Spezialgebiet Alterszahnheilkunde - Ja oder Nein?

Pro & Contra aus der PIP Ausgabe 2/2017

Warum sollte es eine Spezialdisziplin Alterszahnheilkunde in der Zahnheilkunde geben, oder warum nicht?

Argumente Pro

Es gibt wohl kaum ein Spezialgebiet, das näher an der Alterszahnheilkunde ist als die dentale Implantologie, denn der kerngesunde 21-Jährige mit Fahrradunfall ist in unserer Praxis ja doch eher die Ausnahme. Senioren haben also mit weitem Abstand die höchste Implantatquote in Deutschland. Insofern liegt auf der Hand, dass besonders wir uns intensiv mit diesem speziellen Gebiet auseinandersetzen müssen, das auch viel weiter in den allgemeinmedizinischen Bereich reicht als andere zahnmedizinische Teildisziplinen.

In wenigen Jahren wird über die Hälfte der Deutschen über 50 Jahre sein, daran wird auch eine gewisse Verjüngung durch die Flüchtlingszuwanderung nichts ändern. Diese Patientengruppe ist nicht nur ein kaufkräftiges, sondern ein in der Regel auch anspruchsvolles Klientel, und wir tun gut daran, uns darauf einzustellen und unsere Praxisabläufe und -umgebung danach auszurichten. Wir fragen uns seit einiger Zeit ganz gezielt, was wir anbieten können, um die Lebensqualität, die Ressourcen und die Kompetenzen unserer älteren Patienten zu erhalten und haben uns in vielen Bereichen darauf spezialisiert. Das beginnt bei der Ausstattung der Praxisumgebung, um auch die in ihrer Sehfähigkeit oder motorisch eingeschränkte Patienten den Aufenthalt bei uns gefahrlos und angenehm zu gestalten, geht über die Teilnahme an speziellen allgemeinmedizinischen Fortbildungen, um sich auf potentielle Probleme und besondere Anforderungen dieser Patienten und auf Themen wie Multimorbidität und Multimedikation vorzubereiten, und endet bei zusätzlichen Angeboten wie Hausbesuchen und Besuchen von Pflegeeinrichtungen. Nicht zuletzt haben wir unsere implantatchirurgischen und prothetischen Konzepte danach ausgerichtet, diesen Patienten möglichst wenig belastende und zeitlich vertretbare Lösungen anzubieten. Übrigens sind wir oft überrascht, welch hohe Ansprüche im ästhetischen Bereich viele unserer Alten haben – Alterszahnheilkunde hat also ganz und gar nichts mit Sozialindikation oder faulen Kompromissen zu tun.

Eine gute Mundhygiene und regelmäßige Behandlungen beeinflussen den allgemeinen Gesundheitszustand und viele Grunderkrankungen wie Diabetes, Stoffwechselerkrankungen oder Herz-Kreislaufprobleme nachgewiesenermaßen positiv, damit haben wir Zahnärzte eine weit über die Zahnheilkunde an sich hinausgehende gesamtmedizinische Verantwortung für diese spezielle Bevölkerungsgruppe. Nicht umsonst hat sich aus dem einstigen Arbeitskreis für Gerostomatologie inzwischen eine eigene Gesellschaft für Alterszahnmedizin etabliert. In einer Zeit, deren Digitalisierungs- und Jugendwahn fast bockig den demografischen Strukturwandel zu ignorieren scheint, und in der sich viele Ältere oft abgehängt fühlen, reagieren unsere Patienten umso dankbarer auf eine auf sie zugeschnittene spezifische Ansprache. Alterszahnheilkunde wird von ihnen nicht diskriminierend, sondern im Gegenteil als besondere Wertschätzung und Sorge wahrgenommen.

Argumente Contra

Irgendwann gibt es noch die Fachgesellschaft für den naturheilkundlich orientierten implantologisch tätigen Zahnarzt für menopausale Patientinnen – und die entsprechende Fachzeitschrift am besten gleich dazu. Das ganze neumodische „geriatric dentistry“ dient doch wirklich
nur dazu, wieder irgendeinem unterbeschäftigten Kollegen die Möglichkeit zu geben, sich zum Präsidenten eines spezialisierten Dentalzirkels auszurufen und sich mit klugen Kommentaren und Interviews zu seinem angeblichen Spezialgebiet in der Fachpresse und an Fachveranstaltungen zu diesem scheinbar großen neuen Thema wichtig zu machen.

Ebenso wie wir selber an unserem Altern nichts ändern können, wird die Zahnheilkunde für ältere Patienten künftig täglicher Bestandteil der ganz normalen Praxis sein. Daran hätten wir sonst schon vor etlichen Jahren mit den Geburtenraten der 80er- und 90er-Jahre etwas ändern müssen. Den demografischen Wandel sieht jeder Kollege an seiner Patientenkartei, ohne sich damit zum „specialist for geriatric dentistry“ ausrufen zu müssen. Außerdem unterscheiden sich in meiner Praxis die Alten erheblich voneinander: Vom mopsfitten 70er, der noch Halbmarathons mitläuft bis zum frühzeitig gealterten, schlecht ernährten und mit multiplen Leiden behafteten Frühpensionär ist alles dabei. Soll ich denen allen nun das Etikett „Alterszahnheilkunde“ ankleben?

Allein der Begriff lenkt doch wieder davon ab, dass ich jeden Patienten als Individuum und ganzheitlich betrachten und gemäß seinen ganz eigenen biologischen, psychologischen und sozialen Voraussetzungen behandeln möchte. Bei „Alterszahnheilkunde“ schwingt bei mir sofort ein „Lohnt sich das überhaupt noch!?“ mit – und genau das könnte unserer Gesundheitspolitik und vor allem den Kostenträgern gut in den Kram passen, die noch jahrelang mit veralteten Sterbetafeln gearbeitet haben und nun zitternd die Lawine der Alten und den steigenden Behandlungsbedarf auf sich zurollen sehen.

Ich werde mich nicht „Alterszahnheilkundler“ nennen, nur weil ich dafür sorge, dass meine ältere Patientin ohne zu Stolpern meine Praxistreppe hochkommt, oder weil in unseren Anamnesebögen standardmäßig Vorerkrankungen abgefragt werden, die bei betagten Patienten nun einmal häufiger auftreten als bei Grundschülern. Für mich gibt es allein die Zahnheilkunde, und innerhalb derer spezifische Fachrichtungen wie eine KFO, Oralchirurgie, eine Parodontologie, Endodontie oder auch die dentale Implantologie. Alles andere dient doch nur dazu, uns als Zahnmediziner in immer kleinere Spezialisten- und Interessengruppen aufzusplittern, die dann umso leichter gegeneinander auszuspielen sind, und bei denen es auch innerhalb unserer Interessenvertretungen immer schwieriger wird, einen Konsens zu finden und mit einer Stimme gegenüber jenen zu sprechen, die uns das Leben schwermachen wollen. „Alterszahnheilkundler“ bin ich eines Tages höchstens ganz persönlich.

 

implantate.com-Fazit.

Würde ein Praxisschild mit dieser Aufschrift Patienten anlocken?

Letzte Aktualisierung am Montag, 02. April 2018