Ich hatte es ja schon angesprochen, Herr Becker, dass es schwierig ist, wirklich verläßliche Zahlen über die Verlustrate von Implantaten zu bekommen, weil die Frühverluste in viele Statistiken und insbesondere die Werbung gar nicht eingehen. Allen Zahlen über 90 % misstraue ich zunächst einmal grundsätzlich. Sicher ist es aber auch ein Unterschied, wo man implantiert (der Unterkiefer hat in der Regel eine bessere Knochenqualität als der Oberkiefer) und ob überhaupt genug Knochen da ist, um ohne zusätzlichen Knochen aufbauen zu müssen, implantieren zu können. Ist Knochenaufbau nötig, dann erhöht sich naturgemäß das Risiko des Verlustes.
Natürlich ist der statistische Erfolg auch abhängig von demjenigen, der implantiert, insbesondere sicher auch davon, wie mutig oder vorsichtig er ist, d.h. wie viele Risiken er einzugehen bereit ist, um einen Patienten mit wie wenig Restknochen auch immer denn unbedingt mit Implantaten zu versorgen. Wenn also ein Wiener Zahnarzt wirklich berichten sollte, er habe eine Verlustrate von 50 % (was ich nicht so recht glauben mag, weil ich nicht so sehr auf die Ehrlichkeit der Menschen vertraue, darüber hinaus würde eine solch horrende Verlustrate einerseits für sehr viel Mut beim Implantieren, andererseits aber auch für gnadenlose Ehrlichkeit beim Veröffentlichen der eigenen Ergebnisse sprechen, was ich für eine unwahrscheinliche Kombination möglicher zahnärztlicher Charaktermerkmale halte), so mag das für ihn persönlich dann vielleicht sogar stimmen. Das es die Wiener Uni ist, mag ich nicht glauben, dass es ein Zahnarzt ist, der an der Uni Wien einmal studiert hat, schon eher.
Um Ihnen weiter zu helfen, vielleicht Folgendes:
bei Ihnen wird im Unterkiefer implantiert, also dort wo der bessere Knochen ist. Wenn es noch dazu unnötig ist, zusätzlichen Knochen aufzubauen, dann vermindert das das Risiko noch einmal deutlich. Eine Verlustrate von 50% halte ich für einen einigermaßen erfahrenen Implantologen für absolut unwahrscheinlich und kann ihnen aus eigener implantologischer Erfahrung sagen, dass das sehr weit weg von der Regel wäre. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass es aus welchem Grunde auch immer, gerade Sie trifft. Auch bei einer Erfolgsrate von 99 % trifft es ja einen von Hundert. Deshalb ist es uf der anderen Seite sicher nicht verkehrt, einmal innezuhalten und darüber nachzudenken, ob man denn unbedingt ein Implantat will oder braucht, nur weil es so modern ist und über alle möglichen Kanäle so massiv beworben wird. Falls es sich um eine zahnbegrenzte Lücke handelt, so haben Sie ja Alternativen. Konventionelle, festsitzende Brücken stellen eine ausgezeichnete, ästhetisch einwandfreie und häufig ästhetisch überlegene Versorgung einer solchen Lücke da, die durch Jahrzehnte in ihrem Langfrist-Erfolg belegt ist. Insbesondere ist der Gedanke an eine solche Versorgung nicht verkehrt, wenn die beiden Nachbarzähne nicht mehr völlig unschuldig sind, sondern bereits mit größeren Füllungen oder gar mit älteren Kronen versorgt sind. Möglicherweise können Sie da mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen und sparen darüber hinaus noch eine Menge Geld.
Was die basalintegriereden Implantate betrifft, so läuft zur Zeit eine massive Marketing-Offensive derjenigen (oder desjenigen) Unternehmen/s, die diese Implantate herstellen, die mit harten Bandagen geführt wird. Diese Offensive weist in meinen Augen nötigende Aspekte auf, wobei interessierte, aber kritische Fragen von Kollegen von den Promotoren offensichtlich nicht gerne gehört oder beantwortet werden. Ich spreche da durchaus aus Erfahrung. Ich bin dabei in keinem Fall gegen basalintegrierende Implantate, wenn sie denn genau so gut oder gar besser funktionieren. Ob sie aber funktionieren ist die entscheidende Frage, die aus Sicht des implantologisch tätigen Zahnarztes im Moment nicht zu beantworten ist, da es einfach so ist, dass diejenigen, die sie promoten nur sehr wenige Studien von sehr wenigen immer gleichen Leuten über im Vergleich zu anderen Systemen wenige Fälle vorlegen können. Insgesamt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es harte Zahlen, die das, was die Hersteller und die wenigen Nutzer behaupten, nicht so recht gibt. Untersuchungen von deutschen oder amerikanischen Universitäten, denen man zumindest eine gewisse Unabhängigkeit unterstellen kann, gibt es offensichtlich auch nicht. Darüber hinaus wird nach meinem Eindruck sehr häufig das Design der Implantate grundlegend verändert (Disk, dann Doppeldisk, dann eine Art von U-förmiger Spange), so dass man sich fragt, woher denn die hohen Zahlen, die ein gleichwertiges oder besseres Funktionieren überhaupt erst nachweisen könnten, denn überhaupt herkommen sollen, zumal nur sehr wenige Implantologen diese Implantate benutzen, und warum es erforderlich ist, so oft und so grundlegend das Design zu ändern, wenn sie denn so toll funktionieren. Sei es, wie es will, aber mit Sicherheit sind krestale Implantate wesentlich besser untersucht.
Als eigentlich gut unterrichteter Zahnarzt mit einiger implantologischer Erfahrung würde ich mir im Moment persönlich kein basalintegrierendes Implantat einsetzten lassen, wenn ich genug Knochen für ein crestales hätte. Hätte ich nicht genug Knochen und müßten größere Eingriffe vorgenommen werden, um diesen Knochen erst einmal zu schaffen, würde ich versuchen, mich noch besser zu informieren als es mir bisher gelungen ist, obwohl das selbst für einen Fachmann offensichtlich schwieriger zu sein scheint, als man das annehmen würde, obwohl er sich bemüht.
Ich denke jedoch, dass dieser Streit für Sie auch nicht von Belang ist, da es sich um ganz andere Fälle dreht. Es geht nämlich um die Frage, ob es besser ist, basalintegrierende Implantate zu nehmen, wenn nur sehr, sehr wenig Knochen vorhanden ist, anstatt zur Vorbereitung des Knochenlagers für crestale Implantate große Knochenaufbau-Operationen durchzuführen, die beispielsweise die Entnahme von Knochen aus dem Beckenkamm erfordern.
Herzliche Grüße
Osswald