Knochenabbau des Kiefers (Kieferatrophie) nach Zahnverlust: Ursachen und Verlauf

Wenn ein Zahn gezogen wird, kommt es zwangsläufig zu einem Umbau des Kieferknochens: Es kommt zu einem sogenannte Remodelling der mit Knochenabbau einhergeht. Hier liegt der Bauplan zugrunde, dass der Körper eine möglichst kompakte Form annimmt und funktionslose Abschnitte eher klein halten will. Ein Verlust an Knochenmenge/-kontur und auch Knochenqualität (Knochendichte) ist nach Zahnverlust daher vorprogrammiert, hat aber eine große individuelle Streubreite.
Das Knochenangebot bestimmt die Schwierigkeit der Implantatbehandlung, die Implantatplanung unter Berücksichtigung von Knochenaufbaumassnahmen sowie die Implantatprognose insgesamt.

Zahnverlust bewirkt Kieferknochenabbau im zahnlosen Kieferabschnitts

Das Ausmaß des Knochenabbaus (Atrophie) ist im übrigen von vielen weiteren Faktoren abhängig:

  • Zeit: Dauer des Verlusts
    In den ersten 6-10 Wochen nach Zahnverlust erfolgt der stärkste Umbau des Kieferknochens. Aber je länger der Zahnverlust insgesamt zurückliegt, desto ausgeprägter ist in der Regel auch der Abbau des Knochens. Dieser schnelle Verlust hat Einfluss auf die Implantatbehandlung, bei der Überlegung für den richtigen Zeitpunkt der Implantation.
  • individuelle, genetische Disposition
    Ähnliche Verlustsituationen führen bei verschiedenen Menschen zu unterschiedlichen Knochenumbildungen. Es gibt Patienten, die nach einem Zahnverlust schon nach wenigen Monaten fast den gesamten Knochen eingebüßt haben, so dass eine Implantatbehandlung kaum möglich ist. Andere dagegen zeigen noch viele Jahre nach Zahnentfernung einen fast unverändert gutes Knochenniveau. Das Ausmaß des potentiellen Knochenabbaus nach Zahnverlust ist daher im Einzelfall nur schwer abschätzbar.
  • Allgemeinerkrankungen und -faktoren (Rauchen, Alter, schwere Erkrankungen)
    Neben genetischen Faktoren haben natürlich Begleiterkrankungen oder die Einnahme von bestimmten Medikamenten oder Noxen einen Einfluss auf das Knochenverhalten. Medikamente (z.B. Cortison) die den Knochenstoffwechsel negativ beeinflussen oder Rauchen, was einen negativen Effekt auf Durchblutung und Regenerationsfähigkeit hat.
  • Verlustursache (Unfall, Entzündung-Parodontitis)
    Bei schweren Unfällen können erhebliche zusätzliche Defekte am Knochen entstehen. Ausgeprägte Wurzelentzündungen oder erheblicher Knochenabbau durch Parodontitis
    können umfangreiche Defekt hinterlassen, die der Kieferknochen nicht mehr ausgleichen kann.
  • Die Zahnentfernung selbst
    Ein einwurzeliger, schon leicht gelockerter Zahn hinterlässt gute Voraussetzungen für eine verlustarme Entfernung und damit knöcherne Regeneration des Zahnfachs (Alveole). Wenn aber fest verbackene Wurzeln erst durch Wegfräsen des Knochens entfernt werden können, kann ein erheblicher Knochendefekt das Resultat sein.
  • Anzahl der verloren gegangenen Zähne
    Wenn nur ein Zahn verloren geht, hat der umgebende Knochen durch die naturgemässe Belastung der nebenstehenden Zähnen weiterhin einen Reiz, der einem ausgedehnten Abbau entgegensteht. Beim Verlust vieler, oder aller Zähne, wird der Kiefer sich stärker zurückziehen. Unbelastete, afunktionelle Knochenabschnitte brauchen nun mal nicht groß sein, da sie sonst überflüssige Energie durch Ernährung etc. verbrauchen.
  • Alter
    Mit zunehmendem Alter stellt der Körper von Aufbau (anabole Stoffwechsellage) auf Abbau (katabole Stoffwechsellage) um: der Körper mit Knochen und Muskeln wird schwächer. Das kann durch hormonelle Umstellungen (Menopause) noch verstärkt werden. Das Risiko einer Osteoporose steigt an, die Fähigkeiten des Knochens zur Regeneration sinken.
  • Art des Zahnersatzes
    Träger eines herausnehmbaren Zahnersatzes, insbesondere wenn er nicht gut sitzt, haben durch unphysiologische Belastung des Kieferkamms mit stärkerem Knochenabbau zu kämpfen. Die Prothese muss immer wieder angepasst, unterfüttert werden, um den Kieferkammverlust zu kompensieren.
  • Ort des Zahnverlusts

    Im Bereich der Kieferhöhle führt Zahnlosigkeit zu besonders starkem Abbau, da neben den normalen (s.o.) Faktoren für den Knochenabbau der Luftraum Kieferhöhle eine Rolle spielt. In dieser herrscht nämlich ein höherer Luftdruck, was zu einer allmählichen Ausdehnung der Kieferhöhle führt. Somit kommt es zu einem Knochenabbau von mehreren Seiten.

Knochenverlust und Massnahmen (Defektklassifikation des Knochens)

Da sich aus der Art des Knochenverlusts auch spezielle Notwendigkeiten in Bezug auf einen Knochenaufbau für Implantate ergeben, ist es sinnvoll die entstandenen Defekte nach ihrer Art einzuteilen, um eine vergleichbare Systematik zu erreichen. Hierdurch wird eine Zuordnung von Defektmorphologie (Art und Form des Knochenabbaus) und der entsprechend richtigen Strategie bei der Rekonstruktion ermöglicht, d.h. zu jedem Defekt gibt es das richtige Konzept für den Knochenaufbau.

Die neue „Kölner Defektklassifikation“ stützt sich bei der Einteilung der Knochendefekte auf drei Kodierungen, bei der die erste die Positionierung des Defektes beschreibt, der 2. Code die Grösse, und der 3.Code das Regenerationspotential berücksichtigt.

1. Code: Defektorientierung

  • H: horizontal,
  • V: vertikal,
  • K: kombiniert
  • S (ggf. +S): Sinusbereich.

2. Code: Rekonstruktionsbedarf des Defektes

  • 1: gering: < 4 mm;
  • 2: mittelgradig: 4-8 mm;
  • 3: ausgedehnt: > 8 mm. 

3. Code: Relation von Augmentation und Defektumgebung

  • i: innerhalb der Kieferkammgeometrie (Defekt ist mehr oder weniger von Knochen umgeben = günstig)
  • e: extern, außerhalb der Kieferkammgeometrie (Defekt ist nicht von Knochen umgeben, z.B. Verlust der Höhe = ungünstig).

Zu schmaler Kieferknochen: Defektcode H.1.i.

Durch diese Codierung kann jeder Defekt einem Buchstaben/Zahlencode eindeutig zugeordnet werden. Beispiele:

  • Defektcode H.1.i: kleiner Defekt bis 4 mm innerhalb der Kieferkammgeometrie
  • Defektcode S.1.: kleiner Defekt im Sinusbereich unter 4 mm (keine i/e Angabe
    erforderlich)
  • Defektcode K.2.e.S.1: kombinierter Kieferkammdefekt von 4-8 mm außerhalb der Kieferkammgeometrie; Defekt im Sinusbereich < 4 mm.

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Literatur

Kölner Defektklassifikation (CCARD), 8. Europäische Konsensuskonferenz des BDIZ EDI, Februar 2013
Kölner ABC-Risiko-Score, 8.EuropäischeKonsensuskonferenz des BDIZ-EDI, 2013
Devlin H, Ferguson MW, Alveolar ridge resorption and mandibular atrophy. A review of the role of local and systemic factors, .Br Dent J. 1991 Feb 9;170(3):101-4.
Minaire P, Immobilization osteoporosis: a review Clin Rheumatol 8 Suppl 2:95-10, 1989
Tallgren A, Lang BR, Walker GF, Ash MM, Roentgen cephalometric analysis of ridge resorption and changes in jaw and occlusal relationships in immediate complete denture wearers J Oral Rehabil 7: 77-94, 1980

Letzte Aktualisierung am Montag, 06. März 2023