Gutachter-Tagung Implantologie am 23. Oktober 04 in München:
Ein heikles Thema stand auf der Tagesordnung der 3. Tagung der
Gutachter der Konsensuskonferenz Implantologie: Wie kann man vermeiden,
dass aufgrund unbedachten Handelns oder Formulierens aus einem
Zivilprozeß ein Strafprozeß wird? Was unterscheidet beide Verfahren,
woran erkennt man, um welche Art Verfahren es sich handelt – und was
ist im jeweiligen Fall zu tun und zu unterlassen? Mit rund 80
Anmeldungen war das Konzept bereits im Vorfeld ein großer Erfolg, es
gab sogar weitere tagesaktuelle Teilnehmer. Und auch die Bilanz war
beeindruckend: Viele Teilnehmer bedankten sich für das informative
Programm, man habe eine ganze Menge gelernt und werde bei der
gutachterlichen Tätigkeit juristische Stolperfallen noch mehr als
bisher beachten.
Achtung aufpassen: Klage vor Zivil- oder Strafgericht?
In seiner Einführung machte BDIZ/EDI-Justitiar Dr. Thomas Ratajczak
deutlich, dass es für Zahnärzte in Rechtsstreitigkeiten durchaus heikle
Momente oder Gefahren geben könne, wenn der Gutachter sich in seinen
fachlichen Erläuterungen nicht auf dem richtigen juristischen Pfad
befindet. Es sei ein erheblicher Unterschied, ob es sich um einen
Zivilprozeß handele oder um einen Strafprozeß.
In einem Strafprozeß gehe es um allgemeine Rechtsgüter, Beispiel:
Verfahren wegen Körperverletzung, bei Zivilgerichtsfragen z.B. um
Liquidationen: „Wer etwas mit gerichtlicher Hilfe von einem anderen
will, muss beweisen können, dass ihm das Gewollte rechtlich zusteht!“
Gutachter spielten in Beweisverfahren eine große Rolle. Zahnärzte
neigten zu der Vorstellung, man könne sich seinen eigenen Gutachter
‚zur Verstärkung’ mitbringen –das Gericht wähle allerdings selbst einen
Gutachter aus. Die "Sachverstandsfrage" vor Gericht sei klar
aufgeteilt: der rechtliche Sachverstand läge beim Gericht, der
fachliche/wissenschaftliche Sachverstand sei Aufgabe des Gutachters. Es
könne durchaus vorkommen, dass ein Gericht einen inkompetenten
Gutachter bestelle: „Absolute Unfähigkeit ist aber kein
Befangenheitsgrund, mit dem man diesen Gutachter ablehnen kann – es
kann dagegen hilfreich ein, dem Gerichtsgutachten ein Privatgutachten
an die Seite zu stellen.“ Der Einfluss von Gutachten sei erheblich –
Gutachter müssten wissen, welche Informationen in ein Gutachten
hineingehören und welche nicht. Nicht erwünscht und sogar riskant seien
Angaben, nach denen man nicht gefragt sei – beispielsweise von sich aus
auf Dokumentationsmängel hinweisen oder Meinungen einzuflechten: „Es
geht nicht an, dass sich Gutachter, z.B. aus Hochschulen, über die
Behandlungsqualität von Kollegen auslassen – vor allem wenn einem nicht
klar ist, ob es sich um einen Straf- oder einen Zivilprozeß handelt.
Als wir ihm klar machten, welche Folge seine Aussage in dem Strafprozeß
haben könne, war der Gutachter tief geschockt.“ Ein erstes Indiz, um
welche Art Gerichtsbarkeit es sich handele, zeige meist bereits das
Aktenzeichen: Zivilgerichtsverfahren erkenne man an Buchstaben wie z.B.
dem Z im Aktenzeichen, auch an dem Betreff „Müller ./. Meier“ – bei
Strafverfahren dagegen sei das Aktenzeichen in der Regel eher lang und
der Betreff hiesse beispielsweise „Körperverletzung…. „
In Medizinprozessen ist Sachkunde statt Wissenschaft gefragt
Um oft übersehene Stolpersteine und ihre meist drastischen Konsequenzen
für die Zahnärzte zu erhellen, hatte der BDIZ/EDI, der die Tagung für
die Konsensuskonferenz Implantologie ausrichtet, auch Know-How von
extern eingeholt – darunter Oberstaatsanwalt Will Breuers (Bonn). Um
den Gutachtern, die Breuers „Sachverständige“ nannte, ihre Rolle und
ihre Einflussmöglichkeiten zu verdeutlichen, schilderte er die Abläufe
und Zuständigkeiten innerhalb eines Strafprozess-Verfahrens. Dabei
machte er deutlich, dass vom Gericht bestellte Sachverständige – das
sei auch bei Medizinprozessen nicht selten der Fall – allein über
fachliche Sachkunde verfügen müssten, nicht aber wissenschaftliche
Befähigung vorausgesetzt würde. Es gebe keinen
„Auswahlsachverständigen“, der selber Gutachter beauftrage, sondern man
kooperiere mit den Kammern, die dem Gericht Sachverständige benennen.
Bei Strafprozessverfahren gehe es meist um Körperverletzung oder
Betrug. Der bei ausreichendem Tatverdacht vom Gericht bestellte
Sachverständige nehme in Augenschein und beurteile mit Sachkunde, wie
sich ihm der Fall darstelle – ohne diesen zu bewerten. Auch Menschen
könnten als „Beweismittel“ gelten, zur Beweisaufnahme könne es auch
nötig sein, andere Prozeßbeteiligte zwangsweise zu untersuchen bei
Vermeidung von Eingriffen (dazu gehört auch Röntgen) in den Körper. Ein
Strafprozeß sei mündlich und öffentlich – anders als ein Zivilprozeß.
Prinzipiell sei der Gutachter (Sachverständige) Gehilfe des Richters
zur Wahrheitsfindung und müsse ihn bei allem unterstützen, was für die
Aufklärung wichtig sei. In der anschliessenden Diskussion wurde noch
einmal deutlich gemacht, dass das „Richten“ Aufgabe des Gerichtes und
nicht des Sachverständigen ist – Gutachter ermittelten den Sachverhalt,
keine juristischen Tatsachen.
Verschiedene Verstöße in der Medizin möglich
Prof. Dr. Dr. Rolf Singer (Leiter der Abteilung MKG am Klinikum
Ludwigshafen) zeigte anhand des Arzthaftungsrechtes auf, welche
Vergehen zu welchen juristischen „Verstößen“ führen, vermittelte zudem
an Fallbeispielen, was „lege artis“ ist und was nicht und welcher Art
der hier zu ahndende Verstoß sei. Ein wesentliches Problemfeld sah
Prof. Singer (wie bereits zuvor Dr. Ratajzak) in nicht ausreichend
erfolgter oder dokumentierter Aufklärung. „Je mehr ich gängige
Therapien verlasse, desto mehr muss ich aufklären!“ Eine sogenannte
„Aufklärungsrüge“ betreffe mangelnde Aufklärung über alternative
Verfahren, vor allem bei nicht zeitgemäßer Therapie, auch über
finanzielle Auswirkungen. Ein „Verstoß gegen das
Gebot der kunstgerechten Behandlung“ liege vor, wenn z. B. eine Brücke
auf Implantaten nicht hygienefähig sei oder wenn bei vorliegender
Ostitis ein Implantat gesetzt werde. Ein „Verstoß gegen die allgemeine
Sorgfaltpflicht“ sei es, wenn u. a. wegen ungenügender
prätherapeutischer Diagnostik der Nervus mandibularis verletzt werde.
Ein „Verstoß gegen das Gebührenrecht“ liege vor, wenn – wie ebenfalls
an einem Beispiel dargestellt – nicht abrechenbare Positionen in der
Liquidation aufgeführt würden.
Die Teilnehmer waren sich mit den Experten einig, dass manche Patienten
versuchten, mit dem Argument „war nicht aufgeklärt“ die Kosten der
Behandlung von sich zu weisen. Auch ein Kreuz auf einem
Aufklärungsbogen, das bestätige, dass der Patient eine spezielle
Versorgung wolle, könne problematisch werden, wenn nicht dokumentiert
sei, dass über Alternativen, mögliche Folgen der Behandlung und auch
wirtschaftliche Konsequenzen aufgeklärt wurde; es könne hilfreich sein,
sich diese komplexe Patientenaufklärung mit Unterschrift bestätigen zu
lassen.
Weitere Themen der Tagung in Kürze – und „der Besondere Fall“:
BDIZ/EDI-Vorsitzender und Beauftragter der Konsensus-Konferenz Dr.
Helmut B. Engels, der mit kleinen berufspolitischen Kommentaren durch
die Tagung führte, betonte in seiner Begrüßung bei großem Applaus der
Teilnehmer, dass die Konsensuskonferenz eine ausgesprochen sinnvolle
Einrichtung sei, die mit einer Stimme sprechen und in eine gemeinsame
Richtung marschieren müsse.
Michael Schwarz, Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK)
und Gastgeber der Veranstaltung, appellierte an die Teilnehmer, man
möge nicht vergessen, dass die Implantologie ein wesentlicher
Bestandteil der freien Zahnheilkunde sei und eine Aufnahme in den BEMA
daher verhindert werden müsse.
Christian Berger, Vizepräsident der BLZK und stellvertretender
Vorsitzender des BDIZ/EDI berichtete über Aktuelles zur Novellierung
der Approbationsordnung und stellte dar, wie die
BLZK unter dem Aspekt der Qualitätssicherung die Weiterbildungs- und die Gutachterordnung überarbeitet habe.
Dr. Josef Diemer (DG Endo, Fortbildungsreferent) zeigte mit
eindrucksvollen Beispielen die modernen Möglichkeiten der Endodontie
auf und machte deutlich, dass – allerdings bei erheblichem Aufwand –
die endodontische Erfolgsquote deutlich verbessert und ein Implantat
auch mal vermieden werden könne.
Dr. Heimo Mangelsdorf (BDIZ/EDI, Vorstand) rief die
Ausnahmeindikationen nach § 28 SGB V in Erinnerung und berichtete über
die Hintergründe und Entwicklung der Tumorstiftung.
Erstmals wurde auch interaktiv gearbeitet: Dr. Engels stellte einen
„besonderen Fall“ vor und bat die Gutachter, in Form eines Fragebogens
Position zu beziehen. Auch wenn den Gutachtern viele Details fehlten,
da sie nur eine kurze Fallbeschreibung mit zwei Röntgenbildern hatten,
wurde doch deutlich, dass es in kritischen Fragen verschiedene
Auffassungen in der Runde der Experten gab. Unter ihnen war auch Dr.
Hans-Joachim Nickenig, ehemaliger Vorsitzender des
BDIZ/EDI-Gutachterausschusses, dem der Verbandsvorstand und die
Gutachterrunde für seine Arbeit dankte.