Einfluss der Ernährung auf das stomatognathe System
Spannende Grundlagen lieferte dabei Ernährungswissenschaftlerin Dr. Henrike Staudte/Donndorf, die mit dem Fachbereich Zahnheilkunde der Universität Jena zusammenarbeitet, Einflüsse von (Fehl-)Ernährung auf Immunsystem und Knochen erforscht und hierbei nicht zuletzt auch die Parodontitis im Blick hat. Sie stellte die Zusammenhänge Ernährung & Immunsystem dar und die Konsequenzen insbesondere auf die Infektanfälligkeit. Bei Mangelernährung oder zu fettreicher Ernährung verändere sich die Leistungsfähigkeit der Immunabwehr, gezeigt habe sich zudem, dass Parodontitis bei Adipösen deutlich öfter vertreten war als bei Normalgewichtigen, überrascht habe aber vor allem, dass Parodontitis-Patienten verschiedene Nährstoffe teilweise hochsignifikant schlechter aufgenommen hatten als gesunde Vergleichspatienten. Es habe sich gezeigt, dass selbst dann, wenn PA-Patienten mehr als die Normaldosis Vitamin C erhielten, sich dieses im Plasmaspiegel deutlich niedriger widerspiegelte als bei gesunden Patienten. Offenkundig, so Dr. Staudte, baue der Körper bei Parodontitis erheblich mehr Vitamin C ab, was zu einer Schwächung der Infektionsabwehr auch im Mund führe: „Eine schlechte Vitamin-C-Versorgung erhöht das Parodontitis-Risiko!“ Ebenfalls deutlich schlechter aufgenommen wurden zudem Magnesium, Folsäure und andere immunrelevanten Nährstoffe. Bei der Parodontitis-Diagnose sollten daher Fragen zur Ernährung gestellt, Zusammenhänge zwischen Ernährung und Parodontitis aufgezeigt und hilfreiche Einflüsse der Ernährung auf die parodontale Genesung vermittelt werden.
Relevant ist die Ernährung bereits in der Entwicklungsphase des oralen Systems, sagte PD Dr. Dr. Christiane Gleissner/Mainz. Verschiedene Studien zeigten Effekte von Nährstoffmangel auf die Zahnentwicklung: Vitamin-A-Mangel beispielsweise wird in Verbindung gebracht mit einer verminderten Epithelentwicklung, Vitamin-C-Mangel mit Veränderungen der Pulpa und Dentinbildungsstörungen, Eisenmangel mit Speicheldrüsenunterfunktionen; Proteinmangel / hypokalorische Ernährung kann im Zusammenhang stehen mit Mikrodontie und Dentitio tarda. Die ausreichende Versorgung mit Vitamin D spiele nicht nur in der kindlichen Zahn- und Mundgesundheitsentwicklung eine Rolle, sondern auch bei den Älteren in der Bevölkerung: Eine Studie habe gezeigt, dass fast 70 % der im Durchschnitt 82jährign Studienteilnehmer einen schweren Calciummangel aufwiesen: „Die Ernährung beeinflusst die Funktion des Immunsystems.“ Das Thema Ernährung müsse daher eine neue Rolle in der zahnärztlichen Prävention spielen, nicht zuletzt mit dem Blick auf die Nahrungsaufnahme: Zahnstatus, prothetische Versorgung und natürliche Nährstoffe hingen zusammen und sollten auch dem Patienten vermittelt werden. Gleissner: „Die Zahn- und Mundgesundheit hat über Kauvermögen, Speichelfunktion, Geschmacksempfinden Auswirkungen auf die Ernährung – und diese wiederum sowohl systemisch als auch lokal auf die Zahn- und Mundgesundheit!“ Ihre Einschätzungt: „Das Thema Ernährung ist klar im Aufwind!“
Zum speziellen Aspekt Mundtrockenheit hatte Prof. Dr. Andrea Schmidt-Westhausen/Charité den aktuellen Stand der Literatur zusammengefasst und für die Praxis übersetzt. Xerostomie habe nicht nur als Folge von Medikamenten, sondern auch als begleitender Faktor einer Fehl- und Mangelernährung eine hohe Prävalenz insbesondere bei alten Menschen, diese favorisierten bei Mundtrockenheit Breinahrung statt trockenes Brot mit allen weiteren Konsequenzen. Auch in der Menopause käme Xerostomie deutlich verstärkt vor, was das Risiko nicht zuletzt für Karies und Parodonthopathien erhöhe.
Wie ein Praxiskonzept rund um ernährungsmedizinische Aspekte aussehen kann, schilderte Dr. Andrea Diehl/Berlin. Patienten käme es entgegen, selbst etwas zur Steuerung der Gesundung beitragen zu können. Zwar sei es wichtig, möglichst leicht verständliche Ursache-Wirkung-Bezüge zu vermitteln – hüten müsse man sich aber vor hundertprozentiger Voraussagbarkeit von Effekten. Dies sei schon deshalb nicht möglich, weil es sich um eine Triade handele, die die Mundgesundheit beeinflusse: Der Zustand des oralen Systems beruhe auf einer Balance zwischen Struktur, mentalem und emotionalem Sein sowie Ernährung und Verdauung. Der Berufsstand müsse seine Augen weiter öffnen als bisher, insbesondere die verbreitete Spezialisierung schränke oft den Blick aufs Ganze ein. Beispiel: „Manchmal ist unser Patient enorm unter Stress –die Magensäure geht nach oben und führt zu Defekten.“ Dann müsse man an anderer Stelle ansetzen als im Mund. Zu beachten sei auch die Bedeutung des Stresses, dieser störe die gesunde Darmfunktion: „Arbeitet der Darm nicht richtig, ist der Stoffwechsel gestört und Entzündungen, auch im Mund, können persistieren.“
Unter dem Stichwort „Gender Nutrition“ beleuchtete Dr. Tim Nolting MSc./Freudenberg die ernährungsbedingten Einflüsse. Es sei zwar vielfach beschrieben, dass sich das Ernährungsverhalten von Männern und Frauen unterscheide – dies trage derzeit noch nicht zum Erkenntnisgewinn bei, warum Frauen trotz an sich gesünderer Ernährung mehr Karies zeigten als Männer, während diese mehr zu schwerer Parodontitis neigten. Möglicherweise spiele der hohe Anteil an Kohlenhydraten in der Ernährung bei Frauen eine Rolle und der hohe Fleischgehalt in der Ernährung der Männer. Hier zeige sich eine spannende Aufgabe für die Forschung.
Die lokalen Zusammenhänge Ernährung und Mundgesundheit beschrieb Dr. Susanne Fath/Berlin.
Dabei standen weniger frühkindliche Zahnschäden bzw. Karies allgemein im Blickpunkt, sondern – angelehnt an das Kongress-Thema „Grundstimmung sauer“ – die Erosionen. Beachten müsse man, dass auch Abrasionsschäden oft im Zusammenhang stünden mit Erosionsdefekten. Sie informierte über Möglichkeiten der Prävention – mit Hinweis auf besonders riskante Lebensmittel – und die richtige Mundhygiene bei erosiven Schäden und plädierte für eine intensive Nachsorge. Praktische Hinweise, wie erosiv geschädigte Zahnhartsubstanz mit Komposit (ZÄ Anne Bandel/Berlin) bzw. mit Keramik (Dr. Guido Sterzenbach/Charité) wieder aufgebaut werden kann, setzten die praxisnahen Abschlusspunkte unter das sehr gut besuchte Symposium. Zusammenfassend hielt PD Dr. Peroz fest, dass weitere interdisziplinäre Studien erforderlich sind. Ihr Blick auf den Berufsstand: „Der Zahnarzt als Gesundheitsberater bekommt eine immer wichtigere Funktion – was bedingt, dass er sich auch über sein Fach hinaus, in diesem Sinne: ganzheitlich informieren muss.“