Grundleistungen passabel – Zuzahlung unumgänglich

Dabei ist diese Bevölkerungsgruppe keineswegs desinteressiert an
Gesundheit, wie Soziologe Prof. Dr. Raimund Geene (Universität
Magdeburg), darlegte: Armut verändere den Habitus. Während Rauchen zum
Habitus ärmerer Bevölkerungskreise passe, könne man mit Gourmet-Kost
keine Freude bereiten. Studien zufolge sei das Interesse an
Gesundheitsmaßnahmen durchaus vorhanden – ebenso wie das
Autonomiegefühl aber verschüttet und durch
Kommunikationsschwierigkeiten überlagert. Den Zahnärzten empfahl er,
die Lebensdaten dieser Patienten wertzuschätzen und den Menschen
Respekt entgegenzubringen, um gute Ansätze nicht mit weiteren
Belastungen zu zerstören.

Dies unterstützte auch Dr. Dietmar Oesterreich/BZÄK, der die Gruppe der
sozial schwachen Patienten anhand der Daten der DMS IV näher skizzierte
und sie als die Patientengruppe mit der größten Last an
Gesundheitsproblemen beschrieb. Die soziale Ungleichheit,
gekennzeichnet durch Bildung, Beruf und Einkommen, führt über
Unterschiede in der Gesundheitsversorgung, im Gesundheitsverhalten und
durch Gesundheitsbelastungen zu gesundheitlicher Ungleichheit. „Diese
Problem können wir somit nicht allein lösen. Dies ist ebenso eine
zentrale Aufgabe der Wirtschafts-, Sozial-, Gesundheits- und
Bildungspolitik.“ Im Versorgungsalltag seien diese Patienten ihrer
individuellen Situation gemäß auch mit niedrigschwelligen Angeboten
anzusprechen und in für sie verständlicher Form aufzuklären – darauf
hätten sie ein Anrecht. Entwickelt werden müsse beispielsweise eine
finanzielle Absicherung der PA-Grundversorgung. Dr. Oesterreich empfahl
Leuchtturmprojekte für die „penetrante beharrliche Diskussion mit der
Politik“, wie sie bei der Behindertenthematik jüngst erfolgreich
gewesen sei.

TEIL 2: Die Zahnmedizin
Was kann sie bieten?

Im zweiten Teil der Tagung standen nach dem Blick auf die sozial
schwachen Patienten die entsprechenden Angebote der Zahnmedizin im
Blickpunkt.
Bei den Füllungstherapien wies Prof. Dr. Walter Karl Kamann/Münster
auf die vielseitigen Einsatzgebiete von Amalgam hin, das aufgrund des
niedrigen Allergiepotentials zudem das Material der Wahl für Allergiker
sei. Der Werkstoff bleibe Thema für die Praxis, weil das geplante
Verbot zu untragbaren Kosten führe. Allerdings könne bei weiter
steigenden Silberpreisen Amalgam auch zur „Luxusversorgung“ werden.

Moderne CAD/CAM-Verfahren ermöglichen auch finanzschwachen Patienten
haltbare und bezahlbare ästhetische Keramik-Lösungen, wie Dr. André
Hutsky (absolute ceramics Schulungszentrum/München) anhand eines
Konzeptes zu zentral gefertigten Keramikinlys aufzeigte. Die hohe
Anzahl an Zahnzusatzversicherungen belege das Bedürfnis der Bevölkerung
aller Kreise nach Ästhetik, und „digital gefertigte Keramik kann das
heute leisten.“ Es steigere den Wert des Zahnarztes, wenn er Patienten
zuhöre und in der Auswahl nicht bevormunde – nicht selten gebe es auch
finanzielle Unterstützung seitens der Familie.

Auch im Beitrag „Komposit: Kleine Schwester der Keramik – oder Königin
der Rekonstruktion“ von ZÄ Anne Bandel/Berlin ging es um Ästhetik – vor
allem aber um die richtige Indikation. Komposit sei HighTech, da sehr
anwendungssensitiv, im positiven Sinne aber auch LowTech, da z.B.
preiswerteste Lösung im Falle einer Füllungs-Reparatur. Zudem
ermögliche die lange Haltbarkeit ein gutes Gewissen gegenüber den
Patienten. Anne Bandel betonte allerdings ausdrücklich die
Notwendigkeit der Zuzahlung: „Sonst sind Kompositversorgungen
Selbstausbeutung!“ Das Material habe viele sinnvolle Einsatzgebiete,
sei aber nicht Königin der Rekonstruktion, sondern „ Königin des
Substanzerhaltes – und das ist im Langzeitblick oft wichtiger als die
Liegedauer der Restauration.“

Eindrucksvoll berichtete ZÄ Kirsten Falk/Berlin am Beispiel Prothetik
vom täglichen Ringen der Zahnärzte mit sich selbst, was sie für ärmere
Patienten leisten können oder auch nicht: „Nicht unsere eigene
Vorstellung einer guten Versorgung ist maßgebend: Der Patient zählt.“
Als Behandler werde man zu manchem Kompromiss gezwungen. So nutze sie
selbst, entgegen ihrer innersten Überzeugung, gelegentlich auch
Auslands-Zahnersatz, wenn inländische Labore preislich nicht mithalten
können. Empfehlenswert sei der Hinweis auf Zahnzusatzversicherungen,
möglich seien oft auch Interimsversorgungen, bis genügend Geld
angespart sei: „Wir müssen uns immer in der Pflicht sehen, das Machbare
anzubieten, erfinderisch zu bleiben und eine auf den Patienten
zugeschnittene Versorgungslösung zu finden.“ Kritikern am Einsatz von
Auslands-Zahnersatz entgegnete Falk in der Diskussion: „Es wäre schön,
wenn wir Kollegen alle an einem Strang ziehen bei diesem Thema – aber
dem ist nicht so, manche Kollegen gehen offensiv vor, und da müssen
auch wir Zahnärzte, die das nicht wollen, manchmal nachziehen.“

Auch im Hinblick auf Parodontopathien erfordere die Lage viele innere
Entscheidungskämpfe bei den Zahnärzten, sagte Dr. Susanne Fath/Berlin:
Die Honorarpolitik ermögliche rund 6.- € pro Patient und Jahr, selbst
die von den Richtlinien geforderte Vorbehandlung sei nicht zu
GKV-Gebühren zu erbringen: „Adäquate Vorbehandlung geht nur unter GOZ.“
Die zur Verfügung stehenden Budgets führten selbst bei der rein
instrumentellen PA-Therapie an die Grenzen der betriebswirtschaftlichen
Machbarkeit. Gerade bei der finanzschwachen Bevölkerung gelte es,
Prophylaxe und Früherkennung auszubauen, weil umfassende Behandlung
unter Kassenbedingungen nicht möglich sei.

Das Symposium griff bewusst auch 2 High-Tech-Aspekte mit möglicher
Relevanz für finanzschwache Patienten auf, da viele Zahnärzte oft
vergessen, bei ärmeren Patienten auch an Möglichkeiten aus diesem
Bereich zu denken.
Dr. Roland Glauser/Zürich zeigte, dass Implantate mit
Druckknopf-Lösungen und Stegversorgungen eine deutliche
Komfortverbesserung im Vergleich zu konventionellen Prothetiklösungen
bieten und manchmal schon ein einziges Implantat eine Chance für
Zahnlose sein kann. Für manche Patienten seien Implantate sogar die
letzte Rettung. Auch Dr. Glauser empfahl bei ärmeren Patienten ein
gestaffeltes Vorgehen, das einer guten Planung und Patienten-Aufklärung
bedürfe: „Und lassen Sie die Patienten aus der Palette der modernen
Zahnmedizin ehrlich auswählen – sie müssen auch eine schnelle einfache
Lösung wählen dürfen und sich gut dabei fühlen.“

Eine preiswerte Seite hat auch die moderne Lasertherapie, wie Lutz
Dotzauer (Henry Schein, Leipzig) in seinem Übersichtsreferat über
kostengünstige Einsatzmöglichkeiten aufzeigte: Das Verfahren sei
weltweit in der Zahnheilkunde anerkannt, aber hierzulande noch viel zu
selten genutzt. Dabei biete der vergleichsweise günstige Diodenlaser
viele Einsatzmöglichkeiten und rechne sich auch bei geringerer Fallzahl
– zudem hebe der Laser das Ansehen der Praxis in den Augen der
Patienten und verschrecke sie nicht, da sie hinsichtlich Laserverfahren
beim Hautarzt „ganz andere Preise gewöhnt“ seien als diejenigen in der
Zahnmedizin.

TEIL 3: Die Praxen
Konsequenzen für die Zahnärzte

Der dritte Block des Symposiums widmete sich den Konsequenzen und Empfehlungen für die Zahnarztpraxen.
Dr. David Klingenberger/IDZ bestätigte die Zunahme der Anteile
finanzschwacher Bevölkerungskreise, die Armutsquote sei in letzten
zehn Jahren von 12 % auf 18 % angestiegen. Das bringe einen
Nachfrageausfall in den Praxen mit sich. Daten einer IDZ-Studie hätten
ergeben, dass Praxen mit überwiegend finanzschwachen Patienten
ihrerseits wirtschaftlich schlechter dastehen als Kollegen mit
Patienten mittlerer oder höherer Einkommensklassen: „Praxen mit
niedrigem Einkommen konnten ihre Betriebsausgaben nicht adäquat
reduzieren.“ Auffällig sei, dass solche Praxen mehrheitlich keine
Schwerpunkte hatten, im Gegensatz zu Praxen mit hohem Einkommen. „Haben
Sie den Mut zu einem Arbeitsschwerpunkt, das ist betriebswirtschaftlich
vorteilhaft“, meinte Dr. Klingenberger, warnte aber vor einer Überzahl
an Schwerpunkten. Praxen mit niedrigem Einkommen hätten in
wirtschaftsschwachen Zeiten wenig Spielraum zum Abfedern von
Abschreibungen und Schulden.

Zu den Gründen für wirtschaftliche Probleme in den Praxen zählte Sabine
Schmidt, Abrechnungsexpertin beim DZR/Stuttgart, auch zu viel Empathie:
„Zu Ihren zahnärztlichen Pflichten gehört nicht, dass Sie Leistungen
verschenken, und auch nicht der kostenlose monatelange Schriftwechsel
mit dem Kostenträger des Patienten – ein Rechtsanwalt würde dafür nicht
unerhebliches Honorar nehmen!“ Die Zahnärzte sollten sich nicht von
tariflichen Bedingungen des Patienten einschränken lassen, denn der
Patient wähle das Level seiner Versorgung selbst. Auf keinen Fall dürfe
man sich breitschlagen lassen, die Rechnung um die Positionen zu
kürzen, die nicht erstattet würden: „Dann bekommt der Patient den
Eindruck, die Rechnung sei tatsächlich gebührenrechtlich nicht
korrekt!“ Fairness in der Abrechnung sei nicht nur gegenüber dem
Patienten, sondern auch der Praxis und dem Team gegenüber notwendig.

Wie man verfahren sollte, wenn Patienten gar nicht zahlen, erklärte
Medizinrechtlerin RA Dr. Maike Erbsen/Stuttgart. Sie warnte sie davor,
im Falle eines Mahnverfahrens zu erwarten, die Anwaltskosten gingen zu
Lasten des Patienten: „Nicht jedes Nichtzahlen einer Rechnung ist
rechtlich ein Verzug, aber erst bei Verzug muss der Patient auch für
die Anwaltskosten aufkommen.“ In der Fußzeile des Anschreibens solle
man sicherheitshalber darauf hinweisen, dass der Rechnungsempfänger bei
binnen 30 Tagen nicht erfolgter Zahlung automatisch in Verzug gerate.

Auswege aus dem Gefühl, in diesen wirtschaftsschwachen Zeiten
Einkommensverlusten der Praxis passiv ausgeliefert zu sein, skizzierte
Ullrich Münster (Henry Schein / NRW): 15 % aller Praxen seien
erfolgreich, 25 % hielten das Niveau, 50 % hätten Umsatzrückgänge und
10 % seien „so gut wie pleite.“ Bemerkenswert sei, dass es auch in
sozial besonders schwachen Regionen erfolgreiche Praxen gebe – dies
zeige, dass es Erfolgsfaktoren gebe. Der wichtigste: „Standort,
Standort, Standort.“ Als weitere Erfolgsfaktoren nannte er die
Persönlichkeit des Behandlers und ein stimmiges Konzept, ein
abgegrenztes medizinisches Leistungsspektrum und ein ausgewogenes
Verhältnis von medizinischem Handeln und Betriebswirtschaft: „Sie
müssen sich auch mal Fortbildung leisten können.“ Aus der langjährigen
Erfahrung mit Zahnarztpraxen könne er klar sagen: „Erfolg ist
unabhängig von der Organisationsform und der Größe einer Praxis und der
allgemeinen Wirtschaftslage.“ Praxisberater aus Dental-Depots mit
großem Kundenstamm seien erfahrene Experten, da sie – schon aus
Eigeninteresse – am Erfolg der Praxis auch selbst interessiert seien.

Thema auch für die Wissenschaft

In seinem Grußwort, das den Symposiumsteilnehmern schriftlich vorlag,
da Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer zeitlich verhindert war, wird auch
die Verantwortung der Wissenschaft betont: „Sollte also eine
wirtschaftliche Rezession in unserem Land zum Dauerzustand werden, was
sich natürlich keiner wünschen kann, müsste das Grundstudium unseres
Faches entsprechend korrigiert werden. Sollte sich dagegen die Schere
zwischen Arm und Reich weiter öffnen, was ebenfalls nicht wünschenswert
wäre, müsste über spezielle Fortbildungskurse oder Curricula in die
eine oder andere Richtung nachgedacht werden.“
Auch Dr. Dietmar Oesterreich nahm die Wissenschaft in die Pflicht. Beim
Symposium forderte er: „Wir brauchen von der Wissenschaft mehr
Antworten für diese Herausforderung aus Ansätzen der konsequenten
Versorgungsforschung.“

Letzte Aktualisierung am Montag, 15. Juni 2009