S3-Leitlinie: Zahnimplantate bei Patienten mit Medikamenten gegen Knochenabbau und Knochenmetastasen


Die Deutsche Gesellschaft für Implantologie (DGI) und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) haben eine S3-Leitlinie erarbeitet, die Zahnärztinnen und Zahnärzten die Indikationsstellung für Implantate erleichtert, wenn Patienten mit Antiresorptiva – etwa Bisphosphonaten – behandelt werden. Bei der Leitlinie haben 16 Fachgesellschaften und Organisationen zusammengearbeitet. Das Autorenteam wird angeführt von Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz, Wiesbaden (Leitlinien-Koordinator) und Prof. Dr. Dr. Christian Walter, Mainz (federführender Autor).

Mit der neuen S3-Leitlinie „Zahnimplantate bei medikamentöser Behandlung mit Knochen-Antiresorptiva (inklusive Bisphosphonate)“ legen DGI und DGZMK binnen weniger Monate eine weitere Empfehlung zu einem wichtigen Thema der Implantologie vor. Die Leitlinie bietet Zahnärztinnen und Zahnärzte Entscheidungshilfen bei der implantologischen Versorgung von Patienten, die mit sogenannten Knochen-Antiresorptiva behandelt werden. Unter dieser Bezeichnung werden verschiedene Medikamente zusammengefasst, die dem Knochenabbau entgegenwirken und beispielsweise zur Behandlung von Osteoporose oder Knochenmetasta-sen bei Krebspatienten eingesetzt werden. Die wichtigsten Vertreter dieser Medikamenten-gruppe sind verschiedene Bisphosphonate oder der monoklonale Antikörper Denosumab. Eine seltene aber schwierig zu therapierende Komplikation dieser Behandlung sind Kiefernekrosen, kurz ONJ (englisch: osteonecrosis of the jaw). „Das Ziel der Leitlinie ist es, Kolleginnen und Kollegen eine Entscheidungshilfe zu geben, wie sie das individuelle Risikoprofil ihrer Patienten ermitteln können “, sagt Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz, Wiesbaden, der Koordinator der Leitlinie. Zusammen mit vier anderen Experten haben Professor Grötz und der federführende Autor der Leitlinie, Prof. Dr. Dr. Christian Walter, Mainz, auf der Basis einer systematischen Literaturaus-wertung sowie im Konsens Empfehlungen zur Implantat-Indikation erarbeitet. Es ist die zweite von insgesamt vier Leitlinien, mit deren Entwicklung Experten von 16 Fachgesellschaften und Organisationen bei der letzten DGI-Leitlinienkonferenz im September 2015 begonnen haben.

Die Prävalenzen von Kiefernekrosen variieren. In Deutschland werden jährlich über 200 Millionen Tagesdosen von Bisphosphonaten verordnet. Die Prävalenz Bisphosphonat-assoziierter Osteonekrosen variiert in Abhängigkeit von der Grunderkrankung. Bei der primären Osteoporose liegt die Ereignisrate einer ONJ bei 0,1 Prozent, d.h. einer von 1000 Patienten ist betroffen. Bei der sekundären Osteoporose und prophylaktischer Einnahme bei Krebspatienten sind zehn von 1000 (1 %) Patienten betroffen. Bei malignen Grund-erkrankungen variiert die Prävalenz zwischen einem und 20 Prozent bei entsprechenden Risikopatienten. Unter einer Denosumab-Therapie liegen die Ereignisraten in Studien häufig etwas höher als in der Kontrollgruppe mit Bisphosphonat-Therapie.

Auslöser der Kiefernekrose. Bei den meisten Antiresorptiva-assoziierten Kiefernekrosen sind Auslöser in der Mundhöhle identifizierbar. Hierzu gehören parodontal erkrankte Zähne, Prothesendruckstellen und auch zahnärztlich chirurgische Eingriffe, meist Zahn-extraktionen ohne Sicherheitskautelen, bei denen Keime in den Kieferknochen einwandern. Auch die Insertion von Implantaten könnte somit ein Auslöser sein. Gleichwohl können Implantate auf der anderen Seite helfen, Prothesendruckstellen zu vermeiden und damit das bilanzierte Kiefernekrose-Risiko zu senken. Die literaturbasierte Evidenz spiegelt jedoch die noch immer begrenzte Kenntnis des tatsächlichen Risikos einer Implantat-assoziierten Kiefernekrose beziehungsweise eines Bisphosphonat-bedingten Implantatverlusts wider. Dennoch konnte die Arbeitsgruppe der Leitlinie sieben evidenzbasierte Empfehlungen formulieren und diese auf der Basis vorliegender Erfahrungen durch 14 Empfehlungen im Konsensverfahren ergänzen.
Laufzettel für die Risiko-Stratifizierung. Bei allen Patienten unter bzw. nach antiresorptiver Therapie, die eine Indikation für dentale Implantate haben, soll zunächst das individuelle Kiefernekrose-Risiko evaluiert werden, da die Osteonekrose Folge einer entzündlichen Implantat-Komplikation sein kann. Neben der Grunderkrankung müssen Applikationsart, Dauer und Frequenz der antiresorptiven Therapie und weitere Medikationen und Behandlungen erhoben werden, ebenso zusätzliche Allgemeinerkrankungen und systemische Faktoren, die bei Wundheilungsstörungen eine Rolle spielen können. Zur Risiko-Stratifizierung kann der „DGI-Laufzettel Risiko-Evaluation“ herangezogen werden. Dieser steht auf der Homepage der DGI zum Download zur Verfügung. Zu klären ist im individuellen Fall jeweils auch, inwieweit die Implantatversorgung das ONJ-Risiko auch mindern kann, indem Prothesendruckstellen vermieden werden.

Die Leitlinie gibt Hinweise, wie das Risiko für eine Osteonekrose präoperativ etwa durch die Beobachtung der individuellen Knochenneubildungsrate nach einer Zahnextraktion, beurteilt werden kann. Kieferaugmentationen sollten, so die Empfehlung der Experten, möglichst vermieden oder die Indikation besonders streng überprüft werden. Auch die Motivierbarkeit und die Möglichkeiten der Patienten für eine gute Mundhygiene sollten in den Entscheidungsprozess einfließen. Hinzu kommen muss auch eine risikoadaptierte Nachsorge. Kommt eine Implantation in Frage, lautet die evidenzbasierte Empfehlung, dass eine perioperative systemische Antibiotika-Prophylaxe eingeleitet wird. „Auf der Basis unserer Empfehlungen können Kolleginnen und Kollegen nach individuellen Kriterien zusammen mit dem Patienten eine nachvollziehbare Entscheidung für oder gegen die implantatgetragene Versorgung entwickeln“, sagt Professor Grötz.

 

Link zur Leitlinie: www.goo.gl/aaj8wk

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 10. November 2016