Zähnewackeln vergehen in der Regel
Jahre. Zeit genug also, sich um sein Zahnfleisch zu kümmern. Denn
konsequente Behandlung und Pflege bringen den Schwund unter Kontrolle.
Sogar für haltlose Fälle gibt es noch Hilfe. „Häufig können wir auch
Zähne erhalten, die bereits wackeln“, erklärt Prof. Dr. Dr. Jean-Pierre
Bernimoulin, Leiter der Abteilung für Parodontologie an der
Charité/Campus Virchow.

Schuld sind Bakterien, die sich in Gewebetaschen am Zahnhals ansammeln.
Von dort dringen sie in die Tiefe ein und entzünden die Haltefasern des
Zahns.

Lockere Zähne sind nicht die einzige Folge. Die Keime können beim Kauen
oder Putzen in die Blutbahn eindringen. In der Regel verschwinden sie
nach einer halben Stunde wieder. Die chronische Entzündung scheint aber
auch auf entferntere Stellen im Körper zu wirken. Wie, weiß man noch
nicht. So begünstigt ein krankes Zahnfleisch Gefäßerkrankungen von Herz
und Gehirn und könnte sogar das Risiko für Frühgeburten erhöhen.

Aber kein Mund ist steril. Etwa 400 verschieden Typen von
Bakterien tummeln sich darin von Natur aus. Einige sind besonders
aggressiv zum Zahnfleisch – vorausgesetzt sie können sich gut
vermehren. Die Menge macht es also. Regelmäßiges Zähneputzen und der
tägliche Einsatz von Zahnseide oder Zwischenzahn-Bürstchen halten die
Bakterien in Schach. „Spüllösungen können die mechanische Reinigung
nicht ersetzen. Sie sind allenfalls das i-Tüpfelchen der Mundhygiene“,
meint Prof. Bernimoulin. Einmal im Jahr sollte man sich eine
professionelle Zahnreinigung in der Zahnarztpraxis gönnen. Dabei werden
Beläge entfernt, in denen sich die Bakterien ganz besonders wohl fühlen.

Warum aber macht der eine alles richtig und quält sich dennoch mit
Parodontitis? Während der andere sein gesundes Zahnfleisch kaum pflegt
und der dritte häufig oberflächliche Entzündungen erlebt, die aber nie
in die Tiefe dringen?

Wahrscheinlich gibt es eine angeborene Neigung, die mehr oder weniger
stark ausgeprägt ist. Möglicherweise ist bei einigen Betroffenen die
Funktion einer Sorte von Immunzellen verändert. „Wir betrachten die
Parodontitis als chronische Erkrankung, die lange stabil verlaufen
kann, sich aber zum Beispiel durch Rauchen, Streß oder eine
Allgemeinerkrankung verschlimmert“, erläutert Prof. Bernimoulin.
Treffen eine entsprechende Veranlagung und begünstigende Faktoren wie
zum Beispiel Zigaretten, schlechte Mundhygiene oder ein schlecht
eingestellter Diabetes zusammen, kann die Parodontitis besonders rasch
und aggressiv verlaufen. Zahnfleischbluten gilt als Frühsymptom, ist
aber andererseits meistens harmlos. Denn häufig steckt eine
oberflächliche Entzündung des Zahnfleischs dahinter. Ebenfalls
ungefährlich ist der Zahnfleischschwund, der durch falsche Putztechnik
oder Fehlbelastung der Zähne entsteht. Seinen Halt im Knochen wird ein
gesunder Error! Post not found for word:zahn dadurch nicht verlieren.

Die Diagnose Parodontitis kann nur der Zahnarzt sicher stellen.
Gesundes Zahnfleisch sieht hellrosa aus und ist stabil. Krankes blutet
schon bei leichter Berührung, ist gerötet und geschwollen. Mit einer
feinen Sonde sucht der Zahnarzt entlang der Zahnhälse nach
Gewebetaschen. Vor allem zwischen den Zähnen reichen sie bei
Parodontitis mehrere Millimeter in die Tiefe. Wird er fündig, stellt er
mit Hilfe einer Röntgenaufnahme fest, ob die Entzündung schon den
Kieferknochen schwinden läßt.

Die Behandlung richtet sich nach dem Ausmaß der Entzündung.
Normalerweise genügt es, die Zahnwurzeln unter örtlicher Betäubung mit
Küretten, Laser oder Ultraschall zu reinigen und zu glätten. Reicht die
Entzündung in die Tiefe, greift der Zahnarzt zum Skalpell, um besser an
der Wurzel arbeiten zu können. Die Wunden näht er anschließend wieder.

Eine Komplettreinigung dauert viele Stunden, die sich über mehrere
Sitzungen verteilen. Dazu gehört auch eine Unterweisung im Zähneputzen
mit allen Finessen. „Manche unserer Patienten brauchen 15 Minuten für
die Mundhygiene am Abend“, erzählt Prof. Bernimoulin.

Bei ganz schwierigen Fällen werden die Parodontologen zu Handwerkern.
Sie polstern Knochenmasse auf oder schienen Wackelzähne mit Kunststoff.

Ob einfache Behandlung oder Chirurgie – die regelmäßige Nachsorge ist
ein Muß für alle Parodontitis-Patienten. Alle drei bis sechs Monate
fahndet der Zahnarzt nach Schwachstellen in der Mundhygiene, entfernt
Beläge und mißt Taschen. Falls nötig wiederholt er die Behandlung. Die
Nachsorge kann Jahrzehnte dauern. Denn das Zahnfleisch wird nicht mehr
so gesund, als sei nie etwas gewesen. Beginnt die Behandlung aber im
frühen Stadium, ist es möglich, den Entzündungsprozeß zu stoppen.

Wer hierzulande Hilfe braucht, sollte sich seinen Behandler sorgfältig
aussuchen. Denn in Deutschland gibt es noch keine dreijährige
strukturierte Fachausbildung für Parodontologie wie in vielen anderen
Ländern der Welt. „Auch die Qualität der Grundausbildung sollte besser
werden“, fordert Prof. Bernimoulin. Für Zahnärzte ist der Besuch von
Weiterbildungskursen zwar möglich, aber in Parodontologie nicht
vorgeschrieben. In Berlin schätzen sie selber ein, ob sie besonders
qualifiziert sind für die Parodontitis-Behandlung.

Dabei könnte sich eine Spezialisierung in Zukunft lohnen: Dank
Vorbeugung und Behandlung von Karies kauen immer mehr Senioren mit
eigenen Zähnen. Dabei lebt von den über 65-jährigen nur jeder 100. noch
mit vollem Gebiß. Mit gesundem Zahnfleisch könnten es wesentlich mehr
sein.

Quelle: Berliner Morgenpost

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999