INTERNA der DGÄZ 2015: Implantat und Funktion, Wissen und Gefühl


Wenn die Deutsche Gesellschaft für Ästhetische Zahnmedizin/DGÄZ im Frühjahr zur Mitglieder-Veranstaltung traditionell nach Westerburg einlädt, berichten die Referenten aus Wissenschaft, Praxis und Zahntechnik üblicherweise über ästhetische Lösungen, bei denen die Funktion als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Fast schon ein Statement war daher das Programm der diesjährigen INTERNA am 15. und 16 Mai 2015: Mit dem Thema „Implantat und Funktion“ übernahm diesmal die Funktion die Hauptrolle und betonte damit, welche Relevanz das Thema in der ästhetischen Zahnmedizin hat.

„Man kann die beiden  Facetten der Therapie gar nicht wirklich trennen, wenn es um nachhaltigen Behandlungserfolg geht“, sagte DGÄZ-Präsident Prof. Dr. mult. Robert Sader, „erst wenn beides zusammen geplant und realisiert wird, wird der Patient viel Freude am Behandlungsergebnis haben.“ Welche Aspekte dabei rund um die Implantologie zu beachten sind – oder auch weniger Relevanz haben als erwartet – zeigten die Referenten aus verschiedenen Bereichen mit unterschiedlichen Teilaspekten, die ZA Wolfgang M. Boer als wissenschaftlicher Leiter zu einem spannenden und zu Diskussionen anregenden Programm kombiniert hatte.
Das begann bereits mit der provokanten Frage, ob Überlastung dem Implantat schadet – oder vielleicht doch nicht? Dass er darüber referieren sollte und sich daher mit der Thematik intensiver befassen musste, empfand Dr. Markus Schlee/Forchheim als attraktive Herausforderung: Es sei, nicht zuletzt mit dem Blick auf Bruxismus, ein großes Thema in der Öffentlichkeit und daher spannend, was die Literatur an Fakten dazu liefere. Sehr viel, so seine Recherchen, sei das leider nicht. Eine eindeutige Antwort sei nicht zu geben: „Milde Belastung führt zu Knochengewinn. Und ab wann führt die Belastung zu Knochenabbau? Dazu können wir wenig sagen: Keine der Studien in der Meta-Analyse hatte die tatsächliche Kraft gemessen.“ Einen Zusammenhang von Belastung, Überlastung und Implantatverlust könne er daher nicht bestätigen, allerdings gebe es offenbar einen Zusammenhang mit Implantatfraktur. Zu seinen Empfehlungen gehörte, die Verblockung von Naturzahn und implantatgetragener Krone möglichst zu vermeiden: „Die Idee, Hybridbrücken zu wählen, um Kosten zu sparen, ist offensichtlich nicht sonderlich schlau.“
Wie es um die Funktion bei CAD/CAM-Implantat-Prothetik steht, präsentierte Prof. Dr. Petra Giertmühlen/Freiburg, die erstmals bei der INTERNA referierte und zu Beginn ihres Vortrags feststellte: „Das ist eine ganz andere Stimmung hier als bei anderen Kongressen: Es ist eher wie in einer Familie!“ Auch sie hielt fest: „Es findet sich in der Literatur so gut wie keine wissenschaftliche Evidenz zu Okklusion und Implantaterfolg.“ Eine signifikant höhere Erfolgsrate ließe sich mit anatomischer Gerüstgestaltung erreichen. CAD/CAM-Implantatkronen seien unterm Strich kostengünstiger und zeigten sehr gute klinische Ergebnisse, das gelte auch für die Hybridkeramik. Man könne zudem die Restauration visualisieren und die Okklusion durchspielen.
Wie es um die Funktion bei einer sofortbelasteten full-arch-Restauration nach dem all-on-four-Konzept steht, beschrieb ZA Tadas Korzinskas/Litauen und bedauerte: „Mit den uns zur Verfügung stehenden Zahngarnituren bin ich nicht zufrieden – wir müssen sie individualisieren!“ Die Zähne übernähmen bei der Okklusion die Führungsrolle, und insbesondere bei Sofortbelastung sei eine interferenzfreie Okklusion entscheidend.
 
Wenn ein Implantatpatient in zwei kooperierenden Praxen versorgt wird – chirurgisch und prothetisch – kommt es darauf an, dass beide Expertisen sich ergänzen und auch in Funktionsfragen harmonieren. Wie das geht, führten Dr. Uta Steubesand und Dr. Margret Bäumer, beide aus Köln, in einem Doppelvortrag vor. In Schritten zeigten sie, was sich nach der manuellen Funktionsanalyse an weiterem Vorgehen entwickelte und welche Chancen bei bruxenden Patienten eine Detonisierungsschiene im Oberkiefer haben kann. Auch ZTM Andreas Kunz/Berlin widmete sich der Kaubelastung auf Implantaten – und damit der Qual der Wahl der Versorgungskonzepte. Diese seien auch abhängig von der Voraussetzung: „Geht es um Einzelzahnersatz? Um Teilbezahnung? Um vollständige Zahnlosigkeit? Die Kaubelastung ist hier gänzlich verschieden.“ Bei Zahnlosigkeit zeigten zwar auch Kunststoffe gute Erfolge, sie müssten aber „nach rund fünf Jahren oft ausgetauscht werden wie ein abgefahrener Autoreifen.“ Wie die okklusale Gestaltung bei Implantatlösungen aussehen sollte, zeigte Prof. Dr. Marc Schmitter/Heidenberg. Spannend war seine Visualisierung unterschiedlicher Mahlbewegungen bei abgenutzten und strukturierten Kauzähnen: Die Zerkleinerung der Nahrung bei den planen Kauflächen war signifikant schlechter. Ist also ein sehr ausgeprägtes Relief besser? „Nein, das erhöht das Risiko für eine CMD“, so der Referent. Bei CAD/CAM-Prothetik ließen sich Störkontakte austesten und vermeiden. Bei Implantat-Prothetik sei ein etwas abgeflachtes Relief vorteilhafter. Eine Art Summary bot schließlich DGÄZ-Ehrenmitglied Dr. Diether Reusch/Westerburg zur Frage: Okklusale Konzepte – was funktioniert, und was funktioniert nicht? Er legte dem Auditorium die natürlichen Möglichkeiten der Kompensation dar und das Konzept der organischen Okklusion: „Wenn wir das kennen und die Interferenzfreiheit beachten, können wie viele Probleme mit der Restauration vermeiden.“ Seine Empfehlung: Der Artikulator gehöre zu jedem Behandlungsschritt. Bei der Auswahl der an sich unzerstörbaren Dental-Werkstoffe frage er sich immer: „Was wird im Mund nachgeben?“
 
Mit zwei Vorträgen gab es aber auch ästhetische Facetten im auf Funktion ausgerichteten Programm: Dr. Hari Petsos/Frankfurt zeigte anhand einer Untersuchung, wie unterschiedliche Fachkompetenzen die Ästhetik von implantatgetragenen Frontzahnkronen bewerten. Demnach schätzen Patienten ihre eigene Versorgung meist deutlich besser ein als andere Laien und auch als die Fachexperten. Dr. Georgia Trimpou berichtete über periimplantäre Weichgewebs-Ästhetik durch sofortige anatomisch-funktionelle Formgebung. Die frische Alveole werde durch einen reimplantierten Wurzelquerschnitt gut verschlossen, eine solche zahnformgetreue Durchtrittszone erledige die Weichgewebsästhetik durch Heilung und mache die Therapie minimalinvasiver.
Als Überraschungsgast berichtete Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer/Greifswald über aktuelle Diskussionen in den wissenschaftlichen Gremien der FDI zu Amalgam und Kompositen. Sehr nachdenklich habe das Forum reagiert auf neuere Studien, die Zusammenhänge „mit der Plastikwelt“ und dem Auftreten von MIH (Molar-Incisor-Hypomineralisation) sehen. Seine Haltung dazu: „Wir müssen jetzt nicht panisch werden – aber nachdenken.“
 
Abschließende Frage: Bleibt die INTERNA in Westerburg? Hin und wieder habe es Wünsche aus dem Mitgliederkreis gegeben, die jährliche Veranstaltung in eine leichter erreichbare Großstadt zu verlegen. Der DGÄZ-Vorstand habe diese Wünsche vielfach diskutiert, so Sader, und zuletzt entschieden: Die INTERNA bleibt in Westerburg. Großer anhaltender Beifall aus dem Auditorium.

Letzte Aktualisierung am Montag, 15. Juni 2015