Hasenzähne in Form gebracht


Wenn kleine Kinder häufig und gern am Daumen nuckeln, können markante Hasenzähne die Folge sein. Immerhin lassen sich die hervorstehenden Beißerchen wieder mit einer Zahnspange richten. Auch weniger bizarre Fehlstellungen machen häufig eine kieferorthopädische Behandlung notwendig – selbst wenn sie auf den ersten Blick wenig dramatisch erscheinen. «Viele Eltern versäumen, mit ihren Kindern rechtzeitig zum Kieferorthopäden zu gehen», beklagt Günter Herre, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie.

Dabei ist es wesentlich schwieriger, im späten Teenager- oder gar Erwachsenenalter einen Kiefer zu richten, als wenn man bereits im Einschulalter damit beginnt. Zudem übernähmen die gesetzlichen Krankenkassen bestimmte Kosten für die Therapie in der Regel nur dann, wenn der Patient unter 18 Jahren alt ist, fügt Herre hinzu.

Zahnfehlstellungen können genetisch bedingt sein oder nachträglich erworben sein – neben Daumennuckeln zum Beispiel durch Nägelkauen, bestimmte Schlaflagen oder Zungenfehlverhalten wie Lispeln. Beim Daumennuckeln beispielsweise drückt der Finger die oberen Schneidezähne immer weiter vor und die unteren Zähne nach hinten. Ein typischer Fall von genetischer Fehlentwicklung ist die sogenannte Progenie. Hier ragt der Unterkiefer hervor, weil er einen unnatürlichen Wachstumsvorsprung gegenüber dem Oberkiefer hat.

Wohl kaum ein Kind trägt eine Zahnspange gerne, ganz gleich, ob es sich um ein festes oder loses Modell handelt. Aber manchmal muss es einfach sein – und zwar nicht unbedingt nur aus ästhetischen Gründen, also um eine hässliche Zahnfehlstellung wieder optisch befriedigend hinzubiegen. Häufig ist die Klammer auch aus gesundheitlichen Gründen notwendig: «Fehlstellungen können nicht nur Zähne und Gebiss schädigen», warnt Mediziner Herre. Erfolgt keine Korrektur, drohen Auswirkungen auf die ganze Körperhaltung. Kiefergelenkerkrankungen, chronische Kopf- oder Rückenschmerzen oder Fehlstellungen des Beckens sind möglich.

Dennoch werden heutzutage deutlich weniger Zahnspangen verschrieben als noch vor 10, 20 Jahren. Laut Herre liegt dies nicht etwa daran, dass Zahnfehlstellungen seltener aufträten als früher. Vielmehr hätten die Krankenkassen aus Kostengründen ihren Leistungskatalog zusammengestrichen: Während früher nur rein ästhetische Eingriffe kostenpflichtig gewesen seien, werde heute penibel mit dem Millimeterband abgemessen, ob eine Zahnfehlstellung behandlungswürdig ist oder nicht. Die Korrektur kleiner Fehlstellungen falle komplett aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen, auch wenn sie dem Kieferorthopäden medizinisch notwendig erscheine, kritisiert Herre.

Andere Ärzte bewerten den Vorgang dagegen als weit weniger besorgniserregend. Zwar sei die Kostenübernahme nun von einem bestimmten Schweregrad abhängig. Andererseits werde den Kindern dadurch die Korrektur der vielen «Mini-Fehlstellungen» erspart, die früher oftmals kieferorthopädisch behandelt wurden, sagt Christoph Hoberg, Kinderzahnarzt in Berlin.

Ihm zufolge wird nämlich häufig übersehen oder verschwiegen, dass die Verordnung einer Zahnspange auch bestimmte Risiken birgt. «Kieferorthopädie ist keine nebenwirkungsfreie Zone», betont Hoberg. Insbesondere die Hygiene stellt ein großes Problem dar. Das Zähneputzen bis in die hintersten Ecken der Mundhöhle fällt kleinen Kindern ohnehin schon schwer. Aber wenn eine Spange zusätzlich noch viele weitere schwer erreichbare Zwischenräume für Speisereste schafft, sind die Kleinen häufig gänzlich überfordert. Zudem entstehen an der Stelle, wo die einzelnen Spangenhalterungen (Brackets) montiert werden, häufig Entkalkungen. Insgesamt ist ein deutlich erhöhtes Kariesrisiko die Folge.

Hoberg rät Eltern daher, grundsätzlich die Meinung von mindestens zwei Medizinern einzuholen, bevor sie ihr Kind in kieferorthopädische Behandlung schicken. Überdies muss die Entscheidung gegen eine Behandlung keine endgültige sein. Wer über seine Zahnfehlstellung später unglücklich sei, könne sie auch noch im Erwachsenenalter korrigieren lassen, sagt Hoberg. Dann allerdings meist auf eigene Kosten.

Quelle: zahn-online.de

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 30 November 1999