Residenzpflicht für Ärzte – Wie schnell muss der Arzt im Notfall in seiner Praxis sein?

Bekanntlich unterliegt ein Vertragsarzt der sogenannten
Residenzpflicht, die in § 24 Abs. 2 Ärzte-ZV (Zulassungsverordnung
Ärzte) statuiert ist. Hierunter wird die Pflicht des Vertragsarztes
verstanden, seinen Wohnsitz so zu wählen, dass er für die ärztliche
Versorgung der Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung
steht. Wie ist nun diese wenig griffige Beschreibung des Gesetzgebers
zu verstehen, dass der Arzt am Vertragsarztsitz zur Verfügung stehen
muss? In welcher Entfernung kann er sich noch häuslich niederlassen,
ohne diese gesetzliche Vorgabe zu missachten?

In der Vergangenheit ist diese Frage selbst von den zuständigen
Zulassungsgremien uneinheitlich beantwortet worden. Ist die Zeitdauer
maßgeblich, die ein Arzt von seinem Wohnsitz zur Praxis benötigt? Oder
ist auf die zurückzulegende Strecke abzustellen? Gelten diese
Maximalentfernungen oder Fahrzeiten für alle Ärzte gleichermaßen? Das
Gesetz gibt hierauf leider keine Antwort.

Konkretere Massstäbe vom Bundessozialgericht

Im November 2003 hat sich nun das Bundessozialgericht (BSG) mit diesem
Problem befasst. In seinem Urteil (BSG Az: B 6 KA 2/03 R) gibt das
Gericht den Betroffenen konkretere Maßstäbe an die Hand, um zu
beurteilen, ob ein Arzt seiner Residenzpflicht genügt. Freilich konnte
eine verbindliche Kilometerangabe oder Zeitangabe für alle Arztgruppen
von den Bundesrichtern nicht gegeben werden. Denn letztlich muss stets
eine Einzelfallbetrachtung erfolgen, um den verschiedenartigen
Verhältnissen Rechnung zu tragen, damit nicht alle Ärzte
ungerechtfertigter Weise "über einen Kamm geschoren" werden.

Das Bundessozialgericht stellt heraus, dass eine Abwägung der
verschiedenen Interessen vorzunehmen ist. Zum einen seien objektive
Umstände zu ermitteln, wie die tatsächliche Entfernung in Kilometern
und die für den Weg benötigte Zeit. Zum anderen sind aber auch stets
die Belange des Patienten, also die gute Erreichbarkeit des Arztes, mit
dem Interesse das Arztes abzuwägen, eine möglichst geringe
Einschränkung seines Rechts auf freie Wohnungswahl hinnehmen zu müssen.
Für die Abwägung ohne Belang ist jedoch nach Auffassung der
Bundesrichter die Versorgungsstruktur in einem bestimmten regionalen
Bezirk. Das bedeutet, eine bessere oder schlechtere Versorgungsstruktur
in dem Bezirk, in dem der Arzt seinen Sitz hat, kann keinen Einfluss
darauf haben, in welcher Maximalentfernung der Vertragsarzt von seinem
Sitz wohnen darf.

Die Residenzpflicht erfüllt demnach nicht einen bloßen Selbstzweck. Sie
dient vielmehr dazu, sicherzustellen, dass die mit dem
Vertragarztstatus übernommenen Pflichten, in der Praxis Sprechstunden
abzuhalten und für den Patienten – auch außerhalb der Sprechzeiten –
erreichbar zu sein, vom Vertragsarzt wahrgenommen werden können. An
diesem Zweck hat sich die Konkretisierung der Residenzpflicht zu
orientieren.

Eine ordnungsgemäße vertragsärztliche Versorgung kann demnach nicht
mehr sichergestellt sein, wenn der Arzt mehrere hundert Kilometer von
seiner Praxis entfernt wohnt. Andererseits kann aus der Residenzpflicht
auch keine Verpflichtung des Arztes gefolgert werden, in dem Ort oder
Ortsteil wohnen zu müssen, in dem er seine Praxis betreibt. Der Wohnort
muss auch nicht so gewählt werden, dass der Vertragsarzt seine
Patienten – und sei es nur im Notfall – auch an seinem Wohnort oder gar
in seiner Wohnung behandeln kann.

Anforderungen nicht für alle Ärzte gleich hoch

Im vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall eines psychotherapeutisch
tätigen Arztes hatte das Gericht entschieden, dass der Arzt den
Anforderungen der Residenzpflicht genügt, wenn er im Normalfall seine
Praxis von zu Hause aus innerhalb von 30 Minuten erreichen kann.

Jedoch kann diese Zeitspanne nicht schematisch für alle Ärzte gelten.
So ist es einleuchtend, dass ein Hausarzt schneller erreichbar sein
muss, als zum Beispiel ein Laborarzt oder Pathologe. Für solche
Arztgruppen, die nicht unmittelbar patientenbezogen tätig sind, können
also weitere Maßstäbe angesetzt werden. Bei Arztgruppen hingegen, für
die sogar ein organisierter Notfalldienst eingerichtet ist, ist von
einem erhöhten Bedürfnis der schnellen Erreichbarkeit auszugehen. Daher
sind dort die Maßstäbe an die Residenzpflicht entsprechend strenger
anzulegen. Schließlich weisen die Richter auch darauf hin, dass die
Residenzpflicht weniger streng zu handhaben sein kann, wenn der Arzt in
einer größeren Gemeinschaftspraxis tätig ist und hierdurch
sichergestellt wird, dass zu den angekündigten Sprechstundenzeiten für
den Patienten immer ein Arzt zur Verfügung steht.
Quelle: Doccheck www.doccheck.de

Letzte Aktualisierung am Montag, 29. November 1999