Zahnpulpa als ethisch vertretbare Stammzellquelle


Adulte Stammzellen, wie sie auch in Zahnnerv vorhanden sind, sind im Gegensatz zu embryonalen sowohl rechtlich als auch unter ethischen Gesichtspunkten einsetzbar. Jedoch waren sie i.d.R. in ihrem Wachstum und ihrer Entwicklungsfähigkeit begrenzt. Im Nerven eines Zahnes wurden nun per Zufall von einem Forscherteam aus Stockholm Stammzellen beobachtet, die sich aus ihrem Zustand als ausgereifte Nervenzellen mit Stütz- und Haltefunktion (Gliazellen) wieder zurück zu ihren Vorläufer(-Stamm-)zellen entwickeln konnten. Die bahnbrechende Entdeckung dieser nicht von der Natur aus vorgesehenen Rückentwicklung zu mesenchymalen Vorläuferzellen aus Gliazellen eröffnet völlig neue wissenschaftliche Ansätze.

 Bisher dachte man, dass fertige Nervenzellen sich nicht in Stammzellen zurückentwickeln könnten. Nach Erforschung der Ursachen und Mechanismen gibt diese Neuigkeit Patienten Hoffnung auf neue, ethisch vertretbare Quellen für die Züchtung und Erforschung von Stammzellen und den daraus gewonnen therapeutischen Möglichkeiten.

Stammzellen liefern in ihrer Funktion als „Ur“-zelle unbegrenzt Ersatzzellen für alle Bereiche des menschlichen Körpers. Sie sind daher für die Heilung von vielen genetisch oder im Laufe des Lebens erkrankten Menschen von großer Bedeutung. Der Gesetzgeber hat im Jahre 1990 mit dem Embryonenschutzgesetz (EschG) eine erste Vorgabe zur Regelung für die in künstlichen Fortpflanzungstechniken (z.B. in vitro-Fertilisation) gewonnenen Stammzellen getroffen. Mit Inkrafttreten des geänderten EschG in 2011 wurde Ärzten und Forschern die Verwendung von „übrigen“ Embryonen, beispielsweise nach künstlicher Befruchtung bis auf wenige Ausnahmen verboten.

Eine Stammzelle wird in Abhängigkeit von ihrem Herkunftsort benannt, man unterscheidet derzeit Stammzellen vom Embryo (embryonale), vom Fötus (fetale) und vom geborenen Menschen im Alter eines Säuglings, Kindes oder Erwachsenen (adulte). Adulte Stammzellen können sich teilen und sind bisher in 20 Organen eines menschlichen Organismus gefunden worden. Ein Leben lang haben sie beispielsweise im Gehirn, im Knochenmark, im Blut oder auch wie hier genannt im Zahnmark (Pulpa) als Gliazellen die Aufgabe zum Schutz des Organs unterschiedliche Ersatzzellen zu bilden.

Im Gegensatz zu embryonalen, fetalen oder geklonten Stammzellen verursachen adulte Stammzellen nach Gewinnung im eigenen Körper für ihren Spender und Empfänger keine Abstoßungsreaktionen. Auch ethisch verletzen diese Verfahren keine Rechte Dritter. Trotz aller Vorteile sind sie den Stammzellen embryonaler Herkunft unterlegen, sie nicht so leistungsfähig wie embryonale Stammzellen. Im Labor lassen sich aus adulten Stammzellen zwar mithilfe von Wachstumsfaktoren neue differenzierte Zellen züchten, jedoch ist ihr Entwicklungspotential nur in eine Richtung möglich und ihre Lebens- und Teilungsfähigkeit eingeschränkt.

Seit langem ist bekannt, dass im Zahnnerv (Pulpa) Stammzellen vorhanden sind, die das Stützgewebe (Gliazellen) rund um die im Zahnfleisch und in den Zähnen vorhandenen Nervenzellen (Neuronen) bilden. Nach Angaben des Entwicklungsbiologen und Teamleiter der Forschergruppe aus Stockholm Igor Adameyko wurde beobachtet, dass diese Zellen aus dem Zahnfleisch auswanderten, sich in mesenchymale Stammzellen rückentwickelten und in Zahngewebe differenzierten. Die Entdeckungen der Forscher vom Karolinska-Institut reichen allerdings weit über zahnmedizinische Einsatzgebiete hinaus. Sie widersprechen den bisherigen wissenschaftlichen Vermutungen über die Herkunft von mesenchymalen Stammzellen. Bis zur abschließenden Erforschung der Herkunft der mesenchymalen Stammzellen und der chemischen Signalprozesse, die der Umkehrung der Glia- in Stammzellen zugrunde liegen, sind allerdings noch einige Studien notwendig, die Adameykos Forschungsergebnisse mit anderen Techniken bestätigen, betonen Entwicklungsbiologen. Vielversprechende Forschungsansätze mit adulten Stammzellen aus menschlichem Zahnnerv, die in funktionsfähige zahlreiche Leberzellen umgewandelt wurden, wurden bereits von einem japanischen Forscherteam aus der Nippon Dental University in Tokio mit dem Titel „Hydrogen sulfide increases hepatic differentiation in tooth-pulp stem cells“ im Journal of Breath Research (iopscience.iop.org) veröffentlicht.

 

Quelle:

Nina Kaukua, Maryam Khatibi Shahidi, Chrysoula Konstantinidou, Vyacheslav Dyachuk, Marketa Kaucka, Alessandro Furlan, Zhengwen An, Longlong Wang, Isabell Hultman, Lars Ährlund-Richter, Hans Blom, Hjalmar Brismar, Natalia Assaife Lopes, Vassilis Pachnis, Ueli Suter, Hans Clevers, Irma Thesleff, Paul Sharpe, Patrik Ernfors, Kaj Fried & Igor Adameyko: Glial origin of mesenchymal stem cells in a tooth model system; doi:10.1038/nature13536

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 22. Januar 2015