DGÄZ-Sektion beim Deutschen Zahnärztetag 2010: Ästhetik – Kosmetik – Ethik und die Rolle der Wissenschaft


Dass die Abgrenzung an sich nicht so schwer ist, wurde im didaktisch hervorragenden Beitrag von Professor Groß schnell deutlich: „Was kosmetisch ist, muss nicht ästhetisch sein“, sagte er im Vortragsbereich ‚Einzelphänomen oder Trend’ und verweis auf die lange Tradition von Piercings, Tattoos und Zahnmalerei bei den Naturvölkern: „Das Schmücken des menschlichen Körpers hat eine lange Tradition.“ Auch vor drastischen Eingriffen in den Körper wie Tellerlippen oder langgezogene Ohrläppchen werde nicht Halt gemacht. Ästhetik dagegen sei wahrnehmbare Schönheit und letztlich Harmonie im Einklang mit der Natur. Die Differenzierung Kosmetik/Ästhetik gerate in der Zahnmedizin derzeit etwas in den Hintergrund. Wunschzahnmedizin sei eindeutig ein Trend und kein Einzelphänomen, denn Umfragen zeigten die enorme Verbreitung des Interesses an ‚schönen Zähnen’ bei der Bevölkerung (Nachfrage) und Datenerhebungen die erheblich steigende Anzahl an Praxen mit entsprechenden Leistungen (Angebot).

Zertifizierung für Langzeitarbeitslose

Dabei befinden sich – so der Vortragsbereich ‚rechtliche Aspekte’ – die Zahnärzte in einer offenbar wenig professionellen Umgebung: Kosmetische Leistungen werden heute nicht mehr nur von ‚Spa-Zahnärzten’ oder zahnärztlich geleiteten ‚Beauty-Dent & Co’-Instituten angeboten, sondern auch beispielsweise von Dentalkosmetikern und Zahnkosmetikern, die ohne jegliche Verbindung zum Fach seien. Unter anderem werde eine Ausbildung zum zertifizierten Zahn-Kosmetiker für Langzeitarbeitslose angeboten. Von dieser Gruppe versuchten sich unter dem Oberbegriff ‚Medical Piercing’ einige Zahnärzte abzugrenzen, im Bereich Zungenpiercing gebe es auch Kooperationen von entsprechenden Studios mit hinzugezogenen Zahnärzten. Eindeutig sei: Es handele sich um einen wachsenden Markt mit diversifizierter Qualifikation und auch steigenden Zahlen ‚anpreisender Werbung’ seitens der Zahnärzte. Dies sei im Hinblick auf das Haftungsrecht – den dritten Vortragsteil – für die Zahnärzte gefährlich. Insbesondere sei zu beachten, dass bei Wunsch-Behandlung der Aufklärung ein besonders gewichtiger Part zukomme, nicht zuletzt, da nicht wenige der Wunsch-Behandlungen auch invasiv seien wie etwa eine in den Schmelz eingelegte glitzernde Intarsie. Ganz klar sage es das Zahnheilkundegesetz: „Die Zahnheilkunde ist kein Gewerbe, der Zahnarzt muss sein Wissen in den Dienst stellen für Pflege, Erhalt und Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten.“ Bedauerlich sei, dass eine wissenschaftliche DGZMK-Stellungnahme zu dieser Thematik bereits zehn Jahre alt sei: „Sie dürfte einmal überholt werden“, sagte Professor Groß.

Er gebe allerdings zu, dass es in der Praxis nicht immer leicht sei, die vier Grundprinzipien einer ethisch verantwortlichen (Zahn-)Medizin zu erfüllen, als da wären: Respekt vor der Patientenautonomie – Nicht schaden – Wohltun – Gerechtigkeit: „Manchmal muss man das eine gegen das andere gewichten, wie beim Piercing: Folgt man dem Prinzip der Patientenautonomie, müsste man piercen, folgt man dem Nicht-Schaden-Prinzip, muss man es lassen.“ Ebenfalls schwierig sei der Aspekt Bleaching: „Hier könnte man schon das Wohltun-Prinzip anführen, nach den WHO-Kriterien könnte es sein, dass sich der Patient mit seinen Zähnen ‚nicht gesund’ fühlt.“ Das zeige, dass die ethische Analyse oft grenzgängig sei, er habe für sich selbst daher eine Priorität definiert: „Für mich ist das Nicht-Schaden-Prinzip das Wichtigste. Wenn ich Patienten nicht überzeugen kann, müssen sie sich einen anderen Behandler suchen.“

Festzustellen sei eine sukzessive Ausweitung des gewerblichen Charakters des Zahnarztberufes zu Lasten des kurativen Anteils und eine zunehmende Verbreiterung nichtapprobierter, in diesem Bereich konkurrierender Anbieter. Das Bild des Zahnarztes wandle sich auch im Spiegel der Bevölkerung. Es fehlten Trennlinien zwischen der zahnärztlich-kurativen und der gewerblichen Ausrichtung des Behandlungsangebotes. Hier müsse die Zahnärzteschaft dringend Antworten finden: „Wo wollen wir denn landen in 10 oder 20 Jahren?“ Dass die Antworten heute gefunden werden müssen, und zwar schnellstmöglich, bestätigte die Diskussion mit den Teilnehmern, die unter anderem auch auf zahnärztliche Organisationen zur kosmetischen Zahnmedizin verwiesen. Die Wissenschaft gebe der Standespolitik Orientierungswissen, sagte Professor Groß, und es sei nicht Aufgabe der Wissenschaft, nach Kriterien wie ‚was ist gut, was ist schlecht’ zu urteilen. Die Medizinethik liefere Handreichungen, aber keine moralischen Statements. Auch in anderer Hinsicht ist die Standespolitik gerufen: Einige Teilnehmer machten Bedarf dahingehend deutlich, den jungen Praxen mit ihrem erheblichen Finanzierungsvolumen nicht alle Möglichkeiten zu nehmen, Patientenwünsche sachkundig zu erfüllen. Hier sei eine sichere Linie für die Praxen erforderlich. Auf einen anderen und zahnärztlichen Aspekt verwies abschließend DGÄZ-Präsident Professor Sader: An erster Stelle stehe die fachliche Aufklärung und die gesunde Funktion. Vielen Patienten sei nach all der Kosmetik-Werbung gar nicht bewusst, dass ‚im Einklang mit der Natur’ die bessere Lösung sei – die Zahnärzte sollten daher ihre medizinische Kompetenz in solchen Fällen einbringen und in zahnärztlicher Ethik aufklären.

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 07 Dezember 2010