Kostenerstattung


Kostenerstattung – der Weg zu mehr Eigenverantwortung und Transparenz

Die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung
fordern im Rahmen der anstehenden Gesundheitsreform, das
Kostenerstattungssystem umfassend zu erweitern.

1. Das Sachleistungsprinzip ist historisch überholt.

Das Sachleistungsprinzip prägt bis heute als dominierende Leistungsform
die deutsche Gesetzliche Krankenversicherung. Dabei entstammt es den
Ursprüngen unserer Sozialversicherung im ausgehenden 19. Jahrhundert
und sollte mit seinem öffentlich-rechtlichen Beziehungsgeflecht
anstelle privatvertraglicher Verantwortung und Zahlungsverpflichtung
des Patienten der Mittellosigkeit und wirtschaftlichen Unerfahrenheit
der sozial besonders schutzbedürftigen Bevölkerungskreise Rechnung
tragen. In der heutigen Zeit einer auf vergleichsweise hohem
wirtschaftlichem Niveau entwickelten Gesellschaft, in der die Bürger im
Allgemeinen in allen Lebensbereichen in wirtschaftliche Zusammenhänge
eingebunden und schon frühzeitig an den Abschluss und die Abwicklung
von Verträgen vielfältiger Art gewöhnt sind, hat ein System, das keine
vertragliche Verpflichtungen zwischen Zahnarzt/Arzt und Patient
vorsieht, seine Legitimation verloren.
Die Lebensverhältnisse unserer Gesellschaft sind geprägt von
persönlicher und wirtschaftlicher Mobilität. Hiermit lässt sich ein
durchreglementiertes reines Sachleistungssystem nicht mehr vereinbaren.
Gerade auch Patientenfreizügigkeit im Rahmen der EU lässt sich nur im
Kostenerstattungssystem verwirklichen, während Sachleistungsstrukturen
mit ihrer ortsgebundenen öffentlich-rechtlichen Konstruktion die
Freizügigkeit hemmen.

2. Kostenerstattung ermöglicht mehr individuelle Gestaltungsfreiheit zugunsten des Patienten.

Mit ihrer Forderung nach Ausweitung der Kostenerstattung geht es den
Zahnärzten keineswegs darum, im Kostenerstattungssystem neue
Einkommensquellen erschließen zu können. Es geht vielmehr um die
Möglichkeit, mit dem Patienten in einem privatrechtlichen
Vertragsverhältnis in ärztlicher Verantwortung individuell
Behandlungsbedingungen vereinbaren zu können, ohne dass diese Beziehung
in allen Bereichen durch öffentlich-rechtliche Vorgaben präformiert
bzw. überlagert würde. Die Zahnärzte können damit den
sozialversicherten Patienten eine Behandlung nach dem Stand der
Wissenschaft bieten, die in einem budgetierten Sachleistungssystem
immer schwerer zu erbringen ist. Gleichzeitig wird die Selbstbestimmung
und freie Therapiewahl des Patienten gestärkt.

Freilich kann auch Kostenerstattung nur dann die versorgungspolitisch
und ökonomisch gewünschte Steuerungswirkung entfalten, wenn ihr eine
angemessene Gebührengestaltung zugrunde liegt, die sich jenseits
sachleistungsgeprägter Einheitstarife am Stand der zahnmedizinischen
Wissenschaft orientiert und dem individuellen Behandlungsaufwand
Rechnung trägt.

3. Kostenerstattung stärkt die Kostentransparenz.

Im derzeitigen ambulanten Versorgungssystem hat der Patient kaum
Interesse an der Kenntnis der Kosten, die er durch seine Behandlung
verursacht. Das Wahlrecht der Kostenerstattung nach § 13 SGB V wird in
seiner jetzigen Form von den Patienten kaum ausgeübt, da es unflexibel
und nicht patientenfreundich gestaltet ist. Versicherte sind an die
Wahl der Kostenerstattung für die Dauer von mindestens einem Jahr
gebunden. Zudem gilt sie automatisch für den gesamten ambulanten
Bereich, und die Krankenkassen können Verwaltungskostenabschläge vom
Erstattungsbetrag abziehen.
Die Steuerungswirkung von Kostentransparenz kann sich nur entfalten,
wenn das Kostenerstattungsverfahren das Sachleistungsprinzip als bisher
dominierende Leistungsform ersetzt. Es ist unbestritten, dass sich der
Patient sehr viel preissensibler bei der Inanspruchnahme von Leistungen
verhält, wenn er in den Zahlungsfluss eingebunden ist. Die dadurch
entstehende Kostentransparenz macht die Abrechnung verständlicher und
überprüfbarer.
Es ist nicht länger zeitgemäß und angesichts der Kostenentwicklung im
Gesundheitswesen nicht zu verantworten, die Leistungsinanspruchnahme
und –erbringung von der Kostenseite zu trennen.

Soziale Härten, die durch Vorauszahlungen im Kostenerstattungssystem
entstehen könnten, lassen sich durch geeignete Härtefallregelungen
vermeiden, für die es im zahnärztlichen Bereich auch heute schon
bewährte Vorbilder gibt.

4. Die Abwicklung der Kostenerstattung lässt sich problemlos und unbürokratisch bewältigen.

Der Aufwand für die Patienten ist im Kostenerstattungssystem nicht
größer als bei jedem anderen Rechtsgeschäft. Hinzu kommt, dass der
Zahnarzt aus seiner professionellen Verantwortung und vertraglichen
Verpflichtung bei der Erklärung der Rechnung sowie die Krankenkasse
aufgrund ihrer Beratungspflicht nach dem SGB I dem Patienten
unterstützend zur Verfügung stehen. Der soziale Schutzbedarf eines
Teils der Bevölkerung darf nicht zum Vorwand genommen werden,
verkrustete und überholte Strukturen zu konservieren.

Der Privatversicherte wickelt heute schon die Rechtsbeziehungen seiner
Behandlung in Form der Kostenerstattung ab, muss sich ggf. auch mit
seinem Zahnarzt und/oder seiner Versicherung auseinandersetzen und ist
in der Regel hiervon nicht überfordert. Die vielbeschworene
„Zweiklassen-Medizin“ könnte weiter abgebaut werden, wenn
sozialversicherten Patienten das gleiche Maß an Eigenverantwortung und
Freiheit zugesprochen würde. Bei Behandlungen mit Eigenanteilen bzw.
Leistungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung
übernommen werden, sind sie ohnehin schon heute schon ganz
selbstverständlich Vertragspartner des Zahnarztes, für den die
Rechnungsstellung und ggf. Durchsetzung von Forderungen beruflicher
Alltag sind. Rechnungsstellung und ggf. die Durchsetzung von
Forderungen sind Vorgänge des normalen Geschäftslebens, der sich jeder
Dienstleistende und somit auch der Zahnarzt stellen muss und kann.

5. Kostenerstattung stärkt die vertrauensgeprägte Beziehung zwischen Zahnarzt und Patient.

Die (zahn)ärztliche Behandlung bedarf immer eines intakten
Vertrauensverhältnisses zwischen Zahnarzt und Patient. Der Konsens über
die Kosten der Behandlung ist Bestandteil dieser Vertrauensbeziehung.
Diese wird durch die sachkundige zahnärztliche Beratung über die Kosten
und ggf. auch durch „Preisvergleiche“ des Patienten zusätzlich gestärkt.

Befürchtungen, Kostenerstattung könne zu „Dumping-Angeboten“ an den
Patienten führen und zu Lasten der Qualität der Behandlung gehen,
entsprechen nicht der Realität eines wettbewerbsoffenen
Gesundheitsmarktes und sind weder mit dem Qualitätsbewusstsein der
Patienten noch dem professionellen Selbstverständnis der Heilberufe zu
vereinbaren. Eine sachgerecht gestaltete Gebührenordnung müsste darüber
hinaus auch insoweit geeignete Bestimmungen enthalten.

6. Kostenerstattung bewirkt Entbürokratisierung.

Eine umfassende Verankerung der Kostenerstattung würde das bürokratisch
verkrustete und überregulierte System der vertrags(zahn)ärztlichen
Versorgung grundlegend verändern. Die gesetzlichen Regelungen müssen
den geeigneten Rahmen für Behandlungsbedingungen bilden, die eine
möglichst freiheitliche und damit der Patientenindividualität dienende
Behandlung erlauben. Überregulierungen der Versorgung durch Budgets,
Bedarfsplanung, Honorarverteilungs- und Kontrollinstitutionen würden im
Kostenerstattungssystem weitgehend entbehrlich. Insgesamt könnte
Kostenerstattung eine dringend gebotene Entbürokratisierung der
zahnärztlichen Behandlung in erheblichem Umfang bewirken.

7. Bei zahnärztlicher Behandlung ist Sachleistung heute schon teilweise abgelöst.

Im Bereich der Behandlung von Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen
zeichnet sich bereits seit vielen Jahren ab, dass der nach dem
wissenschaftlichen Stand zu erbringende Leistungsumfang in einem
durchgängigen Sachleistungssystem nicht mehr gewährleistet werden kann.
Seit vielen Jahren – spätestens seit der Einbeziehung des Zahnersatzes
in die vertragszahnärztliche Versorgung – modifiziert der Gesetzgeber
hier die Sachleistung insbesondere bei Zahnersatz und
kieferorthopädischer Behandlung durch Eigenbeteiligungen des Patienten
bzw. Zuschussformen. Im Bereich der Zahnersatzbehandlung gelten heute
sinnvollerweise befundbezogene Festzuschüsse. Auch im Bereich der
Füllungstherapie wurde das Sachleistungsprinzip durch Wahloptionen und
Eigenbeteiligungen durchbrochen. Zumindest im zahnärztlichen Bereich
ist das Sachleistungssystem heute vom Gesetzgeber damit zwar noch als
Leistungsform vorgesehen, hat aber bereits eine Fülle von Ausnahmen und
Modifikationen erfahren.

Ein Übergang zum Kostenerstattungssystem in diesem Bereich wäre also
nur konsequent, würde eine gesetzestechnische Vereinfachung bedeuten,
Systemwidersprüche beseitigen und verlässliche Behandlungsbedingungen
für Patienten und Zahnärzte schaffen. Zudem würden Wahloptionen für die
angesichts des medizinischen Fortschritts immer vielfältiger werdenden
therapeutischen Möglichkeiten eröffnet, die ohne das heutige
Reglementierungsgeflecht des Sachleistungssystems weitaus leichter zu
handhaben wären.

Die Kostenerstattung erweist sich als der Weg zur Entbürokratisierung
des Gesundheitswesens, zur Stimulation von Eigenverantwortung und
Kostentransparenz, ohne die unser Gesundheitswesen weder europatauglich
noch zukunftsfähig ist.

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999