49. Jahrestagung der Neuen Gruppe: Der Patient zählt – nicht die Technik


Mit dem Thema „Implantologie im atrophierten Kiefer“ hatte sich die Neue Gruppe ein anspruchsvolles Gebiet innerhalb der Zahnmedizin für ihre 49. Jahrestagung Ende Oktober in Wiesbaden ausgesucht, das nicht nur viele Facetten aufweist, sondern auch kontroverse Protokolle. Das machte möglich, was die Neue Gruppe auszeichnet: Diskussionen auf hohem Niveau, wo bei anderen Veranstaltungen sich Vortrag an Vortrag reiht. Nach den Workshops am Donnerstag zu Stichworten wie Weichgewebsmanagement (Dr. Markus Schlee), Periimplantitis-Prophylaxe (Dr. Eduardo Anitua) und einem Hands-on-Kurs in mikrochirurgischer Augmentation (Dr. Gerd Körner) startete der Hauptkongress am Freitag mit einer Präsentation, die Debatten auch in den Kaffeepausen auslöste: Prof. Dr. Fouad Khoury plädierte in seinem Beitrag zu Augmentation mit autologem Knochen dafür, Patienten sollten lieber in „Gold“ (gemeint: eigenen Knochen) investieren anstatt in Mineralien, die „aus der Tüte kommen“ (gemeint: Knochenersatzmaterialien/KEM). Nach zahlreichen Fällen von DMD („Destruction Made by Dentists“) demonstrierte er sein biologisches und minimalinvasives Konzept der Knochengewinnung. Den Konter setzte Dr. Istvan Urban, der sich als Befürworter von KEM darstellte, diese aber auch mit autologem Knochen kombiniert. Auch er hat ein minimalinvasives Protokoll entwickelt, das er „sausage technique“ nennt (Membran-stabilisierte Augmentatpartikel). GBR sei auch für große Rekonstruktionen geeignet und komfortabel für die Patienten. Die Diskussion ergab: Es kommt auf den Behandler an. Beide Ansätze haben großes Erfolgspotential, wenn man sich mit dem Verfahren auskennt.
Eine weitere Facette brachte Dr. Markus Schlee mit ein: allogene Blöcke. Für diese Materialien gebe es bereits 10 Jahre klinische Erfahrung und eindrucksvolle histologische Daten. Nach einer Darstellung der Herstellung dieses Knochenersatzmaterials („fresh frozen bone“) zeigte er Erfolge, aber auch Misserfolge und erklärte deren Ursachen. Die Komplikationsrate sei vergleichbar mit derjenigen bei autologem Knochen. Auch hier wurde deutlich: Auf die Erfahrung des Anwenders kommt es an. Sein Fazit: Ob autolog, xenogen oder allogen – kein Material und auch keine Technik ist der anderen laut Literatur überlegen.

Nach dem Schwerpunkt Augmentate widmete der Kongress der Implantation und auch dem Implantat-Bereich die weiteren Vorträge. Dr. Gerd Körner stellte Langzeitergebnisse bei Implantaten im parodontal kompromittiertem Gebiss vor und erklärte seine eigene „road map“ zum Ziel: Sein Weg führt über Regeneration, Resektion bis zu Rekonstruktion.  Es zeigte sich, dass die parodontale Vorgeschichte den Langzeiterfolg beeinflusst und ein Risiko darstellen kann. Die Qualität und auch die Quantität an Hart- und Weichgewebe sei Grundlage für gute Langzeitresultate. Ist beides nicht optimal, sei eine Implantation zwar dennoch möglich, erfordere aber eine kritische Entscheidungsfindung. Den Blick auf Einzelimplantate in der ästhetischen Zone richtet Dr. Stavros Pelekanos und plädierte in diesen Fällen für eher schmale Produkte. Die Langzeitstabilität erfordere spezielles chirurgisches und prothetisches Vorgehen. Noch kleiner waren die Implantate, über die Dr. Eduardo Anitua berichtete: Mittlerweile habe er sein Protokoll geändert und hier den kurzen Implantaten einen steigenden Platz eingeräumt, wobei kurz bei ihm bedeutet „geringer als 7,5 mm lang“. Sie seien gut geeignet, um eventuell notwendige Augmentationen zu umgehen. Kombiniert mit minimalinvasivem Vorgehen seien die kurzen Implantate für Patienten am wenigsten belastend und die Ergebnisse seien bestens vorhersagbar. Anwender sollten wissen, dass nur die obersten Windungen Kaukraft abbekommen. Ein oft kontrovers diskutiertes Thema rundete den Vortragskanon ab: Prof. Dr. Paulo Malo stellte sein „All-on-4“-Konzept vor und griff Kritik und Missverständnisse auf. Nach einem Exkurs in die Biomechanik meinte er, vier Implantate seien völlig ausreichend, mehr Implantate gäben kein Plus an Stabilität. Und damit das Auditorium dies leichter nachvollziehen kann, demonstrierte er bei der Diskussion seine These anhand eines Stuhles. Das Vorgehen vermeide Knochenaufbau, reduziere die Behandlungskosten und sei auch bei Sofortversorgung möglich. Allerdings sei die Indikation spezifisch: Das Vorgehen ist für Patienten mit geringem Knochenangebot geeignet – bei ausreichendem Hartgewebe seien andere Konzepte zu verwenden.

Dr. Reinhold Rathmer M.Sc. hatte als Präsident die 49. Jahrestagung eröffnet – und als Ex-Präsident geschlossen: Zwischenzeitlich hatte die Mitgliederversammlung turnusgemäß gewählt und Dr. Brigitte Simon zur Präsidentin gewählt. Mehr als 200 Teilnehmer waren ins Kurhaus nach Wiesbaden gekommen und haben dort im stilvollen Ambiente eine sehr gut organisierte und spannende Tagung mit herausragenden Referenten erlebt. Nicht zuletzt die geselligen Angebote und gepflegten Events zeigten, dass der Geist der Neuen Gruppe, das sehr freundschaftliche, fast schon familiäre Miteinander, nach wie vor ein starkes Bindeglied ist und die Neue Gruppe zu einer wissenschaftlich ausgerichteten Vereinigung von nationalen und internationalen Zahnärzten macht. Nach Wiesbaden steht nun die Vorfreude auf 2016 an: Dann wird die Neue Gruppe ein rundes Jubiläum feiern und zu ihrer nunmehr 50. Jahrestagung nach Stuttgart einladen.

Letzte Aktualisierung am Freitag, 04. Dezember 2015