Die Erfahrungen von Teams der Landesarbeitsgemeinschaft Berlin zur Verhütung von Zahnerkrankungen (LAG) vor allem in Brennpunktschulen zeigen, dass ein steigendes Konfliktpotential zu spüren ist, mit dem sie umgehen können müssen: Da bekommt eine zu hören, dass eine blonde Frau ohne Kopftuch einem nichts zu sagen hat, eine andere wird zurechtgewiesen, man dürfe schließlich an Ramadan keine Zähne putzen, und einige müssen sich heftiger sexistisch-machismo-geprägter Sprüche erwehren, die nicht zitierfähig sind. „Das ist Gewalt und braucht eine Antwort“, betonte Gabriele Hofmann (Sonderpädagogin und Schulberaterin zu Konfliktvermeidung), Referentin bei einer hochspannenden und praktisch hilfreichen Fortbildungsveranstaltung der LAG in Form einer Podiumsdiskussion. Gekommen waren die eigenen Mitarbeiterinnen, sowie Zahnärzte und Zahnarzthelferinnen der Berliner Zähnärztlichen Dienste, aber auch Kollegen aus dem Bereich Gruppenprophylaxe anderer Bundesländer. An diesem 19. September 2006 war der Hörsaal der Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin wie erwartet voll besetzt, als Dr. Thomas Leeb (Leiter einer Grundschule im Berliner Bezirk Wedding), Ramazan Salman (Leiter des Ethnomedizinischen Zentrums, Hannover), Sanchita Basu (Bildungsreferentin der ReachOut-Opferberatung) und Gabriele Hofmann über Wege aus den eskalierenden Konflikten in den Schulen und damit auch für mehr Schutz der LAG-Teams diskutierten – mit Empfehlungen, die auch außerhalb der Schulmauern hilfreich im Umgang mit der wachsenden Gewalt-Bedrohung sind.
„Dies war unser Hauptbeitrag zum diesjährigen Tag der Zahngesundheit, der der Zielgruppe der Jugendlichen gewidmet ist“, sagt Rainer Grahlen, Geschäftsführer der LAG Berlin. „Wir fanden es wichtig, das Thema Prophylaxe mal nicht von der ‚Zahnputzseite’, sondern von der pädagogischen und gesellschaftspolitischen Warte aus zu betrachten.“ Diskutant Salman zeigte sich von den Berichten der LAG-Teams erschüttert und meinte, dies sei offenbar ein berlintypisches Problem – er erhielt allerdings Gegenwind aus dem Publikum: Auch anderswo in Deutschland seien diese Erlebnisse zunehmend an der Tagesordnung, oft besonders massiv durch Kinder aus Migrantenfamilien türkischer und arabischer Herkunft; dieser Tatsache müsse er sich stellen und mithelfen, dieses Konfliktpotential zu mindern sowie den Umgang damit zu verbessern. Salman machte deutlich, dass dies in besonders relevanten Fällen eher nicht im direkten Kontakt LAG-Teams und aggressive Schüler zu lösen sei – hier müsse eine andere „Machtebene“ Einfluss nehmen, vieles könne nur über die Zusammenarbeit von Imam, Schulleiter und LAG-Führung abgebaut werden. Allerdings helfe auch mehr Verständnis für die nonverbale Sprache weiter, darin waren sich Salman, Basu und auch Hofmann einig: Kinder gerade – aber nicht nur – aus Migrantenfamilien litten unter Orientierungsproblemen durch Werteverluste und drückten ihre Defizite und Wünsche ihren mangelnden Fähigkeiten entsprechend oft durch Gewalt oder Verweigerung aus. „Schauen Sie doch mal die Signale genauer an und übersetzen Sie die Aggression: Was will dieser Schüler hier eigentlich wirklich sagen?“ – empfahl Gabriele Hofmann. Wer ständig Chaos in der Schultasche habe, vermisse in seinem Leben mehr Umsorgtwerden, das könne man auch in der Schule durch Kleinigkeiten ohne großen Mehraufwand leisten. Wer distanzlos an Erwachsene herangehe, habe oft das Bedürfnis nach mehr Aufmerksamkeit und Sicherheit, auch hier sei durch wenig Aufwand viel zu erreichen. Wer ständig mit unangemessenem Verhalten provoziere, wolle endlich feste Regeln und vor allem spüren, dass die Erwachsenen auch Wort halten. Wer prügele, fühle sich nicht in seiner Person anerkannt und verteidige sich. Sogar in solchen Fällen mit körperlicher Aggression sei es möglich, dem Kind Sicherheit und Stärke zu vermitteln und die Konfliktschwelle zu erhöhen. Zu allen Punkten hatte sie praktikable Beispiele mit auf den Weg geben können. Schulleiter Dr. Leeb und auch Gabriele Hofmann plädierten für „klare Worte, Rechte und Pflichten“ und sprachen sich gegen „Multikultitaumel“ (Dr.Leeb) aus. Es liege oft an der Schule und ihrem Leiter, wenn die Stimmung schlecht und für die LAG-Teams bedrängend würde, Dr. Leeb: „Nehmen Sie die Konflikte nicht persönlich und beschweren Sie sich – zuerst beim Klassenlehrer, und wenn dies nicht hilft, beim Schulleiter.“ Er habe gelernt, dass es seine Position bei vielen Jungen schwächt, wenn er mit ihnen reden will: „Sie brauchen eine Hierarchie und das Gefühl, dass ich stark bin und Macht habe – es ist eine andere Kultur, eine andere Kommunikation, auf die wir reagieren müssen, wenn wir helfen wollen.“ Er beklagte, dass die Kinder mit mangelhaften Sprachkenntnissen und ohne Erziehung mit Blick auf deutsche Strukturen in die Schulen geschickt würden, viele Eltern sich zudem für die Schule nicht interessierten, auch andere Erwartungen an die Schule hätten – daher habe er an seiner Schule Elternklassen eingerichtet, die sehr erfolgreich eine Brücke über die kulturellen Unterschiede baue: „Wenn die Mütter wissen, was ihre Kinder an Hausaufgaben aufhaben, stehen sie vor ihren Kindern auch nicht mehr als dumm und machtlos da.“ Er sei auch froh über die Arbeit der LAG, denn er sehe zunehmend Armutszahnlosigkeit, der man gemeinsam begegnen müsse.
Die Veranstaltung wurde allseits mit heftigem Engagement begleitet und von rbb-Redakteurin Gunda Lahn (Radio Multikulti) in einfühlsamer Weise moderiert. Für das Angebot und das Programm dieser Fortbildung bekam die LAG großen Beifall, auch bei den angereisten Teilnehmern. „Es wurde deutlich“, so Rainer Grahlen, „dass dies erst der Anfang war, eine Art Grundlage – wir müssen hier weitermachen und haben das auch schon geplant. Unsere Fortbildung dient dabei nicht nur der LAG-Arbeit, sondern strahlt auch auf den Alltag außerhalb der Zahnmedizin und Prophylaxe aus. Wir sind guten Mutes, dass wir einen großen Schritt weiterkommen, auch für die Kinder und Jugendlichen, für die wir in unserem kleinen Rahmen doch vieles tun können.“
Für Rückfragen: Rainer Grahlen, LAG Berlin, T: 030 / 306986-0