DGI-Continuum mit Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner: Augmentation ist gut – vermeiden ist oft besser


Als aktuelle Standortbestimmung zum Thema Augmentation erwies sich das DGI-Continuum mit Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner am 17./18. August in Mainz. Dabei wurde in vielerlei Aspekten die demografische Verantwortung und das soziale Verständnis der Implantologie als mitbestimmend in der Therapieauswahl offenkundig.

 

„Was ist für ältere Menschen der richtige Weg? Ist eine Steglösung oder sind zwei Einzelattachments z.B. als Locator mit besserer Pflegeoption nicht sinnvoller als komplexe festsitzende Alternativen, die wir bei jüngeren Patienten präferieren würden?“, fragte Professor Wagner anhand einiger Fallbeispiele und machte an anderer Stelle bei Zahn-für-Zahn-Implantatversorgungen deutlich: „Das war ohne Zweifel eine Luxusversorgung. Das wäre auch anders gegangen.“ Mit der Zielsetzung einer möglichst wenig invasiven und belastenden Implantologie ging es insbesondere um die Frage, ob und wie sich aufwändige augmentative Maßnahmen vermeiden oder reduzieren ließen. Immer wieder in den Blickpunkt rückten dabei kurze Implantate, die bei passender Situation beispielsweise einen Sinuslift vermeiden könnten. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Versorgung zeigten die kurzen Implantate (5 – 6 mm) heute hocheindrucksvolle Erfolge. Bisherige Erfahrungen in seiner Klinik zeigten, dass Verlustrate und Komplikationsrisiko nicht höher seien als beim Sinuslift. Der Alltag in der Praxis entspreche nicht immer der Kongress-Zahnheilkunde: „Sinuslift-Komplikationen wie schwere Infektionen und den Anteil der Patienten, die sich wegen des Aufwands nicht operieren lassen, sieht man selten bei Kongressen – dafür aber sehen wir um so öfter Komplikationen, die zu uns kommen zur Therapie. Irgendwo müssen die ja herkommen...“ Kurze Implantate kämen vielen Patienten entgegen, die umfangreiche chirurgische Eingriffe lieber umgehen würden. Sinnvoll sei diese Alternative nicht zuletzt bei Patienten mit chronischer Sinusitis, die öfter vorkomme als die Statistik besage, und auch bei Strahlungs- bzw. Bisphosphonat-Therapie, wenn bei diesen Patienten Implantate als einige Lösung indiziert sind. Bei engen schmalen Lücken erwiesen durchmesserreduzierte Implantate hilfreiche Dienste. Was im Oberkiefer erfolgreich funktioniere, erweise sich im Unterkiefer bisher eher in Einzelfällen als Alternative zu klassischem Vorgehen. Dennoch seien kurze Implantate einer vertikalen Augmentation meist überlegen. Kurze Implantate, wo sie möglich sind, seien eine klare Präventionsmaßnahme und zudem überzeugendes Beispiel für minimalinvasives Vorgehen in der Implantologie. Professor Wagner: „Immer wenn man zusätzliche Maßnahmen bei der Implantologie vermeiden kann, dazu zählt auch die Augmentation, sollte man das tun, denn jede zusätzliche Maßnahme birgt auch zusätzliches Risiko. Andererseits sollte bei einer echten Indikation immer auch eine entsprechende Knochen- und/oder Weichegewebs-Augmentation erfolgen statt faule Kompromisse einzugehen“


Typische Patientensituationen als Herausforderung an das Fach

Kraftzehrend für die Referenten, aber hoch lehrreich für die Teilnehmer war das Programm, das Professor Wagner und sein Oberarzt PD Dr. Dr. Bilal Al-Nawas vorbereitet hatten: Immerhin vier Live-OPs standen auf dem Plan, dazu ein ausführlicher Hands-on-Teil sowie ausreichend Zeit für die fachliche Diskussion und den Erfahrungsaustausch. Anders als das DGI-Curriculum ist das Continuum auf in der Implantologie bereits erfahrene Kolleginnen und Kollegen ausgerichtet, die sich in die Debatte mit den Referenten mit eigenen Erfahrungen einbringen – und im üblicherweise bewusst kleinen Kollegen-Kreis auch über Misserfolge berichten, zu deren Ursache hilfreiche Diskussionen geführt werden. Dass auch die Referenten nicht immer die reine Perfektion erreichen, gab Professor Wagner auf motivierend sympathische Weise bei der anschließenden Diskussion der Live-OPs zu: „Mein Oberarzt hat das Implantat richtig gesetzt, ich war bei meinem etwas zu tief ...“

Die vier ausgewählten Live-OP-Fälle dienten nicht nur als Grundlage für vielfältige Tipps für die implantologische Praxis, sondern geradezu als Muster für die Herausforderungen, die heute mehr denn je bestimmte Patientengruppen an das Fach stellen. Fall 1 war ein noch junger Patient mit Nichtanlage und begleitender kieferorthopädischer Therapie. Professor Wagner wies auf die biologischen Besonderheiten und auch besonderen Ansprüche an die Lösung hin und betonte: „Nichtanlagen werden in Zukunft eine der wachsenden Aufgaben in der Implantologie werden – mit den speziellen biologischen Risiken sollte man sich also früh genug vertraut machen.“ Fall 2 war ein fast siebzigjähriger Patient mit Zustand nach Implantatverlust. „Auch diese Gruppe wird in unserer Praxis zunehmen!“ Fall 3 war eine Patientin Anfang sechzig mit Freiendlücke bei zu geringem Knochenangebot – hier stellte sich die Frage „Sinuslift oder Short Implants?“ Fall 4, eine Patienten kurz vor dem 70. Lebensjahr brauchte in der Front eine Implantatlösung und wünschte „Sofortimplantation und Sofortversorgung mit Augmentation“­– nach der OP wurde diskutiert, ob und warum der Wunsch mit Blick auf die biologische Entwicklung nicht erfüllt wurde.

„Implantologie ist Prävention“, betonte Professor Wagner immer wieder und verwies unter anderem auf Strukturerhalt und Atrophievermeidung und die damit verbundenen Anforderungen an das Vorgehen. Er stelle sich die Frage, ob die Unterlassung einer angezeigten Implantation nicht zu vermeidbarer Regression und Atrophie mit Augmentationsbedarf führt: „In meiner Augen ist die Antwort ein klares Ja.“


 

Letzte Aktualisierung am Samstag, 20. Oktober 2012