Kinderseelen und Zähne – Kieferorthopäden initiieren Beratungswochen


Nicht nur Erwachsene knirschen und arbeiten ihren Stress an ihren
Zähnen ab – auch viele Kinder stehen enorm unter Druck und nutzen
unbewusst ihre Mundregion als Ventil. „Knirschen ist aber nichts
Natürliches“, stellt Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke, Direktorin der
Poliklinik für Kieferorthopädie/Universität Hamburg, klar. „Wenn jemand
seine Zähne fest zusammenpresst oder beispielsweise im Schlaf die
Kiefer aneinander reibt, dann löst der Körper auf diese Weise
aufgestaute Anspannung. Und das hinterlässt deutliche Spuren an der
Zahn- und Kiefergesundheit.“ Prof. Kahl-Nieke ist wissenschaftliche
Schirmherrin der Beratungswochen, die die Kieferorthopäden am 31.
Oktober 2006 in Berlin mit einer Pressekonferenz starteten.
Auch wenn ein Kind noch im Schulalter an Daumen oder Schmusedecken
nuckelt oder an Honigmilch im Fläschchen vor dem Einschlafen, weist
dies darauf hin, dass das Kind möglicherweise unter größerem Druck
steht und diesen loswerden muss. Bei der Pressekonferenz der IKG
erklärte Dr. Wolfgang Schmiedel, Kieferorthopäde und Präsident der
Zahnärztekammer Berlin dazu: „Das mögen manche Eltern als übliches
Verhalten von Kindern betrachten – sie wissen oft gar nicht, dass das
nicht einfach eine Marotte ist. Und sie ahnen nicht, dass Zähne und
Kiefer nachhaltig geschädigt werden und dies auch zu psychischen
Problemen im ganzen späteren Leben führen kann.“ Die Initiative
Kiefergesundheit hat daher jetzt bundesweit Beratungswochen für Eltern
in den kieferorthopädischen Praxen initiiert, um das Bewusstsein für
Hintergründe und Konsequenzen von Fehlbelastungen im Kiefer zu fördern.

Dass gerade die Kieferorthopäden die richtigen Ansprechpartner bei
diesem Thema sind, betonte Dr. Schmiedel ausdrücklich:
„Kieferorthopädie ist die Wissenschaft von Wachsen und Werden, aber
auch von den Krankheiten des Kiefers und der in ihm wachsenden Zähne.
Wer sich Fachzahnarzt für Kieferorthopädie nennen darf, hat zusätzlich
zu seiner zahnärztlichen Ausbildung eine dreijährige Weiterbildung mit
Examen absolviert. Kieferorthopäden sind daher die Experten für die
Zahnentwicklung und die richtige Position der Zähne im Kieferknochen,
und sie kennen sich profund aus mit Funktion und eben auch mit
Fehlfunktionen des Kiefergelenkes und den Auswirkungen auf die Zähne.
Wir möchten Eltern dafür sensibilisieren: Kinderseelen sprechen auch
durch ihre Zähne! Und hier bringen wir unsere Erfahrung ein.“

Oft ist es zuerst der Kieferorthopäde, der mit einem Blick auf den
Zahnzustand erkennt, dass ein Kind unter großen Belastungen leidet.
Solche Befunde nehmen in den Praxen deutlich zu, wie Erfahrungen der
Kieferorthopäden belegen. „Wenn Schulkinder Knirschen, zerstören sie
ihre Zähne in einer Phase, in der sie gerade erst durchgebrochen sind
und eigentlich ein Leben lang halten sollen“, sagte Dr. Schmiedel: „Wer
am Daumen lutscht, verschiebt den Kiefer nach vorn und bekommt einen
Überbiss. Viele Kinder kauen anhaltend an Bleistiften oder an den
Fingernägeln, saugen die Lippen ein oder stützen fortwährend das Kinn
ab. All dies verformt den Kiefer in der Phase des Wachstumsprozesses.
Das Ergebnis sieht nicht nur unschön aus und führt zu manchen
Hänseleien und dadurch ebenfalls zu seelischen Belastungen, sondern
schadet auch der Mundgesundheit, der Sprachentwicklung und
behindert/stört die Kaufunktionen. Manche Kinder können auch ihren Mund
gar nicht mehr schließen, hier erfolgt anstatt der natürlichen
Nasenatmung eine permanente Mundatmung.“ Wichtig sei es, zuerst einmal
zu erkennen, dass Knirschen und Nuckeln kein natürliches Verhalten der
Schulkinder sind, sondern meist Zeichen für größere seelische
Belastungen und Unruhe oder Überforderung. Erst wenn man dies wisse,
könne man den Ursachen auf den Grund gehen. „Nicht wenige Kinder heute,
und das betrifft alle Einkommensschichten, haben Angst vor
Klassenkameraden, dem Heimweg oder einer schulischen Herausforderung –
aber in der Regel sprechen sie nicht darüber. Auch die Art der Zahn-
und Kieferschäden kann schon einige Anhaltspunkte geben: Es macht einen
Unterschied, ob ein Kind eher die Zähne zusammenpresst, am Daumen
lutscht oder die Lippen einsaugt. Wir geben den Eltern Anregungen, auf
altersgerechter Ebene mit dem Kind die Belastungen zu klären, und wenn
sie sich nicht lösen lassen, dann Wege zu finden, für einen Ausgleich
oder eine Stabilisierung der Seele und damit letztlich auch der
Mundgesundheit zu sorgen.“ Ungünstige Angewohnheiten, die die Kinder
beibehalten, wachsen sich nicht automatisch aus und bleiben oft auch im
Erwachsenenalter bestehen, so zum Beispiel das Schmatzen beim Essen,
Schnarchen und Atmen mit offenem Mund.
Der prüfende Blick des Kieferorthopäden, aufgrund seiner Ausbildung
geradezu Spezialist für Kinderzähne, auf die Zahnentwicklung des Kindes
dahingehend, ob alles seine Ordnung hat, ist eine Leistung der
gesetzlichen Krankenversicherung und daher zuzahlungsfrei.

Die Berliner Zahnärztekammer, so Dr. Schmiedel, hat in vielen Projekten
die Förderung der Zahngesundheit von Kindern und Jugendlichen
unterstützt und dabei – in diesem Jahr ganz aktuell – auch in Form
einer „Milchzahnwoche“ das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die
besondere Schutzwürdigkeit der Kinderzähne gelegt. „Wir beklagen immer
wieder, dass vor allem Kinder aus sozial belasteten Familien nach wie
vor – und wieder steigend – Schäden an den Zähnen haben, die oft
nachhaltig das Wachsen und Werden und die richtige Positionierung der
bleibenden Zähne behindern oder stören“, sagte Dr. Schmiedel. „Hier
müssen die Eltern ihren Kindern helfen, und wir sehen es als unsere
Aufgabe an, wiederum den Eltern zu helfen, damit es den Kindern besser
geht, denn diese können nicht selbst für ihre Mundgesundheit
verantwortlich gemacht werden. Insofern begrüßen und unterstützen wir
diese Initiative der IKG ganz ausdrücklich.“

6-PUNKTE-KATALOG FÜR ELTERN-BERATUNG / TIPPS FÜR ELTERN:
1. Hinschauen: Wie zeigt sich das Verhalten des Kindes? Nuckeln,
Knirschen, Nägelkauen, Lippen saugen, Mundatmung, Stifte kauen… ?
2. Überlegen: Was für eine „Nachricht“ sendet unbewusst das Kind? Hat
es Angst vor etwas Konkretem oder Allgemeinem, Überforderung,
Unruhe…? Hier können Kindertherapeuten weiterhelfen.
3. Ruhe bewahren: Ungünstige Angewohnheiten nicht mit Zwang
„abtrainieren“. Dies würde nur erneut Druck und Stress auslösen. Lieber
mit dem Kieferorthopäden sowie ergänzenden Experten besprechen.
4. Ventile schaffen: Wenn das Kind unter Druck steht, sind oft
sportliche Aktivitäten an frischer Luft hilfreich, damit sich das Kind
„austoben“ kann.
5. Schutz geben: Wenn das Kind eine konkrete Angst hat, z.B. vor
Klassenkameraden, das Gespräch mit dem Klassenlehrer suchen und einen
hilfreichen Weg suchen. Ein solches Problem können Kinder nicht allein
lösen.
6. Ruhe vermitteln: Viele Kinder stehen heute unter erheblicher Unruhe
weil sie auch zuhause wenig Ruhe finden. Spezielle Kindergruppen
(Krankenkasse fragen) trainieren Entspannung auf altersgerechte Weise
und helfen Familien in stressbelasteten Situationen.

GESUCHT:
Die Initiative Kieferorthopädie bittet um Mithilfe und Übermittlung
erfolgreicher Tipps für Eltern und Kinder; Ziel ist ein hilfreicher
Katalog an praxistauglichen Empfehlungen zur Unterstützung der Arbeit
in den kieferorthopädischen Praxen und zur Erleichterung der Kompetenz
der Eltern.

15 JAHRE INITIATIVE KIEFERGESUNDHEIT
Bilanz der Leistungen im Jahr 2006

Die Initiative Kiefergesundheit (IKG) mit Sitz in Berlin (seit 2002)
wurde 1991 von engagierten Kieferorthopäden gegründet und ist ein
gemeinnütziger Verein. Seine Aufgabe ist die umfassende Aufklärung und
gezielte Information über Zahn- und Kiefergesundheit vor allem der
Kinder und Jugendlichen, kurz: kieferorthopädische Prophylaxe. Hier sei
nicht nur den engagierten Kieferorthopäden sondern vor allem auch den
Landesarbeitsgemeinschaften unser Dank ausgesprochen, denn ohne ihren
Verdienst als Wegbereiter für die Zahnprophylaxe wäre die Arbeit der
IKG nicht so weit gekommen. Ein herausragendes Anliegen der IKG ist
dabei die Verhütung und Früherkennung von Zahnfehlstellungen und
Kieferanomalien. Unter dem Motto „Gerade Zähne – gerade jetzt“ steht
deshalb auch die Arbeit des „Krocky-Mobils“, eines Infobusses, der
ganzjährig quer durch Deutschland unterwegs ist. An Schulen und bei
Veranstaltungen erklären hier Kieferorthopäden und Die
Arbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege vor allem die Bedeutung
gerade stehender Zähne für die Kaufunktion und eine kariesverhütende,
optimale Mundpflege sowie den Lippenschluß für eine gesunde Nasenatmung.
Die IKG kann eine erfreuliche Bilanz für 2006 ziehen, denn mit dem
Datum 31. Oktober , dem Tag der Pressekonferenz, endet auch die
diesjährige Saison für den Einsatz des Krocky-Mobils. Im Jahr 2006 war
das Krockymobil an 140 Tagen unterwegs und dabei an 53 verschiedenen
Orten in ganz Deutschland und hat rund 28.000 Kinder über die vielfach
unbekannten Zusammenhänge von Zähnen und Kiefer informiert. Dieser
Einsatz unterstützt die Arbeit der rund 3000 Kieferorthopäden in ganz
Deutschland in ihrem Bemühen um Aufklärung und Information.

SERVICE:
Patienten in ganz Deutschland, die einen Fachzahnarzt für
Kieferothopädie in ihrer Nähe suchen, finden Hinweise dazu auf der
Website www.zahnspangen.org

LOKALES BERLIN:
Entwicklung der Kieferorthopädie in Berlin
„Derzeit sind von den in Berlin zugelassenen 152 Fachzahnärzten für
Kieferorthopädie rund 145 im Berufsverband der deutschen
Kieferorthopäden organisiert, der BDK ist also ein überaus
repräsentativer Berufsverband“, erklärte Dr. Hans-Jürgen Köning,
Kieferorthopäde und Vorsitzender des BDK-Landesverbandes Berlin. Berlin
mit seinen vielen sozial und ökonomisch belasteten Familien und einem
hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund stelle nicht nur
zahnmedizinisch hinsichtlich der bekannt schlechteren gesundheitlichen
Situation solcher Familien eine große Aufgabe dar, sondern auch
hinsichtlich der gesetzlichen Zuzahlungspflicht zu kieferorthopädischen
Behandlungen, die erst nach erfolgreicher Therapie von den
Krankenkassen zurückerstattet werden. Allerdings gibt es hiervon
Ausnahmen in wirtschaftlich besonders begründeten Fällen, hier ist eine
Kontaktaufnahme mit der eigenen Krankenkasse klärend.

NEU: UNTERSTÜTZENDE PRÄVENTIONSMAßNEHMEN DURCH DIE LAG BERLIN
Auch die Landesarbeitsgemeinschaft Berlin zur Verhütung von
Zahnerkrankungen (LAG) forciert die Zusammenarbeit mit Kieferorthopäden
und ihre Präventionsarbeit hinsichtlich kieferorthopädischer Aspekte.
„Wir haben, das ist noch ganz neu, jetzt auch kieferorthopädische
Prophylaxe mit in unser Präventionsprogramm aufgenommen“, berichtete
LAG-Geschäftsführer Rainer Grahlen. In einem ausgefeilten
Unterrichtskonzept für die Klassen 4 – 6 geht es um Themen wie
Zahnfehlstellungen, Zahnspangen und Prophylaxemaßnehmen, darunter auch,
wie man seine Zähne richtig pflegt, wenn Spangen und Brackets dies auf
den ersten Blick zu erschweren scheinen.
(mehr dazu in beigefügter Datei der LAG)

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999