Implantologische Kontroversen: Dennis Tarnow bezieht Stellung
Im April 2004 hatte die seit 1976 bestehende Studiengruppe für
Restaurative Zahnheilkunde e.V durch die Initiative von Dr. Hermann
Derks (Emmerich) zu einem zweitägigen Seminar über das Thema
-Controversies and Innovations in Implant Dentistry mit Prof. Dr.
Dennis Tarnow (New York) nach Rees am Niederrhein eingeladen. Dennis
Tarnow, einer der weltweit gefragtesten Referenten, leitet die
Abteilung für zahnärztliche Implantologie und ist außerdem Professor
für Parodontologie und Prothetik am New York Univ.College of Dentistry.
In faszinierender Weise gelang es D.Tarnow, das ca. 80 Personen
umfassende Auditorium durch eine äußerst vitale und humorvolle
Präsentation des komplexen implantologischen Themas zu fesseln.
Inhaltlich fasste Kollege Dr. Filip Klein (Frankfurt/M.) in folgendem
Expose die Kernaussagen zusammen:
Biologische Aspekte in der Implantologie
Biologische Breite an Implantaten entspricht in ihren Ausmaß der an
natürlichen Zähnen und beträgt im Mittel 2 mm (Berglundh 1992). Die
Ausbildung der biologischen Breite führt bei mehrphasigen
Implantatsystemen zu einem marginalen Knochenabbau im ersten Jahr der
Belastungsphase von ca. 1,5 mm. Bei reduziertem Knochenangebot sollten
Implantate daher, sofern dies ästhetisch vertretbar ist,nicht
bündig,sondern 1,5 mm suprakrestal inseriert werden. Die Ausbildung der
biologischen Breite kann somit suprakrestal erfolgen und führt zu
keinem Knochenverlust. Osseointegration von Implantaten Alle modernen
Verfahren der Oberflächenaufrauung führen zu einer Osseointegration des
Implantats binnen zwei bis drei Monaten. Herkömmliche Implantate mit
glatten Oberflächen (machined surface) sollten auf Grund der
langsameren Osseointegration heute nicht mehr eingesetzt werden.
Sofortbelastung Das Prinzip des Immediate loading von Implantaten
sollte nach wie vor auf Rekonstruktionen ganzer Kiefer beschränkt
bleiben. Die Suprakonstruktion sollte in diesen Fällen provisorisch
zementiert oder verschraubt werden, jedoch keinesfalls vor Ablauf von
zwei bis drei Monaten wieder abgenommen werden. Die frühere
Manipulation an den frisch inserierten und über die Verblockung
stabilisierten Implantate gefährdet die Osseointegration. Eine direkte
Versorgung von Einzelzahnimplantaten mit provisorischen Kronen
erscheint bei guter Knochenqualität möglich. Da diese frei von
okklusalen und funktionellen Belastungen erfolgen muss, sollte man hier
nicht von Sofortbelastung sprechen, sondern vom Einsatz eines
individuellen healing abutments.
Implantatbelastung/ Overload
Eine Überbelastung führt bei Implantaten nicht zu einem progressiven
Knochenabbau. Im Gegensatz zu natürlichen Zähnen kann eine funktionelle
Anpassung über eine Erweiterung des Desmodontalspalts nicht
stattfinden. Es gibt daher zwei Möglichkeiten: 1. Das schwächste Glied
im System gibt nach (Antagonist, Implantatschraube, Verblendung etc.).
2. Ein kompletter Verlust der Osseointegration.
Keratinisierte Gingiva um Implantate
Langzeituntersuchungen zeigen ein zehnfach erhöhtes Risiko für einen
Implantatverlust beim Fehlen von befestigter Gingiva (Block 1996,
Nevins 1995). Daher sollte das chirurgische Vorgehen immer so gewählt
werden, dass postoperativ ein ausreichendes Maß an befestigter Gingiva
vorhanden ist, ggf. muss diese geschaffen werden.
Sofortimplantation
Da der Gewebeverlust nach einer Extraktion nicht sicher abzuschätzen
ist, empfiehlt Prof.Tarnow stets eine verzögerte Sofortimplantation
nach acht bis zehn Wochen vorzunehmen. Bei Extraktionen sollte immer
auf die Bildung eines Lappens verzichtet werden; bei Molaren sollte
stets eine Wurzeltrennung durchgeführt werden, um die interradikulären
Septen nach Möglichkeit nicht zu gefährden. Die Bildung eines Lappens
resultiert in einer unzureichenden Blutversorgung der bukkalen Lamelle,
welches unweigerlich ihre Resorption zur Folge hat.Im ästhetisch
kritischen Bereich wird der Einsatz von Knochenersatzmaterial zur
Auffüllung der Alveole empfohlen (BioOss®). Dieses kann bei Bedarf noch
mit einer resorbierbaren Membran abgedeckt werden, ein Freiliegen der
mit Nähten fixierten Membran wird dabei willentlich in Kauf genommen.
Eine Lappenbildung und koronale Positionierung dessen soll vermieden
werden, um die bukkale Lamelle nicht zu gefährden und einen Verlust der
vestibulären fixierten Gingiva zu verhindern. Freiliegende
Membrananteile werden resorbiert und die Wunde granuliert unter Zunahme
von keratinisierter Gingiva zu. Wird dennoch das Verfahren einer
direkten Sofortimplantation gewählt, so muss das Implantat mit einer
Membran abgedeckt werden und sollte gedeckt einheilen. Bei offener
Einheilung ohne den Einsatz einer Membran kommt es im Rahmen der
Wundheilung zur Ausbildung eines langen Saumepithels (histologisch).
Die Höhe des Saumepithels wird von der Breite des verbleibenden
periimplantären Spalts nach der Implantatinsertion bestimmt. Auch das
Auffüllen dieses Spaltraums mit Knochenersatzmaterial verhindert die
Ausbildung des Saumepithels nicht, da das Epithel das am schnellsten
wachsende Gewebe der Mundhöhle ist. Klinisch ist dieses Phänomen nicht
festzustellen und auch radiologisch können die Implantate korrekt
erscheinen (Akimoto 1999). Probleme ergeben sich erst mit Zutritt einer
Infektion, da das lange Saumepithel einen Locus minoris resistentiae
darstellt. Zur Vorsicht sei in diesem Zusammenhang bei Fallberichten
und Studien geraten, die Erfolgsraten derartig inserierter Implantate
wiedergeben, da diese stets ohne Histologie sind.
Prinzipien der Papillenerhaltung bei Implantaten (Tarnow 2003)
Eine Papille wird sich zwischen einem Implantat und dem Nachbarzähnen
wieder ausbilden, sofern der Abstand zwischen Kontaktpunkt und dem am
Nachbarzahn verbliebenemAlveolarknochen 5 mm nicht überschreitet
(Stützung der Papille durch den suprakrestalen Faserapparat des Zahns).
Cave: Zwischen zwei Implantaten beträgt die durchschnittliche
Gewebehöhe nur 3,4 mm. Diese Tatsache bedingt eine breitere
Kronengestaltung mit apikaler Verlagerung des Kontaktpunkts. – Zwei
benachbarte Implantate sollen mit einem Abstand von mindestens 3 mm
zueinander inseriert werden. Wird dieser Abstand nicht bewahrt,so kommt
es im Rahmen der Ausbildung der biologischen Weite um die Implantate zu
sich überlappenden Knochenresorptionen. Damit geht die knöcherne
Unterstützung für das Weichgewebe zwischen den Implantaten verloren, es
kann sich keine Papille ausformen.
Empfehlungen für die ästhetische Lückenversorgung bei zwei fehlenden Frontzähnen
I. Fehlen der mittleren Schneidezähne:
Versorgung mit zwei Implantaten, Mindestabstand 3 mm
II. Fehlen eines mittleren und des benachbarten seitlichen
Schneidezahns: Implantatersatz des mittleren Schneidezahns und
prothetische Versorgung mittels Ponticbrücke zum Ersatz des seitlichen
Schneidezahns.Der distale Anhänger wird frei von okklusaler und
funktioneller Belastung gestaltet.
III. Fehlen eines Eckzahns und des seitlichen Schneidezahns:
Ersatz des Eckzahns durch ein Implantat und prothetische Versorgung
mittels Ponticbrücke zum Ersatz des seitlichen Schneidezahns. Der
mesiale Anhänger wird frei von okklusaler und funktioneller Belastung
gestaltet.
IV. Fehlen der vier Schneidezähne:
Implantatversorgung der Zähne 12 und 22, prothetische Versorgung mittels Ponticbrücke zum Ersatz der mittleren Schneidezähne.
Sinuslift und Implantation
Daten: 721 Sinuslifts, 1.121 Implantate, 10-Jahresergebnisse, 76
Implantatverluste Der Sinuslift stellt heute bei mangelnden
Knochenangebot ein sicheres Standardverfahren dar. Beträgt der Winkel
zwischen bukkaler und palatinaler Knochenwand 60º oder mehr, ist das
Risiko einer Membranperforation sehr gering. Das Risiko steigt mit
abnehmendem Winkel, die Anfertigung eines Computertomogramms im Vorfeld
wird daher empfohlen. Studien an Humanpräparaten zeigen im
Molarenbereich unterhalb des Sinus eine spongiöse Knochenstruktur. Der
Anteil von laminären Knochen liegt bei ca. 25-31 %. Über die
Präparation eines seitlichen Fensters wird nach Ablösen der
Schneiderschen Membran Knochenersatzmaterial eingebracht. Hierzu wird
ausschließlich Knochenersatzmaterial benutzt (BioOss®). Beim langsamen
Auffüllen sollte auf eine ausreichende Einblutung in das Material
beachtet werden. Jeglicher Speichelkontakt soll verhindert werden, um
eine bakterielle Kontamination zu vermeiden, von der Verwendung eines
Knochenfilters wird in diesem Zusammenhang abgeraten.Eine Beimischung
von Eigenknochen bringt keine besseren Ergebnisse, die Gefahr einer
Kontamination des Knochenersatzmaterials wird erhöht.Das Knochenfenster
wird mit einer resorbierbaren Membran abgedeckt, auf eine ausreichend
lange Standzeit der Membran sollte geachtet werden. Die histologischen
Untersuchungen nach Sinuslift zeigen, dass der Anteil von laminären
Knochen im augmentierten Bereich nach acht Monaten genauso hoch ist,
wie im darunter liegendem Eigenknochen. Das augmentierte xenogene
Material wird nicht oder nur sehr langsam resorbiert, es zeigt sich
eine Verdrängung der Markräume zu Gunsten kompakter Knochenstrukturen.
Die Kalzifikationsrate liegt bei ungefähr 1 mm/ Monat. Bei einem
zweizeitigen Vorgehen sollte daher mit der Implantation sechs bis acht
Monate abgewartet werden, in Abhängigkeit von der Höhe des Augmentats
(Wallace 1996).Bei einer Restknochenhöhe von 5 mm kann sofort
implantiert werden, es sollten nur Implantate mit aufgerauten
Oberflächen zum Einsatz kommen (Überlebensrate 96 %, gegenüber 76 % bei
klassischen Brånemark Implantaten).
Quelle: Studiengruppe für Restaurative Zahnheilkunde e.V.
6_Wissenschaft & Praxis Nr. 9 | September 2004 |
Parodontologie Nachrichten
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