(Aachen) Verlorenes Knochengewebe kann heute sicher und mit geringen
Komplikationsraten durch Transplantate ersetzt werden. Um Patienten die
Transplantation in der Zukunft gleichwohl zu ersparen, loten
Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen die Moeglichkeiten von Stammzellforschung
und Gewebezuechtung aus. Ihre neuesten Ergebnisse praesentieren mehrere
Forschergruppen auf dem 54. Kongress der Deutschen Gesellschaft fuer
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Aachen.
Bei Tumoren im Gesichtsbereich und in der Mundhoehle ist die
lebensrettende Operation kompliziert und kann bei fortgeschrittenen
Geschwulsten im wahrsten Sinn des Wortes zum teilweisen Gesichtsverlust
fuehren: Mitunter muessen Teile eines Kiefers, andere knoecherne
Strukturen des Gesichtes und wichtige Weichteilstrukturen wie Zunge,
Mundboden oder Wange entfernt werden. Auch bei komplizierten
Verletzungen oder Fehlbildungen im Gesicht sind die MKG-Chirurgen
gefordert, das Gesicht ihrer Patienten zu wahren oder
wiederherzustellen.
Durch ein ganzes Buendel von Massnahmen koennen die Experten inzwischen
die funktionellen und aesthetischen Folgen solcher Eingriffe mindern und
somit die Lebensqualitaet der Kranken weitestgehend erhalten:
– neue Operationsverfahren und bessere Moeglichkeiten der
Operationsplanung sorgen fuer schonendere Eingriffe, bei denen nach
Moeglichkeit Knochengewebe, Nervenbahnen und Blutgefaesse erhalten
werden
– verlorenes Knochengewebe kann durch eine Transplantation
koerpereigenen Knochens ersetzt werden.
„Die Eingriffe sind heute mit hoher Sicherheit und geringen
Komplikationsraten durchfuehrbar“, resuemmiert Prof. Dr. Dr. Michael
Ehrenfeld von der Ludwig-Maximilians-Universitaet Muenchen zahlreiche
Studien, die auf dem Aachener Kongress vorgestellt werden.
Gleichwohl erproben die MKG-Chirurgen verschiedene neue Strategien, um
den Patienten die Gewebe-Entnahme in der Zukunft zu ersparen: Das Ziel
ist, koerpereigene Knochenzellen des Patienten in der Kulturschale oder
im Koerper nachwachsen zu lassen. Stammzellen, Wachstumsfaktoren und
Gewebezuechtung (Tissue engineering) sind derzeit die „heissen“
Forschungsbereiche in der MKG-Chirurgie und spielen darum auch auf dem
54. Jahreskongress eine wichtige Rolle.
– Wachstumsfaktoren. Die kurz BMPs (Bone-morphogenic Proteins) genannten
Faktoren, die das Knochenwachstum anregen, sind ein Schwerpunkt. In der
Kulturschale sorgen diese Stoffe dafuer, dass die Zellen verstaerkt
Knochengrundsubstanz bilden und Mineralsalze einlagern. Auf der Tagung
in Aachen berichten beispielsweise MKG-Chirurgen von der Universitaet
Duesseldorf, dass gentechnisch gezielt veraenderte BMPs eine
staerkere Wirkung haben als die natuerlichen Stoffe. Ein Forscherteam
von der Universitaet Kiel konnte bei Versuchen mit Minischweinen
nachweisen, dass ein ebenfalls gentechnisch produzierter
Wachstumsfaktor, das humane osteogene Protein 1 (hOP-1), aufgebracht auf
eine Traegersubstanz, Knochendefekte dimensionsgetreu rekonstruieren
kann.
– Stammzellen aus Fettgewebe. Vorlaeuferzellen, aus denen Knochen- und
Muskelzellen entstehen, koennen inzwischen aus verschiedenen Geweben,
beispielsweise auch aus Fettgewebe, gewonnen werden. So berichten
MKG-Chirurgen von der Universitaet Leipzig, dass sie aus dem
Fettgewebe von Patienten so genannte mesenchymale Stammzellen isolieren
und im Labor vermehren und differenzieren konnten. Dies gelang den
Experten sowohl in der zweidimensionalen Zellkultur als auch bei der
Besiedlung einer dreidimensionalen Matrix aus Kollagen.
– Anregung zur Reifung. Eine Forschergruppe von der Universitaet
Muenster berichtet, dass die mechanische Stimulation der Zellen in
der Kulturschale die Produktion bestimmter Proteine und die
Biomineralisation foerdert. „Diese Strategie koennte die Moeglichkeit
eroeffnen, Knochen in vitro reifen zu lassen“, erklaeren die
Wissenschaftler.
– Traegerstoffe. Ein wichtiger Faktor des Tissue Engineering sind die
dreidimensionalen Traegersubstanzen, so genannte Scaffolds, auf denen
die Zellen heranreifen und sich vermehren. Erprobt werden dabei die
unterschiedlichsten Stoffe, beispielsweise Hydroxylapatit, Kollagen,
Trikalziumphosphat oder Kalziumkarbonat. Die Materialien sollen nicht
nur – unterstuetzt von Wachstumsfaktoren – die Vermehrung der Zellen
anregen, sondern muessen auch biologisch abbaubar sein. Gleich mehrere
Forschergruppen stellen auf dem Kongress dazu Ergebnisse vor.
Allerdings zeichnet sich bislang noch nicht ab, welche Traegersubstanzen
am geeignesten sind – das Rennen ist auf diesem Gebiet noch lange nicht
entschieden.