Krankenversicherung: Tarife mit Tücken

Lufthansa macht Schule: Meilensammeln funktioniert jetzt auch bei Krankenkassen. Dort heißen die Meilen allerdings Bonuspunkte; belohnt wird, wer gesund lebt und sich weiterbildet.

 

Krankenversicherung: Tarife mit Tücken

Lufthansa macht Schule: Meilensammeln funktioniert jetzt auch bei

Krankenkassen. Dort heißen die Meilen allerdings Bonuspunkte; belohnt

wird, wer gesund lebt und sich weiterbildet. Ob Raucherentwöhnung,

Stressabbau oder die artgerechte Zubereitung von Babybrei: Kurse gibt

es fast für alles – und für alles gibt es Punkte. Im Bonuskatalog der

Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg ist die Nachhilfe meist 1000

Punkte wert, genauso viel wie der Vorsorgecheck zur Krebsfrüherkennung

bei Frauen.


Zur Belohnung gibt es Moorwärmflaschen, Fun-Trampoline oder Springseile

mit Computer – mitunter sogar Bares. Wozu das gut sein soll? „Davon

haben alle etwas“, begründet die Gmünder Ersatzkasse (GEK) ihr eigenes

Bonusprogramm: „Die Versicherten halten sich fit, und das solidarische

Gesundheitssystem wird entlastet.“


Es geht auch um Kundenbindung. Während die Jagd auf kuriose Prämien vor

allem die Pflichtversicherten niederer Einkommensklassen bei Laune

halten soll, sind es bei den freiwilligen Mitgliedern neue Tarife:


Eigenbeteiligung (Selbstbehalt) oder die Erstattung von Beiträgen

(Rückgewähr) sollen die zahlungskräftigen Mitglieder der gesetzlichen

Krankenversicherung (GKV) vom Wechsel zur Privatpolice abhalten. „Wir

sind Ihnen sehr dankbar, dass sie den Krankenkassen dieses Instrument

ermöglicht haben“, freute sich DAK-Chef Hansjoachim Fruschki vor

Inkrafttreten der Gesundheitsreform und schenkte Ulla Schmidt

Turnschuhe in Neon-Orange. Ein Jahr zuvor hatte die

Gesundheitsministerin noch versucht, den Selbstbehalt der Techniker

Krankenkasse (TK) zu verhindern.


Überschaubares Risiko


Von Gegenwehr aus Berlin ist keine Rede mehr, seit sich Regierung und

Opposition auf eine Gesundheitsreform einigten. Weniger Probleme als

der Vorreiter TK hatten daher die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK)

mit der Genehmigung ihrer Vertragsneulinge. Die Ortskassen

differenzieren den Selbstbehalt meist nach dem Einkommen des Mitglieds

und kombinieren ihn mit Bonuspunkten für Vorsorgeuntersuchungen. Bei

den Versicherten der AOK Baden-Württemberg kommt das offenbar gut an.

„Das Bonusmodell findet reißenden Absatz“, freut sich Hainer Baudermann

von der Abteilung für Grundsatzfragen.


Was die AOK in Baden-Württemberg anbietet, kann sich sehen lassen. Die

Stuttgarter schreiben den Mitgliedern im Selbstbehalttarif jedes Jahr

bis zu drei verschiedene Boni gut. Neben dem Grundbonus, je nach Gehalt

140 bis 280 Euro, kann der Versicherte zwei Gesundheitsboni einheimsen.


30 Euro gibt es für die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen etwa zur

Krebsfrüherkennung, weitere 30 Euro für Fitnessnachweise wie das

Sportabzeichen. Ähnlich wie die TK zieht die AOK für Arzt- und

Krankenhausbesuche Pauschalen ab – und zwar so lange, bis der

Selbstbehalt ausgeschöpft ist. „Wenn es einen voll erwischt“, so

Baudermann, machen die Versicherten Verlust: 80 Euro pro Jahr sind es

ohne die beiden Gesundheitsboni, ansonsten 20 Euro. Das Risiko bleibt

überschaubar.


Andere Kassen, andere Sitten


Wer verstehen will, wie die Selbstbehalttarife etwa bei Barmer oder DAK

aufgebaut sind, muss die Abrechnungssysteme der Kassen kennen:


Beim Sachleistungsprinzip müssen sich Kassenpatienten nicht um die

Bezahlung der Ärzte kümmern. Sie lassen sich ohne Rechnung behandeln,

den finanziellen Teil erledigt die Kasse. Das ist das übliche Verfahren

in der GKV. Es gilt auch bei den Selbstbehalttarifen der TK und der

meisten Ortskassen.


Die Alternative zur Abrechnung als Sachleistung heißt Kostenerstattung.

Sie ist bei vielen Kassen (Barmer, DAK, Deutsche BKK) eine

Teilnahmebedingung für den Selbstbehalttarif. Bei diesen Versicherungen

gehen nicht Pauschalen zu Lasten des Selbstbehalts, sondern die

tatsächlichen Behandlungskosten. So muss ein Mitglied der Hamburg

Münchener im Selbstbehalttarif jedes Jahr solange für die ambulante

Versorgung der Familie aufkommen, bis 300 Euro erreicht sind. Erst

danach springt die Versicherung ein. Im Gegenzug gewährt die Kasse

einen jährlichen Beitragsnachlass von 250 Euro. Wieder gilt: Wer gesund

bleibt, profitiert. Wer oft krank ist, zahlt drauf.


Angebot mit Haken


Kassenmitglieder, die sich für solche Selbstbehalttarife interessieren,

sollten sich Gedanken über ihren Bedarf an medizinischen

Dienstleistungen machen. Nur wie? Patientenquittungen helfen weiter.

Seit Jahresbeginn haben Kassenpatienten auf solche Pseudorechnung einen

Anspruch: Gezeigt wird, was der Arzt abrechnet, zahlen muss der

Versicherte das Honorar aber nicht. Wer die Belege ein Jahr lang

sammelt, macht quasi eine Trockenübung für den Ernstfall.


Richtig ernst wird es erst beim Wechsel zur Kostenerstattung. An diese

Entscheidung sind Kassenmitglieder mindestens ein Jahr gebunden. Dann

rechnen Ärzte mit ihnen ab wie mit Privatpatienten: Die Rechnung

begleicht zuerst der Patient, die Kasse erstattet die Auslagen erst

später. Allerdings nicht alle. Und genau das ist der Haken an der Sache

– und an Selbstbehalttarifen, die ohne Kostenerstattung nicht zu haben

sind.


Krankenkassen dürfen nur für medizinische Kunstgriffe aufkommen, die im

Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung stehen. Beispiel:

Wer bei Zahnersatz lieber auf Implantate baut, läuft als Kassenpatient

Gefahr, dass er die Kosten komplett trägt. Nur im Ausnahmefall ist ein

Implantat auch eine Kassenleistung. Das führt meist dazu, dass die

Versicherung überhaupt nichts zahlen will – nicht einmal den Preis für

eine Brücke oder Totalprothese.


Hinzu kommt: Bei Privatpatienten kassieren Ärzte höhere Honorare als

bei Kassenpatienten auf Sachleistungsbasis. Beispiel: Ein Mann geht in

Berlin zum Hausarzt. Für das erste Beratungsgespräch eines

AOK-Versicherten bekommt der Doktor etwa 8,70 Euro. In dieser Gebühr

steckt Luft für weitere Arbeit, etwa Blut abnehmen. Bei Privatpatienten

kostet jeder Handgriff extra. Dann rechnet der Mediziner für die

Beratung mindestens 4,66 ab und weitere 2,33 Euro, wenn er Blut

abzapft. Macht zusammen 6,99 Euro.


Diesen Grundpreis darf der Arzt mit dem 2,3fachen Satz multiplizieren

und so für die gleiche Arbeit rund 16 Euro kassieren. Mit medizinischer

Begründung lässt sich sogar das 3,5fache abrechnen. Bei der

Kostenerstattung macht das Probleme, weil Krankenkassen nur bezahlen

dürfen, was die Behandlung als Sachleistung gekostet hätte. Der Rest

geht zu Lasten des Patienten.


Richtig begeistert sind die Krankenkassen von ihren Selbstbehalttarifen

mit Kostenerstattung offenbar nicht. Beim DAK-Spezialisten für

Zahnarztrechnungen klingt die Warnung sogar nach einem gefährlichen

Grenzübertritt. „Sie verlassen den geschützten Bereich“, sagt Jochen

Gabriel. Der Mann hat Recht: Krankenkassen bieten ihren Mitgliedern im

Sachleistungsprinzip einen besseren Schutz vor Pfusch am Gebiss.


Solche Reden verärgern die Ärzte und ihre Buchhalter. „Was die

Krankenkassen machen“, findet Jürgen Möller als Leiter der

Privatärztlichen Verrechnungsstelle in Berlin „schon sehr schofelig“.

Möller glaubt, dass die GKV-Vertreter die Probleme hochspielen. Mit dem

Risiko, auf Arzthonoraren sitzen zu bleiben, könne man auch anders

umgehen. Wäre er selbst Kostenerstattungspatient, „würde ich vorher mit

dem Arzt über die Abrechnung verhandeln – sonst würde ich den nicht an

mich ran lassen.“


Versicherte, die sich nicht aufs Feilschen verstehen, können das

Restkostenrisiko auch mit privaten Zusatzpolicen abwälzen. Billiger

wird die Gesundheitsvorsorge dadurch freilich nicht – und futsch ist

der Vorteil des Selbstbehalts.


Quelle: Handelsblatt 10.2.04

 

Letzte Aktualisierung am Dienstag, 30. November 1999

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