Hoffnung auf die vierten Zähne – Zahnimplantate


Die zweite Zahnausstattung von Mutter Natur – oft als „bleibendes
Gebiss“ bezeichnet – hält kein Leben lang. Das Verdikt „der muss raus“
mag nach schmerzhafter Wurzelentzündung eine Erlösung sein, wirft aber
die Frage auf, wie entstehende Lücken wieder geschlossen werden können.

Nicht nur aus kosmetischen Gründen, sondern aus medizinischen:
Fehlbelastung kann die Kiefergelenke zerstören, eingeschränkte
Kaufähigkeit kann Verdauungsbeschwerden bis zu chronischen
Organdefekten nach sich ziehen.

Nach prothetischen Zwischenlösungen wie Kronen, Stiftzähnen und Brücken
kommt es meist zu den „dritten Zähnen“. Unter drückenden, nicht
funktionierenden Prothesen litt schon George Washington, 1789 erster
US-Präsident.

Doch auch im Zeitalter hochpräziser Gusstechnik und computergefräster
Keramikteile sitzen Prothesen oft nur anfangs richtig gut. Denn Kiefer
und Zähne sind ständiger Veränderung unterworfen, Prothesen müssen
meist früher oder später unterfüttert und geändert werden.

Viele setzen daher Hoffnung auf „die vierten Zähne“, auf ein Implantat.
Die Anzahl der Implantationen in Deutschland stieg von 200 000 im Jahr
2001 auf 600 000 im Jahr 2006, nach Schätzung von Gesundheitsexperten
werden jährlich weltweit rund 1,5 Millionen Zahn-Implantate gesetzt.

Diese ähneln im Unterbau einem Dübel aus der Bautechnik: meist eine
Hülse aus dem hochfesten, leichten Metall Titan, alternativ auch aus
Zirkonoxid, die in den Kieferknochen eingesetzt wird und dort
festwächst.

Das Fabrikat ist nach Ansicht namhafter Implantologen Nebensache. Der
Darmstädter Implantologe und Gesichtschirurg Christian Foitzik, 58
Jahre, Autor von Fachschriften über Implantatsysteme, in dessen Praxis
seit 1975 jährlich rund 1000 Implantate gesetzt werden, nennt als
bewährte Fabrikate Nobel Biocare, Straumann, Zimmer dental und Dentsply
sowie Camlog.

In das Innengewinde des Implantats werden – gleich oder später –
„Sekundärteile“ eingeschraubt, die einzelne Kunstzähne tragen, Brücken
oder komplette Prothesen. Neben dem festen Sitz liegt der große Vorteil
von Implantaten in der direkten Lastaufnahme durch den Kiefer – der
baut Substanz ab, sobald er nicht mehr belastet wird.

Von daher gesehen kann die Implantat-Technik auf Dauer eine
kostensparende Investition sein. Dies mag auch der Grund sein, warum
die gegen Neuerungen meist ablehnend eingestellten gesetzlichen
Krankenversicherungen seit 2005 immerhin Brücken und Prothesen
bezuschussen, die auf Implantaten ruhen, wie ein Darmstädter Sprecher
der „Barmer“ mitteilte.

Implantate selbst muss der Patient im Regelfall komplett selbst
bezahlen – es sei denn, er ist als Unfallopfer oder infolge schwerer
Krankheit so geschädigt, dass die Implantation lebensnotwendig wird.
Mit 1000 bis 1100 Euro pro Implantat muss man rechnen – der
prothetische Aufbau kommt noch hinzu.

Hersteller und Vertreiber der Implantate werben oft mit „neuen, festen
Zähnen binnen einer Stunde“. Das hören Patienten gerne, denen gerade
ein Zahn verlorengegangen ist oder bei denen der Bruch einer Prothese
eine riesige Lücke eröffnet hat. Und die am kommenden Tag nicht nur
kraftvoll zubeißen wollten, sondern vielleicht einen Geschäftsabschluss
zu verhandeln, eine Rede zu halten, vielleicht gar auf der Bühne zu
singen geplant hatten.

Implantologen, die im direkten Kontakt mit Patienten stehen – und von
diesen bei Verlust eines Implantats angesprochen werden – hören solche
in jeder Beziehung vollmundigen Werbeversprechungen nicht gern. Denn
ein menschlicher Kiefer ist kein Betonteil, das wenigstens laut Norm
homogen und ohne Hohlstellen ist. Ein Kiefer besteht aus Knochen
unterschiedlicher Beschaffenheit, und er birgt Hohlräume, Gefäße und
Nerven.

Jede Implantation ist somit ein Einzelfall, den es sorgfältig zu planen
und vorzubereiten gilt. Dazu vergleicht der Implantologe den
Ist-Zustand per Augenschein und einer maßhaltigen
Rundum-Röntgenaufnahme mit dem Ziel der Planung.

Besonders schwierige Fälle können eine dreidimensionale Tomografie
voraussetzen. Die Grenzen der Implantationstechnik können in einer
komplizierten Bisslage liegen, am Mangel an Knochensubstanz, vor allem
an zu geringer Distanz zwischen der Oberkante des Kiefers und dem Nerv.

„In der Regel müssen wir 8,5 Millimeter Bohrtiefe für ein Implantat
haben“, sagt Ulrich Sack, erfahrener Implantologe in Dieburg. Und dann
noch einen Millimeter Knochen bis zum Nerv. Dessen Schädigung kann zum
Gefühlsverlust in der Lippe führen, mit erhöhter Gefahr, sich an
Speisen und Getränken zu verbrennen.

Im Oberkiefer ist auch der Abstand des Implantats zur Kieferhöhle ein
kritischer Faktor. Insbesondere nach Zahnverlust dehnt sich die
Kieferhöhle durch Knochenabbau aus.

Eine Sinuslift-Operation kann die Kieferhöhle verkleinern: Aus der
Wandung wird ein Plättchen herausgefräst, das mitsamt Schleimhaut in
der Kieferhöhle nach oben geklappt gewissermaßen eine Zwischendecke
bildet. Nach neun Monaten sollte sich darunter neuer Knochen gebildet
haben, eventuell unterstützt durch Einbau von Knochenersatzmaterial.

Sack nennt eine Chance von 70 Prozent, dass ein unter diesen Umständen
gesetztes Implantat gut einwächst. Im schlimmsten Falle, so Sack, fällt
das Implantat heraus, das Loch verknöchert, nach drei bis fünf Monaten
wird ein neues gesetzt.

Das hört sich undramatisch an, bedeutet aber für den Patienten häufige
Ausfallzeiten. Denn um den Erfolg nicht zu gefährden, kommt neben
Schonung nach den Eingriffen, entsprechender Ernährung einige Tage
danach vor allem besonders sorgfältige, aufwendige Mundhygiene hinzu,
die sich in vielen Arbeitssituationen kaum realisieren lässt.

Auf die Frage, wie sich denn diese Perspektiven mit dem oft
propagierten „Neue Zähne in einer Stunde“ vereinbarten, lacht der
Implantologe. „Im Prinzip ist ein Implantat unter optimalen
Bedingungen, das heißt in ordentlicher Knochensubstanz, sicherlich
sofort belastbar.

Aber mit dem Implantieren ist es ähnlich wie mit dem Autofahren. Wer
mit Tempo 250 fährt, kommt schneller an – möglicherweise. Wer mit
niedrigem Tempo fährt, reduziert sein Risiko, aus der Kurve zu fliegen.
Wenn wir auf ein frisch gesetztes Implantat gleich einen Aufbau
aufsetzen, erhöhen wir damit das Risiko einer Infektion, die das
Einheilen des Implantats verhindert.

Man spricht von „Implantitis.“ Die Chancen, dass ein Implantat
problemlos im Kieferknochen einheilt, seien weitaus größer, wenn man
nach dem Einsetzten die Mundschleimhaut darüber wieder vernäht – und
sie zum Einsetzen des prothetischen Aufbaus wieder eröffnet.

Quelle: echo-online.de

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999