Impressionen von der 23. wissenschaftlichen Jahrestagung der EAO (European Association for Osseointegration) vom 25. bis 27. September in Rom


2014 führte die EAO ihre Mitglieder in die Ewige Stadt Rom. Das Motto lautete ortsgemäß: SPQM. Lateinkundige wissen: Senatus populusque Romanum. Nun, das hieß es nicht- sondern höchst aktuell: Simplification, Predictability, Quality to achieve Results: Vereinfachung, Vorhersagbarkeit . Qualität um Ergebnisse zu erreichen.

Veranstaltungsort war der von Pinien gesäumte Parco della musica am nördlichen Tiberbogen: ein architektonisch der Antike verpflichtetes Areal von der letzten Olympiade in Rom mit drei großen kugelförmigen Auditorien, die sich um ein offenes Amphitheater platzierten. In den Wandelgängen fanden wir eine sehr umfangreiche Industrieausstellung.

Die wissenschaftliche Leitung durch den Römer Luca Cordaro und den Schweden Björn Klinge unter der Präsidentschaft von Pascal Valentini aus Paris ging neue Wege: In 3 Plenarsitzungen (ohne simultane Parallelsitzungen!) bot eine klug ausgewählte kleine Anzahl exzellenter Referenten mehrere Kurzreferate zu vorgegebenen Einzelfragen eines übergeordneten Themas, die sofort diskutiert worden. Das ergab einen lebendigen Ablauf, der hervorragend funktionierte. Zweites Element waren Diskussionen in 4 „Arenen“: Unter Moderation diskutierten 4 Opponenten wie früher Gladiatoren aktuell kontrovers bewertete Streitthemen. 2 Abschnitte widmeten sich dem Implantologen von morgen und es gab 2 Parallelsitzungen. 21 Workshops und Hands on Kurse bot die Industrie. Ein Tagungsabschnitt war gastgebenden Fachgesellschaften reserviert. Je 14 bzw. 15 Kandidaten stritten um die Tagungspreise auf den Gebieten Grundlagenforschung, prothetisch bzw. chirurgisch orientierer klinische Untersuchungen und Poster zugelassen. Preisträger wurden mit den Koautoren: Yuelina Liu aus Amsterdam (Osteoinductive biomimetic calcium phosphate bone substitute for bone regeneration), Nicole Winitsky aus Stockholm (Implant infraposition after 15 year follow up of Branemark implants in the anterior maxilla in young patients: a surgical peri-implantitis treatment) und Georg Strbac aus Wien (Thermal effects of combined irrigation during implant site drilling: a standardized in vitro study using a bovine rib model). 669 Poster ganz unterschiedlicher Qualität waren etwas schwer auffindbar. Alle Abstracts sind veröffentlicht in Clin Oral Impl Res 25 (Suppl10) 2014.

SPQR- chirurgische Alternativen moderierten Bjarni Petrusson (Rejkjavik) und Luca Cordaru (Rom): Die aktuelle Datenlage zeigt bei kritischer Sichtung Vorteile für eine lappenfreie Chirurgie nur im Experiment und nur bei Sofortimplantionen. Am Patienten erfordert sie eine vergleichsweise größere chirurgische Erfahrung und einen höheren Planungsaufwand. Sie wird zur Routineanwendung nicht empfohlen und birgt ästhetische Risiken (Juan Carrion- Madrid). Transmukosale Insertionen sollten nur bei idealen Voraussetzungen erfolgen. Für ästhetisch günstiger Ergebnisse ist der Knochenaufbau vorher empfehlenswert (Mario Roccuzzo- Turin). Ausgedehnte Kieferaufbauten sollten in der Hand des Kieferchirurgen bleiben. Sandwichplastiken mit interponierten Knochenersatzmaterialien könnten zu einer Belastungsreduktion führen (Hednryk Terheyden- Kassel). Möglichkeiten für eine Sofortimplantation sind vom distobukkalen Knochenangebot bestimmt. Augmentationen außerhalb des ortsständigen Knochens könnten diese erweitern (Joseph Kan- Loma Linda).

Unter Moderation von Alberto Sicila Felechosa (Spanien) diskutierten Ronald Jung (Zürich), Marc Quirinen (Leuven), Ali Tahmeseb (Amsterdam) und Ion Zabalegui (Madrid) zur geführten Chirurgie. Sie weist mittlere Abweichungen horizontal von 1,2 und vertikal von 0,5 mm auf- allerdings bei einem Maximum von 6mm. Die Präzision ist geringer bei knochengetragenen Schablonen als bei Zahn- oder Schleimhautlagerung. Postoperative Störungen sind reduziert, aber es kann Komplikationen geben. Es gibt keinen Nachweis für ein besseres Langzeitüberleben. Der Einsatz ist an eine hohe Kompetenz des Implanteurs gebunden. Aktuelle Daten (Vercruissen- Leuven) belegen die höhere Akuratesse gegenüber der Freihandpositionierung mit mittleren Abweichungen von 0,5 (buccolingual) bis 0,9 mm (Tiefe). Der Gesamtzeitaufwand für geführte 3D- gestützte Implantatinsertionen ist um 25% höher gegenüber dem konventionellen Vorgehen. Operationszeiten sind bei Einzelzahnersatz identisch,bei ausgedehnten zahnlosen Arealen reduzieren sie sich. Der Zeitaufwand in der Zahntechnik wird reduziert (Jung). Nach Thameseb sind Maximalabweichungen bei geführter Insertion mit 4,5 mm am Einbringpunkt, 7,1 mmm an der Implantatspitze und 21% Achsabweichung derart hoch, dass das Verfahren nicht als sicher gilt, selbst die Präzision höher als die Freihandinsertion ist. Die Präzision kann durch Hilfsimplantate oder Schleimhautlagerung signifikant erhöht werden, aber auch, wennVorbohrung und Insertion schablonengeführt erfolgen. Ursachen für Abweichungen sind nach Studien von Tahmeseb das Spiel von Fräsen und Tiefenstopps in den Bohrhülsen, die Rigidität der Schablonen und Diskrepanzen beim Übergang von digitalen zur analogen Planung. Postoperative Schmerzreaktionen sind nach geführter Insertion kaum günstiger als nach konventionellem Vorgehen bei geringfügig höherem Analgetikaverbrauch. Die postoperative Schwellung ist deutlich vermindert (Vercruissen). Der postoperative Knochenabbau bleibt unbeeinflusst. Einflussgrößen für Abweichungen sind nach Jung Abdrucknahme, Auflösung und Artefakte bei der 3 D Diagnostik, Rigidität der Schablonen und Repositionierung derselben im Munde. Durch digitale Workflows ist eine Reduktion denkbar. Kurze Distanzen zwischen Schablone und Insertionspunkt vermindern ebenso wie längere Bohrhülsen Fehlermöglichkeiten (van Assche). Jung sieht als nahe Perspektive printergestütze Schablonenherstellungen mit längeren Hülsen und kürzeren Bohrern. Distale Implantate erhöhen Abweichungen wie linksseitige bei Rechtshändern. Geführte Implantatinsertionen bleiben unverzichtbar für komplexe Situationen. Laborkosten werden geringfügig reduziert ebenso die Eingriffszeit (Quirinen). Neue dynamische Navigationssysteme sind in Erprobung. Die Schlussfolgerung lautete frei nach Einstein: Alles soll so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher. Diese Session war inhaltlich und rhetorisch die wertvollste der Tagung.

Unter Moderation von Ronald Jung (Zürich) setzten sich Daniele Botticelli (Rimini), Stefan Fickl (Würzburg) und Fabio Vignoletti (Madrid) mit Paradigmenwechseln bei der Zahnextraktion auseinander, was als Experten Ueli Grunder (Zürich) und Daniele Cardaropoli (Turin) kommentierten. Die regelrechte Wundheilung nach Zahnentfernung wird bereits modifiziert durch die Implantatinsertion in die Alveole, um so mehr durch Einbringen anderer Substanzen. Der mittlere vertikale Knochenverlust nach Zahnentfernungen beträgt 29 bis 63%, der horizontale 11 bis 22%. Mineralisierungsanteile variieren extrem. Die Zahnfacherhaltung ist nur theoretisch von Vorteil in der ästhetischen Zone, wo sie horizontale und vertikale Knochenresorbtionen um 1,8 bzw. 1,5 mm reduziert. Spätere Knochenumbauvorgänge kann sie überhaupt nicht beeinflussen. Der Einfluss auf das langzeitige Implantatüberleben ist nicht untersucht.

SPQR- prothetische Alternativen diskutierten unter der Moderation von Luca Cordaro (Rom) und Irena Sailer (Genf) Christoph Hämmerle- Zürich, Jocelyne Feine-Canada, Jürgen Strub-Freiburg und Dean Morton- Louisville. Variable Implantatanzahl (von1 bis zur Maximalzahl in Abhängigkeit von Kiefer und Ansprüchen), Verankerungsverfahren und Materialien (Vollkeramik vs. Metallkeramik) standen wie CAD -CAM- Fertigungen zur Diskussion. Ihre Wertigkeit müssen durch standardisierte Studien erst noch belegen. In Arena 3 traten gegeneinander an Luca Francetti (Mailand), Matteo Chiapasco (Mailand) und German Gallucci ( Boston) bewertet von Nitzan Bichacho (Jerusalem) und Pernilla Larsson Gran (Malmö) unter Moderation von Björn Klinge (Malmö). Diskutiert wurde, ob es für totalprothetische Versorgungen verschiedene Optionen oder nur ein Protokoll gibt. Die Anatomie bestimmt Ort und Anzahl der Implantate. Sie ist allerdings durch augmentative Maßnahmen veränderungsfähig. Aufwand und Komplikationsmöglichkeiten hierfür sind zu berücksichtigen. Festsitzende Versorgungen benötigen offenbar 4 bis 6 Implantate, auch wenn es dazu weder langzeitige Untersuchungen noch klinisch kontrollierte Studien gibt. Bekannt ist die Überlastung endständiger Implantate bei Extensionsbrücken. Geneigte Implantate könnten dies reduzieren durch Längengewinn der Implantate, geringere Implantatanzahl und bessere kortikale Verankerung. Vieles spricht für das All- on- Four- Konzept. Langzeitergebnisse aber liegen nicht vor. Kurze schmale, geneigte Implantate oder auch die komplikationsanfälligen und höchste chirurgische Fertigkeit erfordernden Zygomaimplantate können aufwendigere Oberkieferrekonstruktionen manchmal ersetzen. Unproblematischer sind Sinusbodenelevationen mit und ohne laterale Augmentationen. Belastungsprotokolle für festsitzende Versorgungen sind nur für das konventionelle Vorgehen ausreichend dokumentiert. Zur Evaluation ästhetischer und funktioneller Langzeitergebnisse moderierten Gil Alcoforado (Lissabon) und Jean- Louis Giovannoli (Paris). Rudolf Führhäuser (Wien) verglich objektivierbare Klassifikationen für das ästhetische Ergebnis . Nach Urs Belser (Bern) sind ästhetische Langzeitergebnisse erreichbar, aber bei 10% müssen innerhalb von 5 Jahren Kronen erneuert werden. Anne- Marie Roos-Jansaker (Kristinstad) verwies auf Mukositiden um 50% der Implantate und Periimplantiden um 40% allerdings in derHäufigkeit beeinflussbar durch die Nachsorge aber mit eine doch geringen Eventrate pro 100 Implantatjahren von nur 1,5%. Maurizio Tonetti (Genua) diskutierte, ob mikroraue Implantate gegenüber den glatten Vorteile aufweisen. Belegt sind raschere Einheilung, seltenere Frühkomplikationen, Möglichkeiten verkürzter Implantate und (vielleicht) eine bessere Prognose bei Risikopatienten. Erkauft wird dies durch ein geringfügig höheres Periimplantitisrisiko. Diskutiert wurde der kaum analysierte Einfluss der extrem variablen Gestaltungen des Implantathalses auf die Entwicklung einer Periimplantitis.

Unter Moderation von Theodoros Kapos (London) und Jose Manuel Navarro (Las Palmas) diskutierten Tizinao Testori (Mailand), Paolo Casentini (Mailand) und Denis Tarnow (New York) Notwendigkeit und Nutzen einer Verkürzung der Behandlungszeit. Patienten mit hohem Einkommen profitieren durch Zeiteinsparung von einer Sofortversorgung, Patienten mit geringem Einkommen durch verminderte Kosten.

Spannend war die letzte Sitzung: SPQR- Was brauchen wir für unsere Patienten: Wann brauchen wir Implantate und was gibt es für gesundheitliche und sozial Implikationen ( Moderation von Luca Cordara – Rom und Björn Klinke-Malmö): Alberto Fonzar (Udine) stellteImplantatüberlebensraten Ergebnissen erfolgreicher endodontische Behandlung gegenüber( 96% von 1 463 936 über 8 Jahre- Sahlerabi 2004). Er verwies auf die Effektivität parodontaltherapeutischer Maßnahmen für den Zahnerhalt: 88 % fragwürdiger und 60% hoffnungsloser Zähne überlebten 15 Jahre unter parodontologischer Therapie. Implantatgetragener Zahnersatz habe gleichartig wie zahngetragener Zahnersatz eine Überlebenswahrscheinlichkeit für 10 Jahren von etwa 88 % und zwar auch bei parodontal reduzierten, aber gepflegten Zähnen. Frauke Müller (Genf) analysierte, inwieweit betagte Patienten von der Implantologie profitieren. Es gibt keine kalendarischen Grenzen. Zu berücksichtigen ist, die prospektive Handlungsfähigkeit alternder Patienten. Es müssen alterspezifische ggf. auch wandlungsfähige Formen eingesetzt werden.

Hugo de Bruyn (Gent) sprach zur Kosten- Nutzenanalyse implantatprothetischer Versorgungen für den Patienten. Studien analysieren nur Patienten, die für die Versorgung zu zahlen bereit waren. Erhaltungskosten werden in der Regel vernachlässigt. 2% aller Implantatversorgungen weisen aber im Zeitverlauf höhere Erhaltungskosten als die Herstellung auf, 22%- 50% und nur 40% erforderten keine Zusatzkosten- wer auch immer diese trägt: Patient, Behandler oder die Gesellschaft! Bereits eine Deckprothese auf 2 Implantaten steigert die Lebensqualität enorm. Mehr Implantate sind deutlich teurer, aber auf lange Sicht kaueffektiver. Zahntechnische Herstellungskosten verdoppeln sich im Vergleich zur konventionellen Totalprothese bereits für 2 Locatorverankerungen und erreichen das 14- fache für festsitzenden Versorgungen auf 6 Implantaten. Mit Honoraren für die Behandler betragen diese Werte das 4,8- fache für 2 Locatoren und das 14- fache für All- on- four- Versorgungen. Implantate zum Einzelzahnersatz führen zu einer geringeren Steigerung der Lebensqualität, psychologisch bedeutsam ist aber die Schonung eigener Zahnsubstanz. Auf lange Sicht sind einfache Einzelimplantate inklusive Erhaltungskosten sogar preisgünstiger als Brücken! Höhere ästhetische Ansprüche führen zur Kostenexplosion. 1/3 der Patienten akzeptieren schon Kosten für 3D-Planungen nicht. Neue Methoden sind vom Gesamtkostenstandpunkt noch gar nicht einschätzbar. Dieser Beitrag sollte im Original analysiert werden! Dem Problem periimplantäre Rezensionen widmete sich die abschließende Sitzung unter Vorsitz von Frank Schwarz aus Düsseldorf. Hom-Lay Wang (Michigan) zeigte an multivariaten Analysen, dass mukosale Rezessionen häufig Fehlpositionierungen folgen. Er gab Hinweise zur Vorbeugung. Giovanni Zuchelli (Bologna) zeigte parodontalchirurgische Korrekturmöglichkeiten von Rezessionen am Einzelzahnimplantat mittels freier deepithelisierter Gaumenschleimhauttransplantate. David Schneider aus Zürich besprach Möglichkeiten der prothetischen Kompensation von Rezessionen um das Implantat, speziell auch bei multiplem Zahnverlust bis hin zur Gingivaepithese in ihrer Abgrenzung zum chirurgischen Vorgehen, aber auch zum Belassen der Rezession. Eine Korrektur sollte nur beim Wunsch des Patienten erfolgen, Ein Höhepunkt war der letzte Vortrag von Jürgen Becker zur Behandlung von Rezessionen bei vorliegender Periimplantitis, die auf der Fülle systematischer Düsseldorfer Untersuchungen basierten. Resümee: Rezessionsdeckungen bei Periimplantiden haben nur eine Erfolgschance bei vorangehender intensiver Periimplantitistherapie und bei einer Korrektur der Knochendefekte. Studien müssen dies zukünftig untermauern. SPQR: Anders als bei vielen Kongressen zur Implantologie mit Darstellungen hochspektakulärer Extremfälle ging es in Rom um die Standortbestimmung, wann welche Form der Implantologie für die Hand des Zahnarztes im Alltag geeignet und vorhersagbar ist. Dieser Ansatz war für viele der 3500 Teilnehme wohltuend und aus der Seele gesprochen. In der Mitgliederversammlung wurde zum Nachfolger von Pascal Valentini als neuer Präsident Björn Klinge gewählt. Das Membersdinner führte uns nach einer Besichtigung der Sixtinischen Kapelle in die Galleria Chiaramonti in den Vatikanischen Museen. Strahlend schönes Spätsommerwetter zeigte Rom von seinen besten Seiten. Wer Kultur und nicht den Hotelpool unter Pinien bevorzugte, konnte abseits vom Mainstream um Petersdom oder Spanischer Treppe erlesene Kunstwerke in kleineren Kirchen oder in den Geheimtipps die Farnesina oder Villa Doria Pamphili genießen. Der Kongress der EAO bot jedem etwas- nicht zuletzt den Kontakt innerhalb der europäischen Implantologenschaft. Selten aber war ein Hauptthema derart innovativ und rhetorisch meisterhaft abgehandelt worden, wie in diesem Jahr. Vom 24. bis zum 26. September 2015 werden wir uns in Stockholm treffen. Ich kann eine Teilnahme ebenso wie die Mitgliedschaft in der EAO auch wegen des Zugangs zur Clin Oral Impl Res nur wärmstens empfehlen.

Dr. med. habil. Lutz Tischendorf (Halle/ Saale- www.drtischendorf.de) 11.12.2014

Letzte Aktualisierung am Donnerstag, 11. Dezember 2014