Fachlich ging es bei der von über 300 Teilnehmern besuchten 12. Jahrestagung des BBI (DGI-Landesverband Berlin-Brandenburg) am 1. März in Potsdam um das Thema „Hartgewebe stützt Weichgewebe, Weichgewebe schützt Hartgewebe“, letztlich dabei auch um die Frage, wer wann wen stabilisieren kann.
Fachlich ging es bei der von über 300 Teilnehmern besuchten 12.
Jahrestagung des BBI (DGI-Landesverband Berlin-Brandenburg) am 1. März
in Potsdam um das Thema „Hartgewebe stützt Weichgewebe, Weichgewebe
schützt Hartgewebe“, letztlich dabei auch um die Frage, wer wann wen
stabilisieren kann. Viel brisanter aber war der Anlaß, den Prof. Dr.
Dr. Volker Strunz, im Anschluß an die Tagung wiedergewählter
BBI-Vorsitzender, für das thematische Konzept genommen hatte: „Die Zeit
der subperiostalen Implantate ist passé, wir erwarten heute von und für
unsere Implantate eine dauerhafte, lang anhaltende Osseointegration und
zwar gestützt und geschützt von Hart- als auch von Weichgewebe.“ Es
stelle sich aber – leider berechtigt – die Frage, so Prof. Strunz, wie
sich hier Anspruch und Wirklichkeit verhielten. Bei über 60
Implantatherstellern und ca 130 Implantatypen, einem schier
unübersehbaren und damit letztlich nicht einsehbaren Markt, könne
vermutlich kaum ein Anwender von sich behaupten, das „richtige, das
eventuell beste, beständigste, sicherste, einfachste, vielleicht auch
günstigste Implantat zu verwenden.“ Die großen Fragen heute seien:
„Worauf stützen sich diese Aussagen? Auf Messegeflüster oder
Messegeschrei, auf eigene Erprobungen in unserer vielleicht kleinen
Praxis - oder gar auf wissenschaftliche Studien? Und dann: Wie sehen
diese Studien denn aus, wo wurden sie gemacht? Und wir müssen auch
nachfragen dürfen: Von wem wurden sie finanziert?“’ Die Implantologie
habe viele Sonnenseiten sowohl für die Patienten als auch für die
Behandler, aber sie sei nicht perfekt, und zunehmend habe er den
Eindruck, dass „Sicherheitsschrauben angezogen werden müssen.“ Neben
Implantatsystemen mit beeindruckenden Erfolgen habe er jüngst Systeme
erlebt, die ihm Sorgen und der Implantologie insgesamt Probleme
bereiteten. Aus seiner Praxis stellte Prof. Strunz drei Fälle vor, die
allesamt zu Implantatverlust führten – und zu der Vermutung, dass dies
kein Behandlungsfehler war, sondern ein Fehler des Implantats. Prof.
Strunz, der die Tagung auch moderierte, stellte die provokante Frage:
„Wer stützt hier wen? Auf was können wir uns verlassen - oder verlassen
uns hier alle guten Geister, die wir riefen?“
Kollege Mikrospkop sieht mehr
Dass die Implantologen Grund zur Skepsis haben, zeigte Dipl. Ing.
Holger Zipprich/Frankfurt anhand einer beeindruckenden
Mikrospalt-Studie, präsentiert in einem mikropskopischen Röntgen-Video:
Deutlich erkennbar war, wie sich je nach System bei Belastung ein
größerer oder kleinerer Mikrospalt öffnete, der Sulkusflüssigkeit in
sich reinsog. Die Flüssigkeit verblieb im Implantat. Hier bilden sich
Endotoxine, die durch den Pumpeffekt bei Kaubelastung wieder ins das
umliegende Gewebe ausgestoßen werden: „Mikroplaque wird also auch nach
Entfernung rund um das Implantat wieder da sein.“ Auch
platform-switching sei keine Lösung, sondern lediglich eine Verlagerung
des Problems. „Es gibt aktuelle Implantatsysteme, die sehen eher aus
wie ein studentisches Werkstück und nicht wie ein System eines
Welt-Herstellers“, so Dr. Zipprich. Seine Studie habe gezeigt, an
welchen Stellen die Hersteller noch Feinarbeit leisten müssten, es habe
sich aber auch gezeigt, dass konische Systeme seltener eine relevante
Mikrospaltbildung zeigten und „auch weniger Eigenbewegung wie das
Ziehharmonika-Einknicken, das Spaltprobleme nach sich zieht.“
Diesbezüglich habe er auch die Implantatsysteme von Prof. Strunz
getestet, die dieser zu Beginn als Misserfolg gezeigt hatte: Hier sei
die Implantatschulter eingeknickt, was zu Knochenabbau geführt habe.
Eine stabile Verankerung verhindere allgemein, dass das Implantat „am
Knochen rauf und runter rutscht“ und die Scherkraft Gewebe zerstört.
Das Implantat solle am besten knochenbündig und in fester Verbindung
gesetzt werden. Sein Fazit: „Bei manchen Systemen gibt es Knochenabbau
gratis zum Implantatkauf dazu.“ Er empfahl den Implantologen
ausdrücklich die Entscheidung für nachweislich mikrobewegungsfreie
Systeme. (Das Video zur Studie im Internet:
www.kgu.de/zzmk/werkstoffkunde).
Hochschulkollege relativiert – und bestätigt
Auch Prof. Dr. Harald Küpper/Jena hatte seinen Blick unter anderem auf
den Mikrospalt gelegt – er relativierte zwar die Bedeutung der Studie
von Zipprich: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Biologie im Mund
federt und die Ergebnisse von denen im Labor sicher etwas abweichen“.
Aber auch er sah die mikromorphologischen Aspekte als seit Jahren immer
wieder belastendes Thema in der Implantatprothetik an: „Wir wollen
ästhetische Lösungen – und keinen Randspalt von 800 Mikrometern.“ Bei
Testungen hätten die aus ästhetischer Sicht eigentlich wünschenswerten
Zirkonabutments leider schlecht abgeschnitten: „Bei Eigenbewegung
platzt rasch etwas weg. Zirkon ist kein weißes Metall, sondern spröde
Keramik.“ Es sei notwendig, dass Rückmeldungen aus Wissenschaft und
Praxis an die Industrie gingen, damit die Fehler abgebaut werden. Zu
den noch zu optimierenden Problemen gehörten auch sandgestrahlte
Oberflächen: „In diesem Beispiel stecken die Körner vom Sandstrahlen
noch drin, es gibt deshalb nur einen 50 %-Kontakt von Oberfläche und
Knochen. Das wird jetzt auch geändert.“ An einem anderen Beispiel
zeigte Prof. Knüpper eine Oberfläche ohne Strahlgut: „Es ist auch
Aufgabe für uns in den Hochschulen, uns um solche Themen zu kümmern.“
Trendwechsel zu kritischerem Umgang
Neben den fachlichen Hart- und Weichgewebsthemen waren die
System-kritischen Beiträge ein besonderer Akzent dieser Tagung, in den
Kaffeepausen wurde gar von einem Trendwechsel zu kritischerem Umgang
mit den Systemen gesprochen und dass die Implantologen aufhören
sollten, sich ständig neue und nicht ausgereifte Implantate zuzulegen.
„Vielleicht haben wir mit dieser Tagung etwas Wichtiges angeschoben“,
so die Bilanz von Prof. Strunz, der für Programm und die Auswahl der
Referenten viel Anerkennung erhielt. Der Erfolg der Implantologie liege
auf den Schultern der Implantologen – wenn diese aus Wettbewerbsgründen
kritische Produkte erhielten, deren Zuverlässigkeit sie selbst nicht
beurteilen könnten, sei dies ein Risiko, das sofort angegangen und
beendet gehöre. Die Industrie habe auf Kritik konstruktiv reagiert – es
sei aber wünschenswert, dass Kritik nicht erst in der Praxis aufkomme,
wenn Misserfolge sich häuften, sondern im Vorfeld, ehe die Produkte in
den Verkauf gingen.