Mangelhaft: IQWiG-Abschlussbericht zu Implantatgetragenen Suprakonstruktionen bei verkürzten Zahnreihen

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat einen Bericht zu implantatgetragenen Suprakonstruktionen bei Zahnersatz für verkürzte Zahnreihen veröffentlicht. Die beauftragten Wissenschaftler stellen fest, dass keine Evidenz für einen Zusatznutzen der Versorgung mit implantatgetragenem gegenüber konventionellem Zahnersatz besteht. Die genauere Analyse des Berichtes zeigt jedoch Unschärfen auf allgemeinem Niveau sowie methodische Schwachstellen auf mehreren Ebenen.

Suchstrategie und Definition der Fragestellung
Entscheidend für eine wissenschaftlich begründete Aussage eines Berichtes ist die Formulierung einer angemessenen Suchstrategie, welche die relevanten Informationen aus der bestehenden Literatur möglichst homogen und ohne Datenverlust herausfiltert. Dies ist im Falle des IQWiG-Berichtes nicht geschehen.

Die Suche nach Daten zur verkürzten Zahnreihe zielt auf eine Untergruppe der Versorgungen des teilbezahnten Gebisses. In der Literatur existieren für die Versorgung des teilbezahnten Gebisses mit Implantaten zahlreiche methodisch gute Übersichtsarbeiten. Allerdings kann sich unter dem Begriff „teilbezahnter Kiefer“ eine gewisse Heterogenität der Ausgangssituation verbergen, da sehr unterschiedliche Restzahnbestände dieses Merkmal erfüllen.

Da Heterogenität impliziert, dass „Äpfel mit Birnen“ verglichen werden, wurde im Bereicht zur Eingrenzung das zentrale Suchkriterium „verkürzte Zahnreihe“ eingesetzt. Die Anwendung dieses Kriteriums führte dazu, dass eine große Zahl von aussagekräftigen Studien für den teilbezahnten Kiefer ausgeschlossen wurden, weil sie das Merkmal „verkürzte Zahnreihe“ nicht explizit auswiesen.

Das Merkmal „verkürzte Zahnreihe“ als Untergruppe der teilbezahnten Kiefer ist jedoch ebenso unscharf wie das Kriterium „teilbezahnter Kiefer“. Unter dem Begriff einer „verkürzten Zahnreihe“ werden sehr verschieden große und unterschiedlich verteilte Restbezahnungen subsumiert, die in acht unterschiedliche Klassen eingeteilt werden (Kennedy Kl. I; I,1; I,2; I,3; II; II,1; II,2; II,3). Die Inhomogenität der damit erfassbaren Ausgangssituationen ist daher vergleichbar jener des Merkmals „teilbezahnter Kiefer“ selbst.

Wenn die Literaturselektion durch die Anwendung des Merkmals „verkürzte Zahnreihe“ einen Verlust großer Mengen valider Daten produziert, ist dieses Merkmal im wissenschaftlichen Sinn ungeeignet:, Es bewirkt unter Vorspiegelung einer homogenen Auswahl eine drastische Qualitätsminderung des resultierenden Datenpools.

Die Autoren stellen in ihrem Bericht fest, dass der Begriff „teilbezahnter Kiefer“ zwar die internationale Fachliteratur dominiert, aber nicht hinreichend genau sei, wenn es um die verkürzte Zahnreihe geht. Dem muss widersprochen werden. Durch die Einführung des zusätzilchen Kriteriums „verkürzte Zahnreihe“ läßt sich die Ausgangssituation kaum genauer beschreiben. Wahrscheinlich aus gutem Grund hat die internationale wissenschaftliche „Community“ die Subklassifikationen des teilbezahnten Kiefers aufgrund dieser fragwürdigen Kleinteiligkeit bisher in ihren Analysen weitgehend ignoriert. Diese Zusammenhänge hätten die beauftragten Wissenschaftler dem IQWiG erläutern und bei der Studienplanung berücksichtigen müssen. Das ist unterblieben. Stattdessen sind durch wissenschaftlich sinnlose Partikularisierungen der Fragestellung wertvolle Informationen verloren gegangen.

Ergebnisparameter
Die im Auftrag des IQWiG gestellte Frage betraf expressis verbis die Kaufunktion. Die beauftragten Wissenschaftler definierten daraus vier Ergebnisparameter:
a. mundbezogene Lebensqualität
b. Funktionsdauer
c. Kaueffektivität
d. Ernährung

Zwar ist es zulässig, einen Parameter in weitere Unterparameter aufzuteilen, doch sollten dabei sinnvolle Parameter gewählt werden. Auch hier zeigt der Bericht Mängel.
In der Zusammenfassung stellen die Autoren beispielsweise im Nachhinein fest, dass der selbst gewählte und a priori unscharf definierte Parameter „Kaueffektivität“ ihren Vorstellungen nach nicht valide abgebildet ist. Eindeutige Ergebnisse einbezogener Untersuchungen mit wissenschaftlich klarer Fragestellung, die einen Teilaspekt der Kaueffektivität abbilden, wurden dann im Fazit in einer diffusen Gesamtschau ex post herabgewürdigt.

Bezüglich der Ernährung stellen die Autoren bereits in der Einleitung fest, dass dieser Parameter durch die Form des Zahnersatzes nicht beeinflusst wird. Dennoch wurde dieser Parameter aufgenommen. Sein Einschluss in die Untersuchung zu einer von den Autoren angestrebten „Vervollständigung des Bildes“ ist daher im Sinne der Unvoreingenommenheit der Untersucher wissenschaftlich sehr zweifelhaft.

Selektionsergebnis

Die Gestaltung des Suchrasters bzw. die Umsetzung der Fragestellung in die Studienauswahl hat zu einer stark verzerrten Datenbasis geführt: Beim Parameter „Funktionsdauer“ werden für konventionellen Zahnersatz beispielsweise nur zwei Arbeiten eingeschlossen. Die eine analysiert, wie auch die Autoren des Berichtes schreiben, eine in Deutschland ungebräuchliche Versorgungsform der klammerverankerten Prothese. Die andere basiert auf Daten einer nahezu 30 Jahre alten Habilitationsarbeit.
Für den implantatgetragenen Zahnersatz analysieren zwei der fünf Arbeiten Implantatformen, die in den letzten 5-10 Jahren nicht mehr verwendet werden (HA- bzw. TPF Beschichtungen). Relevante und aktuelle Publikationen werden aufgrund der Fragestellung und des daraus resultierenden mangelhaften Suchrasters kaum berücksichtigt.

Studieninterpretation

Für den Parameter „Funktionsdauer“ wird unzulässig vereinfachend der Verlust eines Implantates mit dem Funktionsverlust des Zahnersatzes gleichgesetzt. Ein Vergleich auf der Basis dieser falschen Annahme ist unseriös.

Für den Parameter „Kaueffektivität“ bestätigen die Autoren für die Subqualität „Kauleistung“ (objektiv gemessen) dass die Rekonstruktion der verkürzten Zahnreihe durch konventionellen, herausnehmbaren Zahnersatz („removable partial dentures – RPDs“) nicht die Kauleistung der bezahnten oder mit Implantaten rekonstruierten Zahnreihe erreicht.
Trotz der aus dieser Analyse hervorgehenden Daten zur Steigerung der Kauleistung und Kaufähigkeit durch implantatgetragenen / festsitzenden Zahnersatz werden die Ergebnisse im Fazit als „nicht aussagekräftig“ abqualifiziert. Die Autoren bezeichnen die Parameter im Nachhinein als nicht ausreichend valide bzw. fordern zusätzliche Validitätskriterien.

Fazit

Der Bericht steht wissenschaftlich auf einem schwachen Fundament, da mit Hilfe eines ungeeigneten Merkmals eine qualitativ minderwertige Literaturauswahl getroffen wurde. Die ausgewählten Ergebnisparameter sind teilweise ungeeignet (Ernährung), die Analyse der Primärdaten der ausgewählten Studien stellenweise fehlerhaft (Funktionsdauer) und die der Interpretation der vorliegenden Unterschiede einzelner Parameter (Kaueffektivität) nicht neutral.

Letzte Aktualisierung am Dienstag, 24. November 2009